Neuer Wirkstoff gegen Alzheimer, Parkinson und Prionenkrankheiten erfolgreich bei Mäusen getestet
11.10.2013
Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) führen zum Absterben von Nervenzellen im Gehirn der Betroffenen. Ursache ist eine krankheitsbedingte Ansammlung von Proteinen in den Neuronen. Bislang gab es kein Medikament und keine Therapie, die verhindern konnte, dass Betroffene allmählich immer mehr Gehirnfunktionen verlieren. Verfügbare Medikamente können lediglich eine Verlangsamung des Fortschreitens der Erkrankungen bewirken.
Britischen Forschern gelang jetzt die Entwicklung eines Wirkstoffs, der die Hirnzellen von erkrankten Mäusen langfristig schützen soll. Ein Heilmittel gegen die Erkrankungen bei Menschen ist damit aber längst noch nicht gefunden. Zumal die Versuchstiere unter schweren Nebenwirkungen litten. Nach Meinung von Experten könnte die Studie dennoch einen Wendepunkt bei der Suche nach einem Medikament gegen Alzheimer einleiten, sofern die weitere Forschung positive Ergebnisse liefert. Die Studie wurde im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.
Wirkstoff soll Produktionstopp der Proteine in den Zellen verhindern
Prof. Giovanna Mallucci von der University of Leicester in England und ihre Kollegen untersuchten, wie Mäuse gegen eine sogenannte Prionenkrankheit behandelt werden können. Dafür entwickelten sie gemeinsam mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK), der das Patent auf das Mittel hält, den Wirkstoff GSK2606416. Die Studie wurde vom britischen Medical Research Council, einer staatliche Einrichtung, finanziert.
Wie sich herausstellte, schützte der Wirkstoff die Hirnzellen der Mäuse, so dass die Neuronen nicht abstarben und sich keine krankheitsspezifischen Symptome bei den Nagern einstellten. Litten die Tiere bereits an Krankheitsbeschwerden, bildeten sich diese durch das Medikament zum Teil zurück. Neben den positiven Effekten zeigten sich aber auch Nebenwirkungen des Wirkstoffs. So verzeichneten die Forscher einen leichten Anstieg des Blutzuckerspiegels der Mäuse sowie eine Gewichtsabnahme von durchschnittlich rund 20 Prozent des Körpergewichts.
Patienten mit einer sogenannten Prionenkrankheit wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) haben eine größere Menge von Prionen – falsch gefaltete Proteine – im Körper, was sich laut Forschern auf den gesamten Proteinhaushalt der betroffenen Zellen auswirkt. Da Prionen von Zellsensoren als schädliche Substanzen identifiziert werden, reagiert die betroffene Zelle mit einem Produktionsstopp der Proteine. In der Folge sterben dadurch die Neuronen ab. Das Enzym „Perk“ (Protein-Kinase RNA-like Endoplasmatic Reticulum Kinase) ist dabei verantwortlich für das Herunterfahren der Protein-Herstellung. Die Forscher setzen deshalb bei den Mäusen bei diesem Enzym an, um den Produktionsstopp der Proteine zu verhindern. Ziel war es demnach nicht, die Ansammlung von Prionen in den Zellen zu verhindern, was bisher häufig der Forschungsansatz war.
Pathogene (krankmachende) Prionen gelangen meist über kontaminierte Nahrung in den menschlichen Körper oder sie bilden sich im Zuge einer spontanen Umfaltung körpereigener Prionen. Neben CJK stehen auch BSE (Rinderwahnsinn) bei Rindern und Scarpie (Traberkrankheit) bei Schafen in Zusammenhang mit einer Prioneninfektion.
Wirkstoff gegen Prionenkrankheiten hat Nebenwirkungen
Im Rahmen ihrer Studie behandelten Mallucci und ihre Kollegen eine Versuchsgruppe junger Mäuse sieben Wochen nach der Infektion mit Prionen. In diesem Stadium hatte sich die Krankheit bereits im Gehirn ausgebreitet, aber noch keine Symptome verursacht. Die zweite Versuchsgruppe wurde erst neun Wochen nach der Infektion mit dem Wirkstoff behandelt. Diese Mäuse litten bereits an Gedächtnis- und Verhaltensstörungen. Der Wirkstoff wurden allen Nagern zweimal pro Tag oral verabreicht.
Wie die Forscher im Fachmagazin berichten, waren alle Tiere nach zwölf Wochen quasi symptomfrei, wobei bereits eingetretene Gedächtnisprobleme weiterhin bestanden. Die lebenswichtige Proteinproduktion war durch den Wirkstoff wieder angeregt worden, so dass das Ziel, bei „Perk“ anzusetzen, erfolgreich umgesetzt werden konnte. Alle Mäuse einer Kontrollgruppe, die nicht mit dem Wirkstoff behandelt wurden, erkrankten schwer an der Prionenkrankheit.
Obwohl ein kleiner der Teil der erfolgreich behandelten Mäuse eigentlich noch länger leben sollte, um zu erforschen, ob der Wirkstoff auch Auswirkungen auf die Lebensspanne der Tiere hat, mussten die Forscher fast alle Versuchstiere töten. Die Nager hatten durchschnittlich 20 Prozent ihres Körpergewichts verloren und mussten deshalb gemäß den Tierregularien getötet werden. Mit dieser Grenze soll unnötiges Leiden von abgemagerten Tieren verhindert werden. Unter den Versuchstieren waren auch ältere Mäuse, die ab einem Alter von sechs Monaten den Wirkstoff für die Dauer von sieben Wochen erhielten. Bei diesen Nagern war im Gegensatz zu den jüngeren Tieren kein Gewichtsverlust zu verzeichnen. Alle Tiere sollen trotz Gewichtsabnahme „offenkundig fit und aktiv" gewesen sein, schreiben die Forscher.
Wirkstoff weckt große Hoffnung für Alzheimer-Forschung
Nicht nur bei Prionenkrankheiten kommt es zur Ansammlung nicht funktionsfähiger Proteine. Auch neurologische beziehungsweise neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson sind durch das proteinbedingte Absterben von Neuronen gekennzeichnet. Deshalb erhoffen sich Wissenschaftler, dass der neue Wirkstoff auch bei diesen Erkrankungen zum Einsatz kommen kann. Doch zunächst ist eine weiterführende, intensive Forschung notwendig, bevor nur daran zu denken ist, das Mittel am Menschen zu testen.
„Was wirklich erstaunlich daran ist, ist die Entdeckung eines Präparats, dass erstmals vollständig eine Neurodegeneration verhindert. Dieses Mittel würde man noch nicht am Menschen anwenden, aber es bedeutet, dass wir es schaffen können und es ist ein Anfang“, erklärte Mallucci gegenüber „BBC News“.
Da das Enzym „Perk“ nicht nur in Neuronen sondern im ganzen Körper auftritt, hat der Wirkstoff einen Effekt quasi auf den gesamten Organismus. So beeinflusste er auch die Bauchspeicheldrüse und somit die Blutzuckerspiegelregulierung der Mäuse.
Weltweit zeigen sich Experten begeistert und zugleich zurückhaltend im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Wirkstoffs auf Alzheimer und Parkinson. „Ich vermute, dass diese Studie einmal als der Wendepunkt bei der Suche nach einem Mittel gegen Alzheimer gelten wird", sagte Roger Morris vom King’s College London zu „BBC News“. „Ich bin sehr aufgeregt, da das der erste Beweis in einem lebenden Tier ist, dass man Neurodegeneration verzögern kann. Die Welt wird sich deshalb nicht morgen ändern, aber das ist eine wegweisende Studie." (ag)
Bild: Viktor Mildenberger / pixelio.de
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