Mehr Kinder rutschen in eine Depression ab
28.12.2014
Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland werden wegen einer Depression behandelt. Täglich haben sie mit ihrer Schwermut zu kämpfen, keine Lust aufzustehen oder Freunde zu treffen. Unter anderem die höheren Leistungsanforderungen in der Schule können eine Erkrankung begünstigen.
Verhalten wird oft auf Pubertät geschoben
Bei ihrem zarten Händedruck senkt Sybille die Augen und ihre Worte sind nur ganz leise: „Ungefähr vor drei Jahren hat es angefangen. Ich wollte nur noch im Bett liegen und hatte keine Lust auf irgendwas mehr, nicht mal meine beste Freundin wollte ich sehen.“ Der schüchterne Blick der 14-Jährigen huscht nach den wenigen Worten schnell zu Boden und ein unsicheres Lachen ist zu vernehmen. Mittlerweile wissen ihre besten Freunde, ihre Mitschüler und die Familie, dass Sybille depressiv ist, doch das war nicht von Anfang an so. Ihrer Mutter hat sich das Mädchen erst spät anvertraut. Die 39-jährige Hannoveranerin berichtet: „Ich habe das Verhalten meiner Tochter zunächst auf die Pubertät geschoben. Erst als die Stimmungsschwankungen extrem wurden, habe ich mit ihr professionelle Hilfe gesucht.“ Seit etwa eineinhalb Jahren steht die Diagnose Depression fest.
„Höhere Leistungsanforderungen in der Schule“
Wie Statistiken zeigen, wird mittlerweile bei immer mehr Kindern und Jugendlichen eine Depression diagnostiziert. Bundesweit leidet demnach jeder 20. Jugendliche daran. Die Nachrichtenagentur dpa hatte vor kurzem berichtet, dass das Statistische Bundesamt im Jahr 2000 noch 2.145 Fälle zählte, in denen Jugendliche wegen dieser psychischen Erkrankung stationär betreut wurden. Zwölf Jahre später waren es aber bereits 12.567 Jugendliche. Sybille wurde ein halbes Jahr lang in einer Klinik behandelt. In einer aktuellen dpa-Mitteilung meint der Kinder- und Jugendpsychologe Professor Martin Holtmann vom Universitätsklinikum Hamm, dass sich dieser Anstieg nicht allein mit einer verbesserten Diagnostik und größerer Bereitschaft, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, erklärt. „Auch höhere Leistungsanforderungen in der Schule sowie Veränderungen im Familienbild können eine Depression begünstigen“, so der Experte. Zudem verweist die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) auf das frühere Eintreten der Pubertät, das die Wahrscheinlichkeit einer Depression wiederum erhöht.
Zusammenspiel verschiedener Faktoren
Es lässt sich selten herausfinden, was genau eine Depression auslöst, da es oft auch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren ist. Wie Holtmann erläutert, könne das von Stress in der Schule bis zur Trennung der Eltern reichen. Auch Sybille ist sich nicht sicher, wie es bei ihr dazu kam und meint leise: „Wegen der Schule aber auch persönlich“. Ihre Mutter frustriert das: „Ich bitte Sybille immer wieder, dass sie mir mehr erklärt.“ Doch der 14-Jährigen fällt es offenbar schwer, mit ihrer Mutter darüber zu reden. Anderen vertraut sie sich inzwischen an, auch wenn es dauerte, bis sie zu ihrem Psychologen Vertrauen fasste. Mittlerweile geht sie einmal wöchentlich zu ihm und teilweise ist auch ihre Mutter bei den Terminen dabei. Psychotherapie von Kindern ist auch immer eine Familienbehandlung, erklärt Holtmann. Wie wichtig dies ist, zeigen die jeweiligen Erfahrungen der Betroffenen. Auch Sybilles Mutter bleibt häufig hilflos: „Oft denke ich, es wird besser und dann geht es plötzlich wieder bergab mit meiner Tochter.“
Symptome der Krankheit
Mutter und Tochter fällt es meist schwer, damit umzugehen. Bei Sybille fängt ein Tief zunächst mit schlechter Laune an, die sich dann festsetzt. Sie erlebt viele der verschiedenen Symptome der Krankheit wie etwa Konzentrationsprobleme, innere Unruhe, Schlafstörungen, Antriebsarmut und vermindertes Selbstbewusstsein. Ihre Mutter erzählt von den schweren Phasen: „Wenn es besonders schlimm ist, denkt Sybille dass sie nichts wert ist und dass sich alle gegen sie verschworen haben, auch ich.“ Die 39-Jährige kann sich die Schwermut ihrer Tochter nicht erklären und hat Angst um sie. Die Internetplattform Fideo (Fighting Depression Online), auf der Angehörige und Betroffene anonym diskutieren und sich über die Krankheit informieren können, kann vielen helfen. „Viele Jugendliche quälen sich mit Themen wie Mobbing, schlechten Schulnoten oder dem Umgang mit ihren Eltern“, so Julia Ebhardt, Projektleiterin von Fideo.
Behandlung von Depressionen meist ambulant
Nach Expertenmeinungen kann man zwar Depressionen nicht immer vorbeugen, doch bestimmte Faktoren können oft helfen, das Risiko von sogenannten depressiven Episoden zu mindern. Dazu zählen beispielsweise manche sportlichen Aktivitäten wie Radfahren oder Methoden zum Stressabbau. Unter anderem bieten sich dafür Entspannungstechniken wie Yoga, Autogenes Training, Tai Chi oder Progressive Muskelrelaxation an. Zudem kann eine Aromatherapie das Wohlbefinden verbessern und den Abbau von Druck und Anspannung begünstigen. Bei der Behandlung von Depressionen spielen neben Medikamenten wie Antidepressiva oder Neuroleptika auch psychotherapeutische Verfahren, wie die kognitive Verhaltenstherapie eine wichtige Rolle. In der Regel werden Depressionen ambulant behandelt. Doch bei gravierenden Indikationen wie Selbstmordgefahr raten Fachleute zu einem Klinikaufenthalt. Diese Gefahr bereitet auch Sybilles Mutter Sorgen: „Meine Tochter redet mit anderen depressiven Jugendlichen, aber ich weiß nicht, über was. Ich befürchte immer wieder, dass sie andere auf dumme Gedanken bringen können und sie sich etwas antut.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.