Rinderwahnsinn: Tödlich verlaufende Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
08.12.2014
Noch vor wenigen Jahren hieß es, dass der sogenannte „Rinderwahnsinn“ (BSE) in Europa nahezu besiegt sei. Die höchstwahrscheinlich durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch hervorgerufene Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) bleibt scheinbar jedoch weiter gefährlich. Der Erreger der tödlich verlaufenden Krankheit ist noch immer verbreitet.
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verläuft immer tödlich
Anfang des Jahrzehnts wurde berichtet, dass Experten davon ausgehen, dass der sogenannte „Rinderwahnsinn“ (BSE, bovine spongiforme Enzephalopathie) in Europa nahezu besiegt sei. Doch die menschliche Form des Rinderwahns, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, bleibt offenbar gefährlich. Die sogenannte neue Variante der Krankheit (vCJK) wird von der zufällig (sporadisch) auftretenden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit unterschieden. Bei der vCJK kommt es anfangs meist zu depressiver Verstimmung, Ängstlichkeit, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Im späteren Verlauf kommt es zu schweren Bewegungsstörungen und dem Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit (Demenz). Sowohl die sporadische als auch die neue Variante der Gehirnerkrankung verläuft immer tödlich. In einem aktuellen Artikel widmet sich die „Welt“ dem Thema.
BSE kann auf Menschen übertragen werden
Vor rund zwei Jahrzehnten zeigte sich, dass BSE, die Krankheit, die Kühen das Hirn zerfraß, auf Menschen übertragbar ist. Die ersten jungen Frauen und Männer entwickelten Symptome der neuen Seuche. Erste wissenschaftliche Beiträge zur sogenannten vCJK folgten im Jahr 1995. „Für Fachleute war es nicht überraschend, dass BSE übertragen werden kann“, erläuterte Professor Inga Zerr von der Universität Göttingen der „Welt“ zufolge. „Es hat aber keiner daran gedacht, dass die Betroffenen viel jünger sein werden als CJK-Patienten zuvor.“ Die beiden Patienten, über die britische Neurologen damals im Fachmagazin „Lancet“ berichteten, waren 16 und 18 Jahre alt. Der bislang jüngste Patient war den Angaben zufolge bei Krankheitsbeginn zwölf Jahre alt. Menschen mit vCJK sterben im Schnitt vor ihrem 30. Geburtstag. „Die Schwankungsbreite ist allerdings groß“, so Zerr.
Hoffnung auf Auslaufen der Erkrankungswelle
Weltweit waren beim Überwachungszentrum für CJK in Edinburgh bis Juni 2014 insgesamt 229 Fälle der neuen Variante registriert worden, davon 177 aus Großbritannien. „In Deutschland ist bisher kein einziger Fall bekanntgeworden“, erklärte Zerr. Seit dem Höhepunkt im Jahr 2000 sanken die Zahlen und es bestand Hoffnung auf das Auslaufen der Erkrankungswelle. Allerdings warnt Professor Armin Giese von der Ludwig-Maximilians-Universität München: „Die Ruhe kann trügerisch sein.“ Dem Beitrag zufolge könnte der Hälfte der Bevölkerung eine Welle von vCJK-Erkrankungen noch bevorstehen. „Das ist ein sehr realistisches Szenario“, findet auch Zerr. Das Risiko sei jedoch rein theoretisch. Es gebe bisher keine direkten Hinweise. „Es kann auch sein, dass gar nichts passiert“, so die Neurologin. „Und diese Möglichkeit wird von Jahr zu Jahr wahrscheinlicher.“
Falsch gefaltetes Eiweißmolekül für Erkrankung verantwortlich
Creutzfeldt-Jakob wird von einem falsch gefalteten kleinen Eiweißmolekül, einem sogenannten Prion, verursacht. Wenn fehlgeformte Prionen, beispielsweise nach dem Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch, bis ins Gehirn gelangen, kann die fatale Folgen haben. Wie die „Welt“ schreibt, klappen in einer Art Dominoeffekt die körpereigenen Eiweiße in die falsche Faltung um, was wiederum das Hirngewebe degenerieren lässt und schwammartig durchlöcherte Strukturen entstehen. Für das eigene Erkrankungsrisiko ist die Stelle 129 des aus Aminosäuren zusammengesetzten Prions entscheidend. So erkrankten bislang ausschließlich Menschen mit zwei Erbanlagen für die Aminosäure Methionin an dieser Stelle. Ein solches doppeltes Methionin-Gen haben 40 Prozent der Bevölkerung. Über das vCJK-Risiko der zehn Prozent, die eine doppelte Bauanleitung für die Aminosäure Valin ins Erbgut geschrieben haben, ist nichts bekannt. Für die verbleibenden 50 Prozent, die jeweils eine Anlage für Methionin und eine für Valin besitzen, gebe es jedoch düstere Hinweise.
Hormone aus Hirnanhangdrüse von Leichen
So sei es bei der Prionenkrankheit Kuru so gewesen, dass zunächst Menschen mit zwei identischen Genen erkrankten und später auch die mit gemischtem Erbgut. Da es bei dem betroffenen Volk in Papua-Neuguinea üblich war, Fleisch verstorbener Stammesgenossen zu essen, breiteten sich fehlgefaltete Prionen weiter aus und immer mehr Menschen starben, bis der Kannibalismus 1954 verboten wurde. Bei den CJK-Erkrankungen von Menschen, die in den 60er- bis 90er-Jahren Wachstumshormone bekamen, die aus der Hirnanhangdrüse von Leichen gewonnen wurden, habe sich ein ähnlicher Unterschied gezeigt. Die Inkubationszeit sei in beiden Fällen bei den mischerbigen Betroffenen im Mittel doppelt so lang gewesen wie bei den Trägern zweier identischer Gene. Meist werde bei vCJK für die Methionin/Methionin-Bevölkerung von etwa zehn bis 15 Jahren ausgegangen. „Das ist aber nur eine Schätzung, ausgehend vom BSE-Maximum“, so Zerr, „man weiß ja nie, wann der Einzelne sich infiziert hat.“ Für die Hälfte der Bevölkerung könnte die Inkubationszeit somit bei 20 bis 30 Jahren liegen. „Das ist aber reine statistische Spielerei.“
Sicherheit erst in 20 Jahren
Allerdings tragen zahlreiche Menschen falsch gefaltete Prionen, ohne an vCJK erkrankt zu sein. „Nach ersten Fällen hat man in Großbritannien gezielt geprüft: Wie hoch ist die Durchseuchung der Bevölkerung?“, so Giese. Durch die Untersuchung von tausenden Gewebeproben von bei OPs entfernten Mandeln und Blinddärmen zeigte sich, dass „im Mittel je einer von 2000 Menschen Träger falsch gefalteter Prionen“ ist. Wie der Prionenforscher erläuterte, bedeute das Ergebnis jedoch nicht, dass die Krankheit bei all diesen Menschen noch ausbrechen werde. „Es kann sein, dass die Menge im Körper niedrig bleibt, und sie niemals krank werden.“ Auch wenn klar sei, dass mit den vielen Trägern ein Risiko bestehe, krank machende Prionen über Operationsbesteck oder bei Blutspenden zu übertragen, sind bislang in der Datenbank in Edinburgh lediglich drei auf Blutspenden zurückgehende vCJK-Tote erfasst. „Schlimmstenfalls kann die Krankheit endemisch werden“, so Zerr. Im besten Fall passiere gar nichts. „Erst in 20 Jahren wird man sicher sagen können: Es ist alles gutgegangen.“
Keine Therapie und kein zugelassener Bluttest
An der sporadischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit werden davon unabhängig weiter jedes Jahr 100 bis 130 Menschen erkranken. Der Großteil der Patienten sind 60 bis 70 Jahre alt. „Nur drei bis sechs Erkrankte jährlich sind jünger als 50“, erläuterte Zerr. Gegen die Krankheit gibt es keine Therapie und keinen zugelassenen Bluttest zur Diagnose. „Für die großen Pharmafirmen ist das wegen der geringen Fallzahlen nicht interessant“, so Zerr. Bei Erkrankten treten zunächst Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, Persönlichkeitsveränderungen, Lähmungen und Demenz auf. Im weiteren Verlauf führt die Krankheit zu immer mehr Fehlern und schließlich dem völligen Versagen aller Hirnfunktionen. Betroffene verharren im Endstadium, das lange anhalten kann, in einer Art Starre ohne Möglichkeit, noch Kontakt mit dem Umfeld aufzunehmen. „Übrig bleibt eine atmende und stoffwechselnde Hülle mit pumpendem Herzen“, so Giese.
Erkrankung ließ sich im Tierversuch verlangsamen
Die sporadische CJK führt im Mittel binnen sechs Monaten zum Tod, die andere Variante in gut doppelt so langer Frist. Auch wenn es keine eindeutigen Unterschiede bei den Symptomen gibt, ist eine sichere Unterscheidung dennoch möglich. „Bei der vCJK gibt es bläschenförmige Veränderungen mit typischen Ablagerungen im Gehirn“, erklärte Zerr. Dies lasse sich aber erst nach dem Tod prüfen. „Zu Lebzeiten lassen sich im Kernspin bestimmte Veränderungen im Thalamus als helles Signal erkennen.“ Ein Bluttest auf CJK funktioniere als Testansatz zwar bereits, doch es gebe noch zu viele positive Resultate, also ein Anschlagen auch ohne Erreger. Auch nach einer Therapie wird weiter geforscht. Dabei sei der Wirkstoff „anle138b“, der in den Umfaltungsprozess eingreife, Giese zufolge ein Hoffnungsträger. Zumindest im Tierversuch ließ sich die Erkrankung damit verlangsamen. Klinische Studien mit ersten Patienten sollen im kommenden Jahr beginnen. Allen bisherigen Therapieansätzen gemein ist, dass sie nur bei einem sehr frühen Eingreifen nützen. „Nervenzellen, die verloren sind, bleiben verloren“, sagte Giese. Zerr ergänzte, dass eine interessante und wichtige „Nebenerkenntnis“ der CJK-Forschung sei, dass ähnliche Prozesse im Gehirn wohl auch bei der Parkinson- und Alzheimer-Krankheit eine Rolle spielen. „Das hätten wir ohne die intensive Prionenforschung nicht erkannt.“ (ad)
Bild: Marco Görlich / pixelio.de
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