Motorische Funktionen und die Lebenserwartung
Die motorischen Funktionen und die Lebenserwartung stehen laut einer aktuellen Studie in einem engen Zusammenhang. Wenn Menschen in einem Alter ab ungefähr 65 Jahren Schwierigkeiten beim Aufstehen von einem Stuhl, beim Anziehen oder ähnliche Verschlechterungen der motorischen Funktionen entwickeln, deutet dies demnach auf ein erhöhtes Risiko für einen vorzeitigen Tod innerhalb der nächsten zehn Jahre hin.
Die Ergebnisse der neuen Untersuchung zeigen, dass ein Abbau der motorischen Funktionen im gehobenen Alter darauf hindeuten kann, wie lange betroffene Personen noch zu leben haben und dass eine frühzeitige Erkennung von Veränderungen in der motorischen Funktion Möglichkeiten zur Prävention und für gezielte Gegenmaßnahmen bieten könnte. Die vollständige Studie kann in dem englischsprachigen Fachblatt „BMJ“ nachgelesen werden.
Der menschliche Körper baut im Alter ab
Es ist ein völlig normaler körperlicher Vorgang, dass die motorischen Funktionen, die auch als körperliche Fähigkeiten bezeichnet werden, mit zunehmendem Alter allmählich abnehmen. Wie schnell dieses Abnahme vor sich geht, unterscheide sich von Person zu Person, so das Team.
Es gab in der Vergangenheit bereits Studien, bei denen festgestellt wurde, dass ein Rückgang der kognitiven (geistigen) Fähigkeiten bis zu 15 Jahre vor dem Tod auftreten kann. Es war jedoch bisher nicht klar, ob dies auch auf die körperlichen Fähigkeiten zutrifft, berichten die Forschenden.
Um dies genauer zu untersuchen, analysierten die Fachleute verschiedene Messungen der motorischen Fähigkeiten auf ihren Zusammenhang mit der Sterblichkeit über einen Zeitraum von zehn Jahren ab einem Alter von etwa 65 Jahren.
Die Ergebnisse der neuen Untersuchung beruhen auf über 6.000 Teilnehmenden der Whitehall-II-Studie, für die zwischen dem Jahr 1985 und dem Jahr 1988 Menschen im Alter von 35 bis 55 Jahren rekrutiert wurden. Bei der Whitehall-II-Studie wurden die Auswirkungen sozialer, verhaltensbezogener und biologischer Faktoren auf die langfristige Gesundheit untersucht.
Motorische Funktionsbewertungen durchgeführt
Zwischen 2007 und 2016 wurden die Teilnehmenden bei bis zu drei Gelegenheiten einer motorischen Funktionsbewertung unterzogen. Dazu gehörten Messungen der Gehgeschwindigkeit, der Aufstehzeit von einem Stuhl und der allgemeinen Griffstärke. Zusätzlich wurden Selbsteinschätzungen zur Funktionsfähigkeit und zu Schwierigkeiten bei Aktivitäten des täglichen Lebens wie beispielsweise beim Anziehen, Toilettengang, Kochen und Einkaufen berücksichtigt. Das Team erfasste Todesfälle aufgrund jeglicher Ursache bis Oktober des Jahres 2019.
Erhöhtes Risiko für vorzeitigen Tod
Nachdem verschiedene anderer potenziell einflussreiche Faktoren ausgeschlossen wurden, stellten die Fachleute fest, dass eine beeinträchtigte Gehgeschwindigkeit mit einem um 22 Prozent erhöhten Sterberisiko verbunden war, eine beeinträchtigte Greifkraft mit einem um 15 Prozent erhöhten Sterberisiko und Schwierigkeiten beim Aufstehen von einen Stuhl mit einem um 14 Prozent erhöhten Sterberisiko. Motorische Beeinträchtigungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens waren mit einem um 30 Prozent erhöhten Risiko für einen vorzeitigen Tod verbunden, fügt das Team hinzu. Die festgestellten Assoziationen seien bei späteren Bewertungen immer stärker ausgefallen.
Weitere Analysen zeigten schließlich unterschiedliche Veränderungsmuster zwischen den Teilnehmenden, die starben, und denen, die überlebten. Beispielsweise zeigten Teilnehmende, welche verstarben, bis zu zehn Jahre vor ihrem Tod schlechtere Zeiten für das Aufstehen von einem Stuhl als Überlebende, bis zu sieben Jahre vor dem Tod eine schlechtere selbstberichtete Funktionsfähigkeit und bis zu vier Jahre vor dem Tod mehr Schwierigkeiten bei den allgemeinen Aktivitäten des täglichen Lebens, berichtet das Team. Die oben genannten Unterschiede nahmen im Zeitraum vor dem Tod stetig zu.
Beobachtungsstudie konnte keine Ursachen feststellen
Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Untersuchung lediglich um eine sogenannte Beobachtungsstudie handelt, konnte kein Kausalzusammenhang festgestellt werden. Es gab zudem verschiedene Einschränkungen, wie beispielsweise die Tatsache, dass man bei der Untersuchung nicht in der Lage war, den Verlauf der motorischen Funktionen nach Todesursache oder in bestimmten Minderheitengruppen zu untersuchen. Zusätzlich seien auch Ereignisse wie beispielsweise Stürze oder Krankenhauseinweisungen nicht berücksichtigt worden, so die Forschungsgruppe in einer Pressemitteilung.
Trotzdem könne die Studie die spärliche Literatur über den terminalen Rückgang der motorischen Funktionen ergänzen. Laut dem Team ist die aktuelle Untersuchung die erste, welche den terminalen und altersbedingten Langzeitverlauf mehrerer Messungen der motorischen Funktionen analysierte.
Aufgrund der weltweiten Alterung der Bevölkerung sei es wichtig, den Funktionsstatus älterer Erwachsener und die Veränderungen der Funktionsfähigkeit im Alter zu verstehen. Frühzeitige Erkennung von Veränderungen der motorischen Funktionen könnte Möglichkeiten zur Prävention und für gezielte Maßnahmen bieten, so das Forschungsteam.
Gesundes Altern muss gefördert werden
Die aktuelle Studie ergänze die schnell anwachsende Basis an Evidenz, welche neue Erkenntnisse über gesundes Altern liefert, so die Fachleute. Das Team weist weiter darauf hin, dass wenn die Teilnehmenden weiter altern und dadurch mehr Daten zur Verfügung stehen, dies dazu beitragen werde, die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung des gesunden Alterns zu unterstützen.
Anzahl lebenswerter Jahre erhöhen
Eine frühzeitige Erkennung von Veränderungen der motorischen Funktionen könnte Möglichkeiten zur Prävention und für gezielte Maßnahmen bieten, berichten die Fachleute. Trotzdem sei nach wie vor unklar, wie diese Maßnahmen aussehen und was sie konkret bewirken sollen. Trotz der Fokussierung auf den Tod als Ergebnis dieser Analysen sollte das Ziel immer sein, lebenswerte Jahre der Lebensspanne hinzuzufügen und nicht nur einfach eine höhere Lebenserwartung zu erreichen, fügt das Team hinzu. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Benjamin Landré, Aurore Fayosse, Céline Ben Hassen, Marcos D. Machado-Fragua, Julien Dumurgier, et al.: Terminal decline in objective and self-reported measures of motor function before death: 10 year follow-up of Whitehall II cohort study; in: BMJ (veröffentlicht 05.08.2021), BMJ
- BMJ: Increasingly poor physical function from age 65 linked to increased risk of death (veröffentlicht 04.08.2021), BMJ
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.