UN-Bericht zu Fukushima in der Kritik
03.04.2014
Nach UN-Einschätzung hat der Atomunfall im japanischen Fukushima vor drei Jahren nicht zu einer Erhöhung des Krebsrisikos für die Bevölkerung geführt. An dem UN-Bericht wird scharfe Kritik geübt. So sprechen Experten von Verharmlosung sowie Vertuschung und Ärzte nennen die Studie gar „unseriös“.
Erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs
Die Atomkatastrophe vor drei Jahren im japanischen Fukushima habe das Krebsrisiko für die Bevölkerung nicht erhöht. Zu dieser Einschätzung kommt das Komitee der Vereinten Nationen für die Folgen von Strahlung (UNSCEAR). Auch den sprunghaften Anstieg von Schilddrüsenkrebs bei Kindern sehen sie nicht als Folge der freigesetzten Strahlung. Insgesamt seien bei Screenings von 250.000 Kindern und Jugendlichen unter anderem 75 Fälle von Schilddrüsenkrebs diagnostiziert worden. In dem Bericht heißt es dazu, dass die erhöhte Rate von Zysten, Knoten und Krebsfällen „wegen der hohen Effizienz der Untersuchungsmethode“ zu erwarten gewesen wäre. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass „ein erhöhtes Risiko vor allem für Schilddrüsenkrebs bei Kleinkindern und Kindern angenommen werden kann.“
Scharfe Kritik seit Bekanntgabe des Berichts
Zudem wird für das Personal, das bei den Rettungs- und Aufräumarbeiten eingesetzt war, mit einem erhöhten Krebsrisiko gerechnet. Hingegen sieht der Bericht für den Großteil der japanischen Bevölkerung, selbst in den Präfekturen rund um die geborstenen Atommeiler, praktisch kein Risiko. In dem Abschlussbericht, der vergangene Woche in Genf vorgestellt wurde, heißt es: „Die geschätzte effektive Strahlendosis durch den Unfall kann mit den Folgen der Strahlung durch natürliche Quellen verglichen werden.“ Für den glimpflichen Ausgang der Katastrophe sei nach UN-Angaben die schnelle Evakuierung der Region rund um das havarierte Atomkraftwerk im März 2011 entscheidend gewesen. An dem Bericht wird seit Bekanntgabe scharfe Kritik geübt.
Studie redet Gefahren klein
Greenpeace-Nuklearexperte Heinz Smital sieht keinen Grund zur Entwarnung und spricht von Vertuschung. „Die Studie redet die Gefahren klein“, so der Umweltschützer gegenüber „Deutsche Welle“ (DW). So seien die Evakuierungen teilweise zu spät erfolgt und außerdem seien auch Gebiete außerhalb des ursprünglich evakuierten 20 Kilometer-Radius hoch belastet gewesen. Diese Zonen seien erst einen Monat später geräumt worden. „Das ist so lange, dass die Menschen die volle Dosis des radioaktiven Jod 131 abbekommen haben“, so der Experte.
Nuklearexperte spricht von Verharmlosung
Laut den UN-Experten habe die Strahlendosis in Japan im Vergleich zur Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl nur einen Bruchteil betragen. Smital spricht in diesem Zusammenhang von Verharmlosung beim Umgang mit den Menschen in Japan. Er meint, die russische Regierung habe sich damals viel strikter an internationale Richtlinien gehalten. Diese seien in Russland über die Vorgaben hinaus eingehalten worden, in Japan jedoch lebten Menschen, darunter auch schwangere Frauen und Familien mit Kindern in Gebieten mit einer Strahlenbelastung, die deutlich zu hoch ist. Der Nuklearexperte äußert sich empört: „Das ganze wird jetzt legitimiert durch den UN-Bericht, der sagt, es gibt keine gesundheitlichen Folgen.“
Wissenschaftlich unseriöse Studie
Die internationale Ärzteorganisation zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) spricht von einer „wissenschaftlich unseriösen“ Studie. Die Daten auf denen sie fuße, stammten von der Atombetreiberfirma Tepco, der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA in Wien und den japanischen Atombehörden. Die Risiken würden „vertuscht, verharmlost und verschwiegen“. Beim Schilddrüsenkrebs sei die Neuerkrankungsrate von 0,35 Fällen je 100.000 Kinder auf 13,0 angestiegen, dies ist fast eine Vervierzigfachung. Die Ärzteorganisation schätzt, dass es in Japan mehrere Zehntausend zusätzliche Krebserkrankungen geben wird.
Zahl der Totgeburten um 13 Prozent angestiegen
Smital kritisiert zudem die Methodik, mit der die Krebswahrscheinlichkeit in der UN-Studie errechnet wird. Auch er spricht von Verharmlosung: „Die erzielten Rückschlüsse gehen in Richtung einer verharmlosenden Darstellung.“ Für eine objektivere Bewertung müssten Daten von Ärzten, Krankenhäusern und Todesfällen systematisch ausgewertet und veröffentlicht werden. Doch diese Daten blieben in Japan unter Verschluss. Es gebe sogar ein diesbezügliches Geheimhaltungsgesetz. Der japanische Publizist Fukumoto Masao meinte gegenüber der Tageszeitung „Neues Deutschland“, dass die japanische Regierung nicht alle Daten, insbesondere nicht die über die Kontamination mit Radioaktivität, veröffentlicht. Die Messwerte von offiziellen Messpunkten seien immer niedriger als wenn man sie selbst misst. Der Publizist vermutet Manipulationen. Laut seinen Recherchen sei in den am stärksten betroffenen Präfekturen die Zahl der Totgeburten um rund 13 Prozent angestiegen.
Menschen in Japan leiden auch psychisch und sozial
Die UN-Wissenschaftler räumen zumindest ein, dass die Menschen in Japan psychisch und sozial etwa unter der Evakuierung oder einer Stigmatisierung zu leiden haben. Der Einfluss des Unglücks auf die Gesundheit sei nicht auf die Strahlenfolgen beschränkt. Der Bericht erinnert auch daran, dass während der Räumung des Gebiets 50 Krankenhaus-Patienten gestorben waren. Laut der „taz“ meinte der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, es sei „tollkühn“, nur drei Jahre nach der Katastrophe bereits Entwarnung zu geben. (sb)
Bild: Thommy Weiss / pixelio.de
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