Migration: Migrantinnen und Migranten sind im Vergleich zu Deutschen doppelt so häufig psychisch krank
13.09.2012
Menschen mit Migrationshintergrund leiden in Deutschland deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Auch ergeben sich im Zuge der Behandlung oftmals sprachliche Barrieren, die Fehldiagnosen, eine falsche Einnahme der Medikamente und allgemeine Komplikationen hervorrufen können.
Auf dem 12. Hauptstadtsymposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin haben Experten der Universität Bielefeld, der Berliner Charité Universitätsmedizin, der LVR-Klinik Köln, des Universitätsklinikums Bonn und der Medizinische Hochschule Hannover (MHH) die speziellen gesundheitlichen Problemen der Migranten in Deutschland und die entsprechenden Herausforderungen für das Gesundheitssystem thematisiert. Einen Schwerpunkt bildete die seelische Gesundheit der Menschen mit Migrationshintergrund.
Arbeitslosigkeit, Heimweh, Sprachprobleme als Ursache psychischer Beschwerden
Unter der Überschrift „Psychisch krank durch Migration? Perspektiven der Migrationspsychiatrie in Deutschland“ haben die Experten am Mittwoch auf dem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) die spezielle Anfälligkeit der Menschen mit Migrationshintergrund für psychische Erkrankungen erläutert und Probleme durch sprachliche Barrieren im Gesundheitssystem aufgezeigt. Verschiedene frühere Studien haben bereits darauf hingewiesen, „dass eine geringe Integration in die Gesellschaft die Entstehung von psychischen Erkrankungen begünstigt“, berichtete die DGPPN. Darüber hinaus sei zu den psychischen Erkrankungen in dieser Personengruppe und deren medizinisch-psychiatrischer Versorgung jedoch wenig bekannt. Dr. med. Meryam Schouler-Ocak von der Berliner-Charité benannte in ihrem Vortrag „Zur interkulturellen Öffnung des psychosozialen Gesundheitssystems und der Versorgung von Migranten“ Arbeitslosigkeit, Vereinsamung, Heimweh, schlechte Bildung, Sprachprobleme und schlechte Wohnverhältnisse als wesentliche Risikofaktoren für die hohe Zahl der psychischen Erkrankungen bei Migrantinnen und Migranten.
Sprachbarrieren bei der Therapie
Laut Dr. med. Meryam Schouler-Ocak neigen viele Menschen mit Migrationshintergrund zum Beispiel aus Scham oder Unwissenheit dazu, deutlich zu spät ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gehen sie schließlich zum Arzt, ergeben sich häufig Sprachprobleme, die dazu führen, dass Fehldiagnosen gestellt, Medikamente falsch eingenommen oder bestimmte Therapien den Patienten vorenthalten werden, ergänzte Prof. Dr. med. Wolfgang Maier vom Universitätsklinikum Bonn, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Zwar gebe es seit gut zwanzig Jahren die Forderung nach einer interkulturellen Checkliste für Krankenhäuser und andere größere Gesundheitseinrichtungen, doch diese scheitere bisher am Geld, da die Krankenkassen sie nicht finanzieren, berichteten die Experten auf dem 12. Hauptstadtsymposium.
Kulturelle Öffnung des Gesundheitswesens gefordert
Schouler-Ocak sprach sich für eine stärkere kulturelle Öffnung des Gesundheitswesen aus und betonte, dass „nicht nur dringend mehr muttersprachliche Therapeuten, sondern vor allem auch fachlich geschulte Dolmetscher für die Kliniken“ erforderlich seien. Aufgrund der fehlenden Finanzierung behelfe man sich heute noch häufig „notgedrungen mit Angehörigen oder dem Bettnachbarn, aber das ist ja nicht dasselbe“ wie ein professioneller Dolmetscher, erklärte Meryam Schouler-Ocak. Das Kostenargument ließ Schouler-Ocak nicht gelten, denn nicht behandelte Erkrankungen würden „chronisch und dann erst recht teuer.“ Arbeitsunfähigkeit und Frührente seien schon heute bei Migranten häufiger als beim Durchschnitt der Bevölkerung.
Migrantinnen leiden besonders häufig an psychischen Beschwerden
Iris Calliess von der Medizinische Hochschule Hannover erläuterte in ihrem Vortrag „Sozialpsychiatrische Aspekte: Risikofaktor Migration?“, dass bislang zwar keine belastbaren Zahlen zu den psychischen Erkrankungen der Migrantinnen und Migranten vorliegen, doch Hinweise darauf bestehen, „dass Frauen insgesamt belasteter sind.“ So sei beispielsweise bekannt, dass jungen Türkinnen sich rund doppelt so häufig das Leben nehmen, wie der Durchschnitt ihrer Altersgenossinnen deutschlandweit. Ältere Türkinnen leiden häufiger unter sogenannten Somatoformen Störungen, das heißt Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen, die nicht auf eine körperliche Ursachen zurückgehen, erläuterte Calliess. Ursache für die vermehrten psychische Beschwerden sowie eine erhöhte Suizidrate bei jungen Männern aus Osteuropa seien indes vor allem starke Suchtprobleme. Insgesamt leiden Menschen mit Migrationshintergrund laut Aussage der Experten rund doppelt so häufig an psychischen Erkrankungen, wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Da 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben, bestehe „dringender Entwicklungsbedarf in der Versorgung dieser Personengruppen, insbesondere bezüglich fremdsprachiger und kultursensibler Therapieangebote“, so die Mitteilung der DGPPN. (fp)
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Bild: Jerzy / pixelio.de
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