Krankenhaus-Report: Mindestmengen für bestimmte Operationen gefordert
„Übung macht den Meister“: Dieses alte Sprichwort gilt auch für medizinisches Personal. Neue Untersuchungen zeigen: Je häufiger ein Eingriff erfolgt, desto besser sind die Behandlungsergebnisse für den Patienten. Experten fordern, die Mindestmengenregelung für Kliniken zu verschärfen.
In Deutschland wird sehr viel operiert
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder kritisiert, dass in deutschen Kliniken zu viel und zu schnell operiert wird. Patienten wird daher geraten, im Zweifelsfall vor einer Operation eine ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Darüber hinaus sollten sich Menschen, bei denen ein Eingriff ansteht, erkundigen, in welcher Klinik dieser am besten erfolgen soll. Denn nicht in allen Krankenhäusern gibt es genügend Erfahrung, wie Experten berichten.
Verschärfung der Mindestmengenregelung
Eine Studie der Klinik und Poliklinik für Urologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden zeigte vor wenigen Monaten, dass Empfehlungen bezüglich der Mindestmenge an Operationen, die eine Klinik durchgeführt haben soll, oft nicht eingehalten werden.
Für manche Eingriffe – im Fall der Dresdner Studie ging es um Prostatakrebs-Operationen – fehlt in vielen Kliniken die Erfahrung.
Eine Verschärfung der Mindestmengenregelung könnte die Situation verbessern. „Viele Gesundheitssysteme im Ausland nutzen bereits verbindliche Mindestmengenkataloge, um eine Zentralisierung von komplizierten Operationen zu erreichen“, erklärte Studienleiter Dr. Johannes Huber in einer Mitteilung der Dresdner Uniklinik.
„In Deutschland gibt es eine solche Regelung bisher aber erst für sechs Verfahren wie Leber- und Nierentransplantationen, operativen Eingriffen an den Herzkranzgefäßen oder bei Operationen von Bauchspeicheldrüse und Speiseröhre“, so der Mediziner.
Dass sich daran etwas ändern sollte, meinen auch andere Experten. So setzt sich die Krankenkasse AOK dafür ein, die Mindestmengenregelungen in der stationären Versorgung auszuweiten. Diese geben vor, wie oft eine bestimmte Behandlung in einer Klinik durchgeführt werden muss.
Ausweitung auf stationäre Leistungen
„Die Mindestmengenregelungen müssen zum Schutz der Patienten dringend auf weitere stationäre Leistungen ausgeweitet werden. Neben dem Hüftgelenkersatz sind dies beispielsweise Schilddrüsen- und Brustkrebsoperationen oder auch die Geburtshilfe“, erklärte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, in einer Mitteilung anlässlich der Vorstellung des aktuellen Krankenhaus-Reports 2017.
Der Report, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und der AOK-Bundesverband vorstellen, enthält neue Analysen zu wissenschaftlichen Untersuchungen, die unter anderem zeigen, dass die Behandlungsergebnisse für den Patienten umso besser sind, je häufiger ein Eingriff erfolgt.
Erhöhtes Risiko für Patienten
Auch Wissenschaftler und Fachgesellschaften empfehlen weitergehende Mindestmengenregelungen. Sie beziehen sich zum Beispiel auf den Hüftgelenkersatz bei Arthrose, für den sich der Zusammenhang zwischen der Behandlungshäufigkeit und dem Behandlungsergebnis laut der Krankenkasse besonders deutlich zeigt.
Demnach erhielten 134.000 AOK-Patienten in den Jahren 2012 bis 2014 in 1.064 Krankenhäusern bei Arthrose ein neues Hüftgelenk. In einem Fünftel der Kliniken fanden maximal 38 Operationen pro Jahr statt.
Das Risiko für eine erneute Hüftoperation binnen Jahresfrist war für Patienten dieser Häuser mehr als doppelt so hoch wie für die Patienten, die in dem Fünftel der Kliniken mit den höchsten Fallzahlen operiert wurden. In solchen Zentren fanden 211 oder mehr planbare Hüft-OPs statt.
Viele Kliniken halten sich nicht an die Vorgaben
Doch selbst wenn es Mindestmengenvorgaben gibt, werden diese in vielen Kliniken Deutschlands nicht eingehalten, wie der Report anhand von Operationen an der Speiseröhre sowie der Bauchspeicheldrüse belegt.
Führten 2014 rund 700 Krankenhäuser rund 12.000 Bauchspeicheldrüsenoperationen durch, so erreichte knapp die Hälfte der Häuser die Mindestmenge von zehn nicht. Bei den Eingriffen an der Speiseröhre waren es fast drei Viertel aller Kliniken.
„Wir brauchen Transparenz darüber, welche Kliniken die Mindestmengen nicht einhalten. Per Gesetz sind diese Leistungen von den Krankenkassen dann auch nicht zu bezahlen. Bei der Umsetzung dieses Weges brauchen wir deutlich mehr Mut und Willen aller Beteiligten“, so Litsch.
Lücken im System
Wie die Krankenkasse weiter schreibt, gehört zu den Lücken des Systems auch, dass Kleinstversorger ihre Leistungen im Rahmen von Ausnahmeregelungen weiterhin anbieten können, obwohl sie die Mindestmengen nicht einhalten.
„Ob ein Haus mit Kleinstmengen im Einzelfall gute oder schlechte Arbeit geleistet hat, ist statistisch nicht bewertbar und widerspricht dem grundlegenden Prinzip von Mindestmengen. Das gefährdet die Versorgung der Patienten“, erklärte Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Krankenhaus-Reports.
„Wenn eine Mindestmenge besteht, muss das die Messlatte für alle Kliniken sein, so wie auch Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr keine Ausnahmen kennen.“
Kürzere Operationszeiten und geringere Komplikationsraten
Prof. Dr. Hartwig Bauer, ehemaliger Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, sieht noch weitere Lücken in der Mindestmengenregelung: „Den positiven Zusammenhang zwischen Behandlungshäufigkeit und -ergebnis gibt es nicht nur auf Klinikebene, sondern auch bei der Spezialisierung des Chirurgen selbst. Seine Erfahrung zeigt sich in kürzeren Operationszeiten und damit geringeren Komplikationsraten. Doch dieses Wissen wird in Deutschland nicht umgesetzt.“
Außerdem seien die Einhaltung von Leitlinien und die Organisationsstruktur des Krankenhauses wichtig. „Eine abgestimmte, eingeübte Prozesskette geht naturgemäß immer mit höheren Mengen einher“, so Bauer. „Wir wissen längst, was zu tun ist, nur müssen wir auch tun, was wir wissen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
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