Studie bringt wichtige neue Erkenntnisse über chronische Lungenbeschwerden
Im unserem Atemtrakt befinden sich feinste Flimmerhärchen, die sich in einem schützenden Schleimhautfilm hin- und her bewegen und dadurch Staub, Fremdkörper und Krankheitserreger in Richtung Nasenrachenraum abtransportieren. Können diese Härchen ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, entstehen schwere Atemwegsinfektionen und Atembeschwerden wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Bislang war jedoch ungeklärt, wie es konkret zu einem Defekt der Flimmerhärchen auf genetischer Ebene kommt. Nun ist es einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Göttinger Wissenschaftlerin Dr. Muriel Lizé gelungen, ein spezielles Protein zu identifizieren, welches möglicherweise für den Defekt verantwortlich ist. Die Forschungsergebnisse wurden im Fachmagazin „Genes & Development“ veröffentlicht.
Feine Flimmerhärchen transportieren Schadstoffe ab
Jeden Tag atmen wir etwa 20.000 Mal ein und aus. Bei jedem Atemzug nehmen wir den lebensnotwendigen Sauerstoff auf, doch zugleich können auf diesem Wege auch zahlreiche kleinste Partikel („Feinstaub“), reizende Schadstoffe und winzige Krankheitserreger (Bakterien, Pilze oder Viren) in die Atemwege gelangen. Damit die Organe vor den schädlichen Stoffen geschützt werden, ist der gesamte Atmungsapparat – abgesehen von Rachen, Kehldeckel und Stimmbändern – mit einer Schleimhaut ausgekleidet, die aus einer speziellen Zellschicht besteht. Die Zellen dieses so genannten „Flimmerepithels“ sind an der Oberfläche mit feinen Flimmerhärchen ausgestattet (Zilien), die ununterbrochen rhythmische Schläge ausführen und dadurch Flüssigkeit bewegen. Kleine Staubpartikel oder Bakterien bleiben auf der feuchten Schleimhaut haften und werden so von den Flimmerhärchen in Richtung Rachen abtransportiert und schließlich automatisch hinuntergeschluckt.
Internationales Forscherteam identifiziert spezielles Protein
Bei bestimmten Krankheiten wie der so genannten “primären ciliären Dyskinesie (PCD)” ist die Funktionsfähigkeit der Flimmerhärchen jedoch eingeschränkt, berichtet die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) in einer aktuellen Pressemitteilung. Bei dieser handelt es sich um eine relativ seltene Erkrankung, bei der die Funktionsstörung genetisch bedingt ist und dazu führt, dass sich Flüssigkeit ansammelt und Fremdkörper oder Krankheitserreger nicht mehr weiter bewegt werden können. In der Folge entstehen chronische Atemwegsinfektionen und schwerwiegende Atembeschwerden, wie die so genannte „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“ (engl. “Chronic Obstructive Pulmonary Disease”, kurz COPD), die umgangssprachlich oft auch als „Raucherlunge“ oder „Raucherhusten“ bezeichnet wird.
Doch diese Erkrankungen werfen in der Wissenschaft immer noch Fragen auf, denn bislang war z.B. unklar, wie genau es auf Ebene der Gene zu einem Defekt der Flimmerhärchen kommt, so die Mitteilung. Nun hat jedoch ein internationales Forscherteam unter Leitung der Göttinger Wissenschaftlerin Dr. Muriel Lizé offenbar ein bestimmtes Protein identifiziert, welches in Zellen ein Netzwerk von Genen reguliert, das für die Bildung der Flimmerhärchen zuständig ist. Die neuen Erkenntnisse könnten den Wissenschaftlern zufolge zu einem besseren Verständnis der Ursachen von chronischen Lungenerkrankungen beim Menschen beitragen.
Mäuse zeigen Symptome wie bei seltener Atemwegserkrankung
Die Wissenschaftler waren der Ursache eines möglichen Flimmerhärchen-Defekts der Mitteilung zufolge durch eine Beobachtung im Tier-Experiment auf die Spur gekommen. Das Team erkannte, dass bei Mäusen mit einem Gendefekt, der bislang nicht mit der PCD in Verbindung gebracht worden war, trotzdem typische Symptome der Erkrankung auftraten. Es zeigte sich, dass bei diesen Tieren jenes Gen mutiert war, das den Bauplan für das Protein p73 liefert, so der Bericht weiter. Dieses ist vor allem dafür bekannt, dass es den Organismus vor krebsartigen Entartungen schützt und an Entwicklungsprozessen beteiligt ist.
„Mäuse ohne funktionsfähiges p73 zeigen vielfältige Symptome, die sich nicht mit den bisher bekannten Funktionen von p73 erklären ließen“, so die Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare und Experimentelle Pneumologie am Institut für Molekulare Onkologie und an der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Dr. Lizé. Weitere Untersuchungen ließen erkennen, dass die Mäuse ohne dieses Protein an Schnupfen, Entzündungen der Nasennebenhöhlen und an Lungenemphysemen litten.
Vollkommen verkümmertes Flimmerepithel
„Das alles sind Symptome, die wir von Mäusen kennen, bei denen die Flimmerhärchen nicht voll funktionsfähig sind“, so die Molekularbiologin. Unter dem Mikroskop erkannten die Wissenschaftler massive Veränderungen im Atmungsapparat der Tiere. „Das Flimmerepithel war vollkommen verkümmert, wir fanden fast keine Flimmerhärchen. Und die wenigen vorhandenen waren deutlich verkürzt“, wird Dr. Dietmar Riedel vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, in der Mitteilung zitiert.
Zellen ohne p73 bilden weniger Flimmerhärchen aus
Um herauszufinden, ob das Protein p73 tatsächlich die Ursache für die defekten Härchen ist, züchteten sie Epithelzellen aus den Atemwegen von Mäusen im Reagenzglas und brachten diese durch einen speziellen Reiz dazu, Flimmerhärchen zu bilden. Auch hier zeigte sich das gleiche Muster wie in den Atemwegen der Mäuse: Die Zellen ohne das Protein entwickelten deutlich weniger und kürzere Flimmerhärchen als die mit funktionsfähigem p73.
Das Fehlen des Proteins hatte sich demnach offenbar direkt auf deren Ausprägung ausgewirkt und dadurch die schweren Atemwegserkrankungen ausgelöst. Für die Forscher eine echte Überraschung, „denn bisher hatte man das Protein p73 noch nie mit einer Funktion in den Atemwegen in Verbindung gebracht“, sagt Dr. Lizé.
Neuer Ansatzpunkt für verbesserte Therapien
Darüber hinaus erforschte das Göttinger Team die Bedeutung des Proteins bei der Entwicklung von Flimmerhärchen. Auf Basis bisheriger Erkenntnisse nahmen die Forscher an, dass p73 die Bildung dieser durch die Beeinflussung bestimmter Gene reguliert. In Kooperation mit der Forschergruppe von Dr. Stefan Bonn vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), gelang es den Experten, mehr als 50 Gene zu identifizieren, die von p73 kontrolliert wurden und für das Wachstum der Härchen unmittelbar wichtig sind. Dazu gehörte auch der so genannte „Faktor FoxJ1“, der als zentraler Regulator der Flimmerhärchen-Bildung gilt, so die Information der Universität.
„Mit p73 haben wir einen Faktor identifiziert, der ein ganzes Netz von Genen kontrolliert, die für ein funktionsfähiges Flimmerepithel wichtig sind. Dies bietet einen neuen Ansatzpunkt, um Therapien für Krankheiten wie PCD und COPD zu entwickeln und zu verbessern“, resümiert Dr. Lizé. (nr)
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