Schweiz: Medikamente an Patienten in Psychiatrischer Klinik getestet
In einer Psychiatrischen Klinik in der Schweiz wurden Ende der 1950er Jahre nicht zugelassene Medikamente an Patienten getestet. Mehrere Personen kollabierten während der Tests. In Schweizer Medien ist auch von einem Todesopfer die Rede.
Nicht zugelassene Medikamente an Patienten getestet
„Teilnehmer für eine Arzneimittelstudie gesucht“ oder „Verdienen Sie gutes Geld als Testperson“ – solche und ähnliche Aufrufe kann man immer wieder in Anzeigen im Internet lesen. Meist sind es Pharmaunternehmen oder Universitäten, die gesunde oder auch kranke Testpersonen für ihre Forschungen benötigen. Allein in Deutschland werden pro Jahr rund 1.200 solcher Studien durchgeführt, an denen insgesamt etwa 10.000 Probanden beteiligt sind. Doch längst nicht alle Medikamententests werden beziehungsweise wurden mit freiwilligen Teilnehmern durchgeführt. So sind Medienberichten zufolge Ende der 1950er Jahre in der Psychiatrischen Klinik im schweizerischen Herisau (Kanton Appenzell Ausserrhoden) nicht zugelassene Medikamente an Patienten getestet worden.
Patientin bei Versuch gestorben
Auch wenn die Faktenlage derzeit noch etwas dürftig ist, steht wohl fest, dass in der Psychiatrischen Klinik Herisau in der Vergangenheit Medikamente verabreicht wurden, die offiziell noch gar nicht erhältlich waren. Laut einem Bericht der Nachrichtensendung „Schweiz aktuell“ wurde 1957 das Medikament „G 22355“ bei mindestens 18 Patientinnen und Patienten angewendet. „G 22355“ war für Patienten mit einer Depression vorgesehen. Allerdings sei dieses Medikament erst 1958 vom Pharmakonzern Geigy (der heutigen Novartis) auf den Markt gebracht worden. Den Angaben zufolge ist es heute unter dem Namen Tofranil zugelassen. Die Tests hatten zum Teil fatale Folgen: Laut der Nachrichtensendung hatten Patienten dabei Schweißausbrüche oder wurden teilweise ohnmächtig. Eine Patientin ist während eines Versuches demnach sogar gestorben.
„Eine Verletzung grundlegender Menschenrechte“
Kantonsrat Jens Weber zeigte sich entsetzt über diese Medikamentenversuche: „Das ist erschreckend, dass so etwas gemacht worden ist. Und verwerflich, weil Versuche an Menschen gemacht worden sind. Sie gaben kein Einverständnis dafür und das ist eine Verletzung grundlegender Menschenrechte.“ Die Historikerin Marietta Meier meinte: „An den Versuchen war die Pharmaindustrie interessiert, die neue Produkte auf den Markt bringen wollte, aber auch die Ärzte und Kliniken, die von kostenlosen Präparaten profitierten.“
Gesetzliche Vorgaben seien damals anders gewesen
Markus Schmidlin, Direktor des heutigen Psychiatrischen Zentrums Appenzell Ausserrhoden, verteidigte den Einsatz des Testmedikaments. Damals habe es für die Ruhigstellung eines Patienten nur die Alternative mit Opium oder der Zwangsjacke gegeben. „Ob die Person im Zusammenhang mit den Tests gestorben ist, wissen wir nicht. Es ist dokumentiert und das spricht für den Untersuchungsleiter, dass er das nicht vertuschte.“ Außerdem sei die Verabreichung an Patienten früher die übliche Methode gewesen, neue Medikamente einzuführen. „Damals waren die gesetzlichen Vorgaben komplett anders. Die Einhaltung von Sicherheitsstandards mittels kontrollierten Studien war völlig unbekannt.“ Der Regierungspräsident von Appenzell Ausserrhoden, Matthias Weishaupt, sagte: „Die Patienten haben einen Anspruch zu wissen, was dazumal passiert ist ohne deren Wissen. Und eine Gesellschaft muss auch hinschauen und die dunklen Seiten der Psychiatrie-Geschichte aufschlagen.“
Tödliche Menschenversuche westlicher Unternehmen
Medikamententests sind in den vergangenen Monaten vor allem aufgrund der Vorfälle in Frankreich in der Öffentlichkeit thematisiert worden. Dort erlitt ein Freiwilliger nach der Einnahme eines experimentellen Medikaments einen Hirntod. Den Angaben zufolge waren an dem Wirkstoff zuvor bereits Hunde verendet. Auch aus Ländern wie Indien oder Nigeria waren in den letzten Jahren Todesfälle bei Medikamententests gemeldet worden. In Deutschland sorgte vor allem die Meldung über westliche Medikamententests an DDR-Bürgern für Aufsehen. Damals wurde über teilweise tödliche Menschenversuche berichtet. Westliche Pharmafirmen haben demnach über 600 Medikamentenstudien in über 50 DDR-Kliniken in Auftrag gegeben. Solche Tests seien unter anderem an Kranken, Frühgeborenen und Alkoholikern durchgeführt worden, manche endeten tödlich. (ad)
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