Masern-Ausbrüche häufen sich
07.06.2013
Bereits seit Jahresbeginn greifen die Masern in mehreren Bundesländern um sich. Waren zunächst vor allem Bayern und Berlin betroffen, musste jetzt eine ganze Schule in Köln geschlossen werden. Seitdem nehmen die Forderungen nach einer Impfpflicht zu.
Überlegungen zu einer Impfpflicht
Seit Beginn des Jahres häufen sich die Meldungen über Masernerkrankungen in Deutschland. Waren deswegen zunächst Berlin und Bayern in den Schlagzeilen, musste jetzt in der Nähe von Köln eine ganze Schule wegen einem Masern-Ausbruch geschlossen werden. Bis mindestens Montag bleibt die Waldorfschule in Erftstadt bei Köln geschlossen, da sich bislang elf Jugendliche mit Masern angesteckt haben. Es steht zu befürchten, dass die Zahl noch steigt, da bisher nur ein Viertel der Schüler eine Impfung nachwiesen. Oft zeigen sich Symptome, wie die typischen roten Pusteln erst zwei Wochen nach der Infektion. Die Krankheit sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden, warnen Experten. Überlegungen zu mehr Initiative sind auch aus der Politik laut geworden, so etwa von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der meinte, eine Impfpflicht für Kinder könne notwendig werden.
Keine Impfung – Kein Schule
In Deutschland gibt es bislang keine Impfpflicht. Ganz anders in vielen Ländern der Welt, in denen Kinder gegen eine Reihe von Infektionskrankheiten immunisiert sein müssen, wenn sie zum Unterricht wollen. Die Masern bald auszurotten hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum festen Ziel gesetzt. Deutschland schneidet dabei nicht besonders gut ab. So wurden dem Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) allein im ersten Halbjahr 2013 mehr als 1.070 Fälle gemeldet, die meisten aus Bayern (478) und Berlin (400). Dass andere Kontinente viel weiter sind, erläutert Anette Siedler vom RKI-Fachgebiet Impfprävention: „Nord- und Südamerika gelten heute laut WHO als masernfrei.“ Dort wird der Rückgang der Masern häufig mit dem Motto „Keine Impfung – keine Schule“ in Verbindung gebracht.
Starke Schwankungen
Siedler meinte, es sei normal, dass Masern-Zahlen stark schwankten. Beispielsweise habe es 2011 rund 1.600 Fälle in Deutschland gegeben, im Jahr 2012 nur 170. Die Zahlen würden mit der Menge an Personen zusammen hängen, die eine Infektion bekommen könnten. Siedler ergänzt: „Nach regionalen Ausbrüchen sind viele Menschen immun.“ Wird jedoch nicht ausreichend geimpft und treten Masern eine Weile nicht auf, sei die Bevölkerung wieder anfälliger.
Von 100 stecken sich 99 an
Masern sind hoch ansteckend und verbreiten sich vor allem über eine Tröpfcheninfektion, etwa durch husten oder schniefen. Martin Terhardt, Mitglied der Ständigen Impfkommission, erklärt: „Von 100 Menschen, die sich in einem Raum mit einer infizierten Person befinden, stecken sich 99 an.“ Er hält es auch für irreführend, dass Masern immer noch häufig als Kinderkrankheit bezeichnet werden. Laut RKI ist etwa die Hälfte der Erkrankten in diesem Jahr älter als 20 Jahre alt. („“) Terhardt sieht in dieser Altersgruppe große Impflücken: „Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Impfempfehlungen über die Jahre verändert haben.“
Bessere Vorsorge in der DDR
Von den Menschen, die vor 1970 geboren wurden, hätten viele die Masern noch selbst gehabt und seien deshalb meist immun. Ab dann öffnet sich eine Ost-West-Schere: In der DDR bestand ab 1970 eine Impfpflicht für Kinder, in der Bundesrepublik war 1974 lediglich eine Impfempfehlung ausgesprochen worden. Nach der Wiedervereinigung hätten sich die an die Pflicht gewöhnten Bürger im Osten weiterhin impfen lassen. Unterschiede in den Immunisierungsraten der Bundesländer würden sich bis heute zeigen.
Mehr als 90 Prozent der Kinder haben Impfschutz
Seit 1991 wird bundesweit zu einer zweiten Impfdosis geraten, denn „bei etwa 5 bis 10 Prozent der Geimpften tritt nach der ersten Dosis nämlich noch kein ausreichender Schutz ein“, so Frau Siedler. Es handle sich also nicht um eine Auffrischung, sondern die zweite Impfung solle die genannte Lücke füllen. Terhardt relativiert das schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich: „Bei den aktuellen Schulanfängern erreicht Deutschland heute fast das Ziel der WHO.“ Laut Angaben des RKI verfügen mehr als 90 Prozent der Kinder in diesem Alter über einen Impfschutz. Danach sieht es aber schon wieder anders aus: „Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich wenig für ihren Impfpass verantwortlich.“ Deshalb müsse das Bewusstsein für Impfungen allgemein steigen.
Säuglinge anfällig für Spätfolgen
Wie kürzlich der Bundesgesundheitsminister, sprach sich auch Terhardt für eine Impfpflicht aus. Dabei gelte es zu differenzieren: „Die Pflicht sollte für Kinder sowie Mitarbeiter im Gesundheitswesen, in der Kinderbetreuung und Lehrer gelten.“ Eine dementsprechende Konsequenz sei auch aus einem Fall an der Berliner Charité zu ziehen, wo ein an Masern erkrankter Arzt einen Säugling angesteckt haben soll. „Dabei sind gerade Säuglinge besonders anfällig für die Spätfolgen von Masern“, so Terhardt. Da immer weniger Mütter immun sind und Babys erst ab einem Alter von elf Monaten geimpft werden, gilt besondere Vorsicht, vor allem auch wenn die Kleinsten schon in Kitas betreut werden.
Alternative und religiöse Impfskeptiker
Nicht nur gegen eine Pflicht, sondern allgemein gegen eine Impfung sind oft gut gebildete Eltern aus dem Ökobereich. Terhardt meinte jedoch, dass der Masern-Ausbruch an der Waldorfschule bei Köln zeige, dass Skeptiker sich auch der Verantwortung für andere bewusst sein müssten. Schwere Komplikationen seien bei Masern zwar selten, aber es gibt sie. In den Niederlanden sind Impfskeptiker, beziehungsweise -verweigerer vor allem im sogenannten „Bibelgürtel“ zu finden, in dem überwiegend Anhänger der Reformierten Kirche leben. Die Kirchengemeinde würde dort Druck ausüben, damit die Kinder nicht geimpft werden. Die zuständigen Behörden reagierten auf das Problem, indem sie anboten, Hausbesuche zu machen, um die Impfung zu verabreichen. Es hieß, dass das Angebot gut aufgenommen werde.
Kein reiner Selbstschutz
Spätfolgen bei Masern können tödlich sein, wie der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte berichtete. Anette Siedler vom RKI warnte: „Die Impfung dient nicht nur dem Selbstschutz.“ Auch alte Mythen behindern manchmal eine vernünftige Vorsorge. So gilt zwar heute widerlegt, dass der Impfstoff Autismus auslösen könne, wie ein britischer Wissenschaftler 1998 behauptete. In sozialen Netzwerken würde sich aber immer wieder zeigen, dass manche Nutzer Impfungen für krankmachend halten. So etwa bei einer Anspielung auf die jüngste Impf-Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Deutschland sucht den Impfpass“. Als Reaktion darauf haben sich mehr als 2.500 Personen der Gruppe „Deutschland verbrennt den Impfpass“ angeschlossen. (ad)
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