Hälfte der COVID-19-Betroffenen entwickeln Langzeitbeschwerden
Die bislang größte Untersuchung zu Long COVID, welches nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auftreten kann, kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Menschen, bei denen seit Beginn der Pandemie symptomatisches COVID-19 diagnostiziert wurde, nach der Genesung mindestens ein Langzeitsymptom entwickelt.
Forschende des Penn State College of Medicine (USA) zeigten in einer umfassenden Metaanalyse mit Daten von über 250.00 Menschen, dass 54 Prozent der COVID-19-Betroffenen noch ein Monat nach der Genesung unter mindestens einem Langzeitsymptom leiden. Die Ergebnissen der Metaanalyse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „JAMA Network Open“ präsentiert.
Rund jede zweite genese Person entwickelt Long-COVID
Nach vielen Virusinfektionen, wie beispielsweise bei Influenza, können sich Langzeitbeschwerden entwickeln. Nach COVID-19 scheinen diese Symptome aber besonders häufig aufzutreten. Laut der Analyse entwickeln über die Hälfte derjenigen, die COVID-19 überleben, Langzeitbeschwerden, die unter dem Begriff „Long COVID“ zusammengefasst werden. Medizinisch hat sich mittlerweile die Abkürzung PASC (postacute sequelae of COVID-19) für Long COVID durchgesetzt.
Zu den häufigsten Langzeitbeschwerden, die nach COVID-19 auftreten gehören:
- ständige Müdigkeit,
- Atembeschwerden,
- Brustschmerzen,
- Gelenkschmerzen,
- Geschmacksverlust,
- Geruchsverlust.
Weltweite Daten über Long COVID zusammengetragen
Das Forschungsteam fügte Daten aus 57 weltweiten Studien zusammen, in denen kurz- und langfristige gesundheitliche Auswirkungen nach COVID-19 dokumentiert wurden. Den Ergebnissen zufolge können sowohl Erwachsene als auch Kinder noch sechs Monate oder länger nach der Genesung unter verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden.
Die 57 Berichte enthielten Daten von insgesamt 250.351 ungeimpften Personen, bei denen zwischen Dezember 2019 und März 2021 COVID-19 diagnostiziert wurde. Von den Teilnehmenden wurden 79 Prozent im Krankenhaus behandelt. Ein Großteil der Teilnehmenden stammte aus Ländern mit hohem Einkommen. Das Durchschnittsalter lag bei 54 Jahren.
Beschwerden fallen stark unterschiedlich aus
Den Ergebnissen zufolge hatten die Überlebenden eine Reihe von gesundheitlichen Problemen, die mit COVID-19 zusammenhängen. Im Allgemeinen beeinträchtigten diese Komplikationen das allgemeine Wohlbefinden der Betroffenen, ihre Mobilität oder die Organsysteme. Im Durchschnitt traten bei einem von zwei Genesenen langfristige COVID-Manifestationen auf, die sechs Monate oder länger bestehen blieben. Folgende Beschwerden wurden häufig dokumentiert.
- Allgemeines Wohlbefinden: Mehr als die Hälfte aller Betroffenen berichteten über Gewichtsverlust, Müdigkeit, Fieber oder Schmerzen.
- Mobilität: Bei rund jeder fünften genesen Person war die Mobilität eingeschränkt.
- Neurologische Probleme: Knapp jede vierte genese Person hatte Konzentrationsschwierigkeiten.
- Psychische Störungen: Knapp ein Drittel der Teilnehmenden entwickelte eine generalisierte Angststörung.
- Anomalien der Lunge: Bei sechs von zehn Betroffenen wurden Anomalien im Thorax dokumentiert. Über ein Viertel der Teilnehmenden berichtet von Atembeschwerden.
- Kardiovaskuläre Probleme: Schmerzen in der Brust und Herzklopfen gehörten zu den am häufigsten berichteten Beschwerden.
- Hautkrankheiten: Fast jeder fünfte Teinehmende litt unter Haarausfall oder Hautausschlägen.
- Verdauungsprobleme: Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Durchfall und Erbrechen gehörten zu den am häufigsten berichteten Langzeitbeschwerden.
Long COVID erstmals in einer großen Population untersucht
„Diese Ergebnisse bestätigen, was das medizinische Fachpersonal und Genese von COVID-19 behaupten, nämlich dass die gesundheitlichen Auswirkungen von COVID-19 lange nach der akuten Erkrankung anhalten können“, resümiert Co-Studienleiter Vernon Chinchilli. Die Studie sei die erste dieser Art, die Long COVID in einer größeren Population untersucht hat.
„Die Belastung durch langanhaltende Beschwerden bei COVID-19-Betroffenen ist überwältigend“, fügt Dr. Paddy Ssentongo aus dem Studienteam hinzu. Der Kampf gegen COVID ende nicht mit der Genesung der akuten Infektion.
Mögliche Ursachen für Long COVID
Wie die Arbeitsgruppe erklärt, sind die Mechanismen, durch die COVID-19 anhaltende Symptome verursacht, noch nicht vollständig geklärt. Die Beschwerden könnten auf eine durch das Virus ausgelöste Überlastung des Immunsystems, eine verbleibende Infektion, eine Reinfektion oder eine erhöhte Produktion von Autoantikörpern, die sich gegen das eigene Gewebe richten, zurückzuführen sein. SARS-CoV-2 könnte zudem Schäden im Nervensystem anrichten, wodurch neuronale Anomalien wie Geschmacks- oder Geruchsstörungen, Gedächtnisschwäche und Konzentrationsstörungen ausgelöst werden.
Mögliche Einschränkungen der Ergebnisse
„Unsere Studie war nicht darauf ausgerichtet, COVID-19 als alleinige Ursache für diese Symptome zu bestätigen“, gibt Dr. Ssentongo zu bedenken. Es sei plausibel, dass einige der berichteten Langzeitbeschwerden auf andere Ursachen zurückzuführen sind.
Forschende empfehlen spezialisierte Reha-Kliniken
„Da die Betroffenen möglicherweise nicht die Energie oder die Ressourcen haben, um zwischen verschiedenen Gesundheitsdienstleistern hin und her zu gehen, werden spezialisierte Reha-Kliniken entscheidend sein, um Betroffene mit Long COVID effektiv und effizient zu behandeln“, betont Ssentongo. Solche Kliniken könnten sowohl die medizinischen Kosten senken als auch den Zugang zur Versorgung optimieren. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Penn State College of Medicine (USA): How many people get 'long COVID?' More than half, researchers find (veröffentlicht: 13.10.2021), news.psu.edu
- Destin Groff, Vernon Chinchilli, Paddy Ssentongo et al.: Short-term and Long-term Rates of Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 Infection A Systematic Review; in: JAMA Network Open, 2021, jamanetwork.com
- Deutsches Ärzteblatt: Metaanalyse: Jeder 2. von COVID-19 Genesene leidet unter PASC (veröffentlicht: 14.10.2021), aerzteblatt.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.