Muskelschwund: Mutationen lassen sich mit Genschere reparieren
Muskelschwund kann verschiedene Ursachen haben. Betroffene können Bewegungen schwerer flüssig ausüben – oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr. Häufig geht der Erkrankung eine Muskelschwäche voraus. Forschende berichten nun über eine neue Behandlung mit mRNA.
Wie das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, lassen sich Mutationen, die zu Muskelschwund führen, mit der Genschere CRISPR/Cas9 reparieren. Ein Forschungsteam hat das Werkzeug nun erstmals mit mRNA in menschliche Muskelstammzellen eingeschleust. Damit wurde eine Methode gefunden, die sich therapeutisch nutzen lässt.
Erkrankung kann tödlich enden
Es ist nur eine winzige Veränderung im Genom, die jedoch fatale Effekte hat: Muskeldystrophien werden fast immer durch ein einzelnes fehlerhaftes Gen ausgelöst. So unterschiedlich die Mutationen bei den rund fünfzig bekannten Formen dieser Krankheiten sind, führen sie letztendlich alle zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.
„Aufgrund des Genfehlers verändern sich der Aufbau und die Funktion der Muskeln, so dass die Erkrankten einen fortschreitenden Muskelschwund erleiden“, erläutert Professorin Simone Spuler, die Leiterin der Arbeitsgruppe Myologie am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des MDC und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Ist zum Beispiel die Atem- oder Herzmuskulatur betroffen, kann die Erkrankung tödlich enden.
Bislang nicht heilbar
Muskeldystrophien sind bislang nicht heilbar. Genau das versuchen Spuler und ihr Team aber zu ändern. Ihre jüngste Publikation, die in der Fachzeitschrift „Molecular Therapy Nucleic Acids“ veröffentlicht wurde, macht den Weg frei für eine Studie, bei der eine am ECRC entwickelte Therapie erstmals an Patientinnen und Patienten mit erblichem Muskelschwund getestet werden soll.
„Wir verfolgen schon seit Jahren die Idee, erkrankten Menschen Muskelstammzellen zu entnehmen, die veränderten Gene mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 zu reparieren und die so behandelten Zellen zurück in die Muskeln zu injizieren, damit sie sich dort vermehren und neues Muskelgewebe bilden“, erklärt Dr. Helena Escobar, Postdoktorandin in Spulers Arbeitsgruppe.
Vor einiger Zeit konnten die Forschenden bereits zeigen, dass das Verfahren bei Mäusen, die an Muskelschwund leiden, funktioniert. „Unsere Methode hatte bisher allerdings einen Haken“, so Escobar: „Wir haben die Bauanleitung für die Genschere mithilfe von Plasmiden – das sind ringförmige, doppelsträngige DNA-Moleküle aus Bakterien – in die Stammzellen eingeführt.“
Plasmide könnten sich jedoch ungewollt in das ebenfalls doppelsträngige Genom der menschlichen Zellen integrieren und dann zu unerwünschten, wenig abschätzbaren Effekten führen. „Patientinnen und Patienten hätten wir so daher nicht behandeln können“, erklärt Escobar.
Gendefekte gezielt reparieren
Daher machte sich das Team auf die Suche nach einer besseren Alternative: Gefunden hat es sie in Form von mRNA, jenen einsträngigen Erbgutmolekülen, die zuletzt vor allem als wesentlicher Bestandteil zweier COVID-19-Impfstoffe von sich reden gemacht haben.
„In den Impfstoffen enthalten die mRNA-Moleküle die genetische Information für den Aufbau des Spike-Proteins des Virus, mit dem der Erreger in menschliche Zellen eindringt“, sagt Christian Stadelmann, Doktorand in Spulers Arbeitsgruppe. „Für unsere Zwecke nutzen wir mRNA-Moleküle, die die Bauanleitung für die Genschere enthalten.“
Um die mRNA in die Stammzellen hineinzuschleusen, wendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Verfahren namens Elektroporation an, bei dem die Zellmembranen vorübergehend für größere Moleküle durchlässig werden.
„Mithilfe von mRNA, die die genetische Information für einen grün fluoreszierenden Farbstoff enthielt, konnten wir zunächst nachweisen, dass fast alle Stammzellen die mRNA-Moleküle in sich aufnehmen“, so Stadelmann.
In einem nächsten Schritt zeigten die Forschenden über ein absichtlich verändertes Molekül auf der Oberfläche menschlicher Muskelstammzellen, dass es mithilfe der Methode gelingen kann, Gendefekte gezielt zu reparieren.
Keine Wunder zu erwarten
Schließlich probierte das Forschungsteam noch ein der Genschere CRISPR/Cas9 ähnliches Werkzeug aus, das die DNA jedoch nicht zerschneidet, sondern nur an einer Stelle punktgenau verändert. „Wir können damit noch feiner arbeiten. Allerdings ist dieses Tool nicht für jede Mutation geeignet, die eine Muskeldystrophie hervorruft“, erläutert Stadelmann.
Mit Experimenten in der Petrischale konnten die Fachleute jetzt zeigen, dass die reparierten Muskelstammzellen ebenso wie gesunde Zellen in der Lage sind, miteinander zu fusionieren und junge Muskelfasern zu bilden.
„Wir planen jetzt, gegen Ende des Jahres eine erste klinische Studie mit fünf bis sieben Patientinnen und Patienten zu starten, die an Muskeldystrophie leiden“, so Spuler an. Sie weist aber darauf hin, dass keine Wunder zu erwarten sind. „Erkrankte, die im Rollstuhl sitzen, werden auch nach unserer Therapie nicht einfach aufstehen und loslaufen.“
Aber für viele der Betroffenen sei es schon ein großer Fortschritt, wenn ein kleiner Muskel, der zum Beispiel fürs Greifen oder Schlucken wichtig sei, wieder besser funktioniere. Die Idee, auch größere Muskeln, wie sie zum Stehen und Gehen benötigt werden, zu reparieren, stehe laut Spuler bereits im Raum.
Allerdings müssten die molekularen Werkzeuge dazu so sicher werden, dass man sie bedenkenlos nicht nur in isolierte Muskelstammzellen, sondern direkt in den degenerierten Muskel einbringen könnte. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft: Mit mRNA zu neuer Muskelkraft, (Abruf: 15.03.2022), Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
- Christian Stadelmann, Silvia Di Francescantonio et al.: mRNA-mediated delivery of gene editing tools to human primary muscle stem cells; in: Molecular Therapy Nucleic Acids, (veröffentlicht: 28.02.2022), Molecular Therapy Nucleic Acids
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.