Immer mehr Querschnittsgelähmten kann durch neue technologische Entwicklungen geholfen werden. Nun kann ein junger Mann aus Dublin im US-Staat Ohio sogar mithilfe eines Chips im Gehirn seine Hand bewegen. Im Fachmagazin “Nature“ berichten die Wissenschaftler vom Battelle Memorial Institute und von der Ohio State University vor ihrer innovativen Entwicklung.
Querschnittslähmung bedeutet drastische Veränderungen des Lebens
Ob ein schwerer Unfall beim Sport, eine Infektion oder Krebserkrankung: Es gibt viele Ursachen für eine Querschnittslähmung, welche für die Betroffenen massivste Auswirkungen hat und eine schlagartige Veränderung des gesamten Lebens bedeutet. Dank der stetig fortschreitenden technologischen Entwicklung kann Patienten jedoch immer besser geholfen werden. Nun haben US-Mediziner eine neue Technologie vorgestellt, durch welche ein querschnittsgelähmter Mann die rechte Hand allein durch seine Gedanken bewegen kann.
Wie die Forscher vom Battelle Memorial Institute und von der Ohio State University in Columbus im Fachjournal „Nature“ berichten, sei dies durch einen Chip im Gehirn möglich, welcher Gedanken und Gehirnsignale übersetzt. Das verletzte Rückenmark werde dabei umgangen, stattdessen entstehe eine direkte Verbindung mit einer Manschette, welche diejenigen Muskeln elektrisch stimuliert, die den Arm und die Hand steuern, so die Wissenschaftler in ihrem Bericht.
Chip im Gehirn setzt Hirnaktivitäten in Bewegungen um
„Wir haben zum ersten Mal gezeigt, dass ein Tetraplegiker-Patient in der Lage ist, sein Niveau der motorischen Funktion und Handbewegungen zu verbessern”, so Dr. Ali Rezai, Co-Autor der Studie und Neurochirurg an der Ohio State Wexner Medical Center, laut einer Mitteilung des Battelle-Instituts. Die Wissenschaftler hatten im Jahr 2014 dem damals 24 Jahre alten, querschnittsgelähmten Ian Burkhart aus Dublin (Ohio) einen erbsengroßen Computerchip in das Hirnareal eingepflanzt, welches für die Steuerung der Bewegungen zuständig ist. Stellte sich Burkhart nun beispielsweise eine Bewegung wie das „Hand öffnen” vor, produzierte sein Gehirn daraufhin bestimmte Aktivitäts-Muster.
Die Experten entwickelten eine spezielle Software, mithilfe derer diese Muster decodiert und die Gedanken des Probanden dadurch in Handbewegungen umgesetzt werden konnten. Infolgedessen war Burkharts Hand in der Lage, die gedachte Bewegung tatsächlich auszuführen. Mittlerweile sei es dem Mann sogar möglich, eine Kreditkarte zu händeln und mit den eignen Fingern und Händen ein Gitarren-Videospiel zu spielen, so die Mitteilung des Instituts.
Zweiter Patient soll neue Technik ab Sommer testen
„In den vergangenen zehn Jahren haben wir gelernt, die Hirnsignale von vollständig gelähmten Patienten zu entziffern. Nun werden diese Gedanken zum ersten Mal in Bewegung verwandelt“, sagte der Leiter des Battelle-Teams, Chad Bouton laut der Pressemitteilung. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Signale, die aus dem Gehirn aufgenommen wurden und um eine Verletzung des Rückenmarks umgeleitet werden, die Wiederherstellung der funktionellen Bewegung und sogar die Bewegung einzelner Finger ermöglichen“, so der Wissenschaftler weiter.
Eine breite Anwendung der Technik scheint jedoch derzeit noch eine Zukunftsvision, denn Burkhart war der erste von fünf möglichen Teilnehmern der klinischen Studie. Rezai und sein Kollege Dr. Jerry Mysiw hätten aber schon einen zweiten Patienten identifiziert, der im Sommer in die Studie aufgenommen werden solle. „Die Teilnahme an dieser Forschung hat mich in dem Sinne verändert, dass ich jetzt viel mehr Hoffnung für die Zukunft habe”, wird Burkhart in der Mitteilung zitiert. „Ich hatte immer ein gewisses Maß an Hoffnung, aber jetzt weiß ich aus erster Hand, dass es Fortschritte in Wissenschaft und Technik gibt, die mein Leben besser machen werden“, so der Mann, der seit einem Tauchunfall vor sechs Jahren querschnittsgelähmt ist.
Forscher hoffen auf Entwicklung eines drahtlosen Systems
Bei dem derzeitigen System sind die einzelnen Teile noch per Kabel miteinander verbunden, doch der Neurochirurg Ali Rezai von der Ohio State University setzt auf einen baldigen Fortschritt. „Wir hoffen, dass sich diese Technik zu einem drahtlosen System entwickeln wird, das Hirnsignale und Gedanken mit der Außenwelt verbindet, um die Funktion und die Lebensqualität für Menschen mit Behinderungen zu verbessern“, so der Experte. Demnach sei es der wichtigsten Ziele, diese Technik ohne weiteres zugänglich zu machen, um von Patienten zu Hause verwendet werden zu können.
Der neu entwickelte Chip ist nicht die erste Technologie, die Querschnittsgelähmten Hoffnung auf mehr Lebensqualität gibt. Schon 2011 war es der Nachrichtenagentur „dpa“ zufolge einer Forschungsgruppe um Susan Harkema von der Universität Louisville (Kentucky/USA) gelungen, einem Gelähmten mit Hilfe elektrischer Muskelstimulation für einige Minuten in die stehende Position zu bringen. Ein Jahr später berichtete ein Team um Susan Mackinnon von der Washington University in St. Louis (Missouri) von einem Mann, der nach einem operativen Eingriff wieder etwas greifen konnte. In diesem Fall hatten die Mediziner Nerven des Betroffenen neu miteinander verbunden, woraufhin der Nerv, der ursprünglich Befehle für den Oberarm gab, nun an die Finger sendete.
Jährlich etwa 1.800 Menschen in Deutschland betroffen
Eine so genannte „Querschnittslähmung“ entsteht, wenn das Rückenmarks auf einer bestimmten Höhe geschädigt wird und dadurch die elektrischen Impulse nicht mehr weiterleiten kann. Die unterhalb der beschädigten Stelle liegenden Bereiche des Körpers können dann nicht mehr durch das Gehirn beeinflusst werden, wodurch es zu einer Lähmung der betroffenen Gliedmaßen kommt. Die „Tetraplegie“ stellt dabei die schwerste Form dar, welche durch den Bruch des Rückenmarks auf Höhe der Halswirbelsäule entsteht. In der Folge sind sowohl Beine als auch Arme betroffen, teilweise müssen Betroffene zudem künstlich beatmet werden. Die häufigste Ursache für eine Querschnittlähmung sind Unfälle im Straßenverkehr oder beim Sport, hinzu kommen erkrankungsbedingte Fälle z.B. durch eine Krebserkrankung oder Infektionen. Allein hierzulande sind laut der Deutschen Stiftung Querschnittslähmung (DSQ) circa 1.800 Menschen jährlich von diesen Schicksalsschlag betroffen. (nr)
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