Long-COVID: Forschende weisen Veränderungen im Gehirn nach
Bei manchen Menschen können noch Wochen und Monate nach einer Erkrankung an COVID-19 gesundheitliche Langzeitfolgen bestehen. Forschende haben nun nachgewiesen, dass es nach einer überstandenen Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auch zu Veränderungen im Gehirn kommen kann.
Professorin Dr. Franziska Richter Assencio, Leiterin des Instituts für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), hat in der Fachzeitschrift „eBioMedicine“ eine Studie veröffentlicht, in der sie mit ihrem Team zeigen konnte, dass sich nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion die Proteinstruktur der Nervenzellen im Gehirn verändert.
Störungen des Nervensystems
Laut einer aktuellen Mitteilung der TiHo fanden die Forschenden Anhäufungen zur Fehlfaltung neigender und in ihrer Struktur veränderter Proteine, wie sie von Alzheimer- und Parkinson-Patientinnen und -Patienten bekannt sind.
Diese Ansammlungen könnten zu Störungen des Nervensystems führen und zum Beispiel die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen erklären, über die viele Long-COVID-Betroffene klagen.
Außerdem wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Beginn der Infektion eine Aktivierung von Mikrogliazellen nach, den Immunzellen des Gehirns, die, nachdem die Symptome abgeklungen waren, noch vorhanden war.
Aktivierte Immunabwehr
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten die Gehirne Syrischer Goldhamster, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, während und nach überstandener Infektion. Sie hatten die Infektionen gemeinsam mit Professorin Dr. Gülşah Gabriel, Virologin am Leibniz-Institut für Virologie und an der TiHo, durchgeführt.
Um die Gehirne zu untersuchen, fertigten die Forschenden in Kooperation mit dem Institut für Pathologie Schnitte an. Christopher Käufer, PhD, Tierarzt und Forschungsgruppenleiter für In-vivo-Neuroinfektiologie bei Richter Assencio, und Cara Schreiber, Tierärztin und PhD-Kandidatin im Studiengang Systems Neuroscience, führten die Analysen durch.
„Für die Phase der akuten Infektion konnten wir zeigen, dass durch SARS-CoV-2 im Epithel der Nasenhöhle und im Riechkolben des Gehirns Zellen der Immunabwehr aktiviert werden“, erläutert Richter Assencio.
„Bemerkenswert ist die starke Aktivierung von Mikrogliazellen im Gehirngewebe, also der lokalen Immunabwehr, welche auch 14 Tage nach der Infektion noch vorhanden war.“
Als die Infektion bereits abgeklungen war, fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die zur Fehlfaltung neigenden Alpha-Synuclein-Proteine und in ihrer Struktur veränderte Tau-Proteine in gehäufter Form in den Nervenzellen der Großhirnrinde.
Wie in der Mitteilung erklärt wird, spielen diese Proteine bei den neurodegenerativen Erkrankungen Alzheimer und Parkinson eine bedeutende Rolle.
„Dass nicht alle Hirnregionen betroffen waren, ist eine wichtige Erkenntnis. Das deutet auf eine selektive Empfindlichkeit hin wie sie für neurodegenerative Erkrankungen charakteristisch ist“, sagt Richter Assencio.
Beteiligung verschiedener Gehirnregionen
Den Angaben zufolge treten bei bis zu 67 Prozent der COVID-19-Patientinnen und -Patienten während der akuten Infektion neurologische Symptome auf. Diese Symptome können nach der Infektion fortbestehen oder auch erst Wochen später neu auftreten.
Dazu zählen neurologische, neuropsychologische sowie neuropsychiatrische Symptome wie kognitive Störungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Depressionen, Angstzustände, Gangstörungen und allgemeine Müdigkeit.
Die Pathogenese dieser Symptome ist nach wie vor ungeklärt und es gibt, abgesehen von Rehabilitationsmaßnahmen, derzeit noch keine wirksamen Behandlungen.
„Studien zu Biomarkern für neurodegenerative Erkrankungen im Plasma und bildgebende Verfahren zur Integrität des Gehirns in Long- bzw. Post-COVID-19 Patienten zeigen Ergebnisse, welche mit unseren Beobachtungen übereinstimmen. Die Vielfalt der Symptome weist eindeutig auf eine Beteiligung verschiedener Hirnregionen hin“, so Richter Assencio, „ob und falls ja, wie SARS-CoV-2 in das Gehirn gelangt, ist bisher nicht eindeutig geklärt.“
Die Forschenden konnten bei ihren Untersuchungen das Coronavirus zwar zu keinem Zeitpunkt im Gehirn nachweisen, aber laut der Wissenschaftlerin gibt es auch Studien, die geringe Mengen des Virus im Gehirn gefunden haben.
„Es wäre auch denkbar, dass allein die Reaktion des Immunsystems auf das Virus und die damit einhergehenden Signalmoleküle wie Zytokine die beobachteten Veränderungen hervorrufen“, sagt die Expertin.
Ursache für lang anhaltende neurologische Symptome
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die Anhäufung von Tau und Alpha-Synuclein eine Ursache für die lang anhaltenden neurologischen Symptome sein können.
Richter Assencio weist darauf hin, dass noch viel Forschungsbedarf besteht. Weitere Studien müssen klären, ob die Anhäufung der Proteine in den Neuronen wirklich fortschreitende neurodegenerative Prozesse und neurologische Symptome auslösen.
„Eines steht aber fest: Wenn wir die Ursachen für die Symptome von Long- und Post-COVID-19 kennen, können darauf aufbauend rationale Therapien für die Betroffenen entwickelt werden. Alpha-Synuclein und Tau wären, falls sich unsere Annahmen bestätigen, wichtige Zielmoleküle für solche Therapien“, sagt Richter Assencio. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover: Long COVID: Veränderungen im Gehirn, (Abruf: 11.06.2022), Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
- Christopher Käufer, Cara S. Schreiber, Anna-Sophia Hartke, Ivo Denden, Stephanie Stanelle-Bertram, Sebastian Beck, Nancy Mounogou Kouassi, Georg Beythien, Kathrin Becker, Tom Schreiner, Berfin Schaumburg, Andreas Beineke, Wolfgang Baumgärtner, Gülsah Gabriel, Franziska Richter: Microgliosis and neuronal proteinopathy in brain persist beyond viral clearance in SARS-CoV-2 hamster model; in: eBioMedicine, (veröffentlicht: 16.04.2022), eBioMedicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.