Neue Forschungserkenntnisse: Natürliche Darmflora kann Multiple Sklerose auslösen
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die genauen Ursachen der Krankheit sind bislang weitgehend unklar. Ein Forscherteam hat nun Hinweise darauf gefunden, dass menschliche Darmbakterien MS auslösen können.
Ursachen von Multipler Sklerose
Experten zufolge ist Multiple Sklerose (MS) die häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die genauen Ursachen der Krankheit sind noch nicht geklärt. Es wird angenommen, dass unter anderem erbliche Faktoren und Umwelteinflüsse zu einer Fehlreaktion des Immunsystems führen. Deutsche Forscher berichteten zudem, dass spezielle Gerinnungsfaktoren mögliche Auslöser von MS sein könnten. Und ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun Hinweise darauf gefunden, dass menschliche Darmbakterien Multiple Sklerose auslösen können.
Unheilbare Krankheit
Trotz intensiver Forschung gilt die Erkrankung noch immer als unheilbar. Dennoch schauen Forscher vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Dank neuer Medikamente ist MS immer besser beherrschbar.
Zudem können bestimmte Pflanzenpeptide den MS-Verlauf stoppen, wie Wissenschaftler feststellten.
Untersuchungen zufolge kann man auch mit richtiger Ernährung Multiple Sklerose verlangsamen.
Und Experten verschiedener Forschungseinrichtungen berichteten im Fachjournal „Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry“, dass ein erhöhter Kaffeeverzehr das MS-Erkrankungsrisiko um bis zu 30 Prozent senken kann.
Auch bei der Erforschung der Auslöser der Krankheit wurden nun weitere Erfolge erzielt.
Nervenreize werden nicht mehr korrekt weitergegeben
Bei Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose greifen fehlgeleitete Zellen des Immunsystems körpereigene Zellen im Gehirn und Rückenmark an.
Der von autoaggressiven T-Zellen ausgelöste Angriff schädigt die betroffenen Nervenzellen und führt zum Abbau ihrer Hüllschicht. Zellen sterben ab und Nervenreize werden nicht mehr korrekt weitergegeben.
Potentiell autoaggressive T-Zellen hat jeder Mensch, doch sind die Zellen in der Regel lebenslang im „Schlafzustand“. Bei manchen Menschen wird jedoch das pathogene Potential dieser Zellen geweckt – es kommt zum Ausbruch der MS.
Den Grund für diese Aktivierung vermuten Wissenschaftler in einer Kombination aus Genetik und Umweltfaktoren.
„Wir kennen mittlerweile mehr als 200 Gene, die den Menschen für eine MS-Erkrankung empfänglich machen“, erklärt Hartmut Wekerle vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in einer Mitteilung.
„Damit es zum Ausbruch kommt, braucht es jedoch einen Auslöser, der bisher im Umfeld von Infektionen gesucht wurde.“
Auslöser in der natürlichen Darmflora
Schon vor Jahren fanden der Experte und Kollegen heraus, dass dieser Auslöser vermutlich in der natürlichen Darmflora zu suchen ist.
Nun konnten sie zeigen, dass Mikroorganismen im Darm genetisch veränderter, autoimmuner Mäuse T-Zellen aktivieren konnten, worauf die Tiere eine der menschlichen Erkrankung ähnliche Entzündung im Gehirn entwickelten.
Nachdem in Tierversuchen gezeigt werden konnte, dass Darmbakterien Multiple Sklerose auslösen können, untersuchte und verglich eine Vielzahl von Studien die Zusammensetzung der Darmflora von gesunden und an MS erkrankten Menschen.
„Die genetische Diversität dieser Menschen und ihrer Darmflora machte es jedoch sehr schwer, konkrete Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen“, so Wekerle.
„Zudem sagt das Vorhandensein eines bestimmten Mikroorganismus bei MS-Patienten noch nichts darüber aus, ob dieser tatsächlich eine Funktion bei der Krankheitsentwicklung übernimmt. Das kann nur mit Hilfe von Tierversuchen geklärt werden.“
Diese Schwierigkeiten umgingen die Forscher nun in einem großen Kooperationsprojekt, in dem sie klinische Untersuchungen und Grundlagenforschung eng miteinander verknüpften.
Nur jeweils ein Zwilling erkrankt
Die Grundidee des Kooperationsprojekts war der Vergleich der Darmflora eineiiger Zwillingspaare. In seltenen Fällen haben MS-Patienten eineiige Zwillingsgeschwister, wobei in den meisten dieser Fälle dann nur ein Zwilling an Multipler Sklerose erkrankt, während der andere gesund ist.
Dies ist ein Hinweis dafür, dass bei der MS-Entstehung andere als nur genetische Faktoren wirksam sind.
Im Rahmen des Kooperationsprojekts wurden deutschlandweit mittlerweile mehr als 50 eineiige Zwillingspaare rekrutiert, bei denen jeweils ein Zwilling an Multipler Sklerose erkrankt ist.
Da jedes Zwillingspaar genetisch identisch ist, sollten sich auf diese Weise MS-relevante Unterschiede der Darmflora aufdecken lassen. Denn der Einfluss der menschlichen Gene auf die Darmflora kann bei den paarweisen Vergleichen vernachlässigt werden.
Funktionelle Rolle bei der T-Zellaktivierung
Beim Vergleich der Darmflora der Zwillinge zeigten sich einige interessante, wenn auch subtile Unterschiede.
„Richtig spannend wurde es jedoch, als wir die keimfrei gehaltenen, genetisch veränderten Mäuse mit den jeweiligen menschlichen Mikrobiomen impften“, berichtet Guru Krishnamoorthy vom Max-Planck-Institut für Biochemie.
Tiere, die Darmfloraproben der MS-kranken Zwillinge bekamen, erkrankten zu fast hundert Prozent an der MS-ähnlichen Hirnentzündung.
Die Untersuchungen bestätigten erstmals, dass Bestandteile der Darmflora von MS-Patienten eine funktionelle Rolle bei der T-Zellaktivierung spielen und somit ein Auslöser für die Multiple Sklerose beim Menschen sein können.
In Frage kommende Mikroorganismen weiter eingrenzen
„Nun kommt es darauf an, die in Frage kommenden Mikroorganismen weiter einzugrenzen und zu untersuchen“, so Wekerle.
Der Mediziner gibt jedoch zu bedenken, dass sich die Untersuchungen sicher über Jahre hinwegziehen werden und nach wie vor offen ist, ob und welche Diagnose- und Therapieverfahren daraus entstehen können.
Von der derzeit in den Medien diskutierten „Fäkaltransplantation“ (Stuhltransplantation) von gesunden Menschen auf MS-Patienten als „schnelle Hilfe“ hält er allerdings nichts: „Da weiß man nie genau, was drin ist!“
Neben den Experten von den Max-Planck-Instituten für Neurobiologie und für Biochemie in Martinsried bei München waren auch Forscher von der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und den Universitäten von California (San Francisco) und Münster an der wissenschaftlichen Arbeit beteiligt. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.