VGH Mannheim lehnt vom Land beantragte Zulassung zur Berufung ab
(jur). Einer früheren Lehrerin der Albertville-Realschule in Winnenden steht wegen des Amoklaufs eines Schülers am 11. März 2009 ein erhöhtes Unfallruhegehalt sowie eine einmalige Unfallentschädigung zu. Auch wenn der Täter an dem Klassenzimmer der Lehrerin vorbeigegangen ist und die Morde in einem anderen Stockwerk der Schule begangen wurden, war die Pädagogin „objektiv gefährdet“, stellte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in einem am Dienstag, 15. März 2016, bekanntgegebenen Beschluss klar (Az.: 4 S 1251/15). Die Mannheimer Richter lehnten damit die vom Land begehrte Zulassung zur Berufung ab.
Hintergrund des Rechtsstreits war der Amoklauf des 17-jährigen Auszubildenden Tim K. an der Albertville-Realschule in Winnenden im Rems-Murr-Kreis. Der ehemalige Schüler war im Kampfanzug und mit einer Pistole bewaffnet in der Schule erschienen und erschoss neun Schüler und drei Lehrerinnen. Auf seiner Flucht tötete er drei weitere Menschen. Anschließend tötete er sich selbst mit einem Kopfschuss.
Nach dem Amoklauf wurde der Schulbetrieb zunächst eingestellt, die Schüler und das Lehrpersonal psychologisch betreut. Die im jetzt entschiedenen Rechtsstreit klagende Lehrerin erlitt wegen der Vorfälle eine psychische Erkrankung, die das Land als Dienstunfall anerkannte und zu ihrer Dienstunfähigkeit führte. Die Frau wurde schließlich in den Ruhestand versetzt.
Das Land gewährte ihr ein Unfallruhegehalt. Die Lehrerin machte jedoch ein erhöhtes Ruhegehalt sowie eine einmalige Unfallentschädigung geltend, derzeit 80.000 Euro. Nach den geltenden Vorschriften sei hierfür Voraussetzung, dass sie ihren Dienstunfall „in Ausübung des Dienstes durch einen rechtswidrigen Angriff“ erlitten habe.
Doch das Land lehnte die höhere Unfallruhegeldzahlung sowie die Entschädigung ab. Die Frau sei während des Amoklaufs zu keiner Zeit der objektiven Gefahr der Körperverletzung oder Tötung ausgesetzt gewesen. Tim K. sei an ihrem Klassenzimmer vorbeigelaufen und habe die Morde an Schülern und Kollegen in einem anderen Stockwerk begangen. Es habe sich zudem um einen „generalisierten Angriff“ gehandelt, der nicht gezielt auf die Klägerin gerichtet gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart sprach der Lehrerin dagegen das erhöhte Unfallruhegeld sowie die Entschädigung zu. Die Frau sei objektiv gefährdet und in der Reichweite des Täters gewesen. Denn der 17-Jährige habe nicht nur eine Schusswaffe mit großer Reichweite und einer Patronenzahl im dreistelligen Bereich verwendet. Er sei auch im Schulgebäude mobil gewesen und habe am Tattag mit größtmöglichem Nachdruck die auch mehrfach umgesetzte Absicht verfolgt, Schüler und Lehrer zu töten. Solange Tim K. sich auf dem Schulgelände befunden habe, solange sei die Klägerin auch in dessen Reichweite gewesen.
Der VGH bestätigte nun in seinem Beschluss vom 23. Februar 2016 die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und lehnte die vom Land beantragte Zulassung zur Berufung ab. Damit ist das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig. Voraussetzung für das erhöhte Unfallruhegeld und die Unfallentschädigung sei eine objektive Gefahr, bei der der Beamte wegen einer zielgerichteten Verletzungshandlung des Angreifers einen Körperschaden erleidet. Dies beinhalte nicht nur – wie vom Land angenommen – eine Gefahr der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, sondern auch, wenn die Gefahr einer psychischen Krankheit drohe. Dies sei hier der Fall. (fle/mwo)
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