Gesundheitsexperten warnen: Nahrungsergänzungsmittel können gefährlich werden
Erst kürzlich berichtete das ARD-Politmagazin „Report Mainz“, dass es Reportern gelungen war, eine Verkaufserlaubnis für ein gefährliches Nahrungsergänzungsmittel zu bekommen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass Apotheker mit solchen Präparaten ordentlich Kasse machen. Dass viele dieser Mittel oft Geldverschwendung sind, betonen nun auch Mediziner. Zudem können sie zum gesundheitlichen Risiko werden.
Immer mehr Bundesbürger greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln, weil sie denken, dass sie sich damit gesund und fit halten und möglichst ohne schwere Krankheiten alt werden können. Doch hochrangig publizierte Studien legen nahe: Nahrungsergänzungsmittel sind für die Gesunderhaltung und Vorbeugung von Krankheiten ohne Nutzen.
Für die Vorbeugung von Krankheiten ohne Nutzen
Wie die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben, wurden hierzulande 2018 insgesamt 225 Millionen Nahrungsergänzungsmittel-Packungen verkauft. Der Umsatz ist demnach von 1,31 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf 1,44 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gestiegen. Dieser Trend steht in deutlichem Gegensatz zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Denn Studien legen nahe, dass Nahrungsergänzungsmittel ohne Nutzen für die Primärprävention, also die Gesunderhaltung und Vorbeugung von Krankheiten, sind. Nicht nur das: „Eine langfristige Einnahme dieser Präparate kann sogar mit Risiken einhergehen. Ähnliches gilt für rezeptfreie Medikamente wie Acetylsalicylsäure (ASS). Auch diese sollte nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt zum Zweck der Krankheitsvorbeugung eingenommen werden“, warnen die Experten.
Kein positiver Einfluss auf die Vermeidung von Krankheiten
Eine der umfassendsten Untersuchungen zum Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln erschien 2017 im Fachmagazin „Advances in Nutrition“. Hier werteten Wissenschaftler 49 verschiedene Studien mit insgesamt 290.000 Teilnehmern aus und stellten fest, dass die Einnahme von Vitamin C-, Vitamin D- , Vitamin K- , Magnesium-, Selen-, oder Zink-Präparaten ebenso wie Omega 3-Fettsäure-Kapseln keinen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Leiden hat und keine Lebensverlängerung bewirkt.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen verschiedene weitere, hochrangige Studien, die in jüngster Zeit veröffentlicht wurden, etwa eine im Fachmagazin „Annals of Internal Medicine“ publizierte Auswertung der US-Kohortenstudie NHANES aus diesem Jahr. Hier fanden die Forscher lediglich positive Effekte für Vitamine und Mineralstoffe aus natürlichen Quellen, nicht aber, wenn diese in Form von Nahrungsergänzungsmitteln aufgenommen wurden.
„Unsere Ergebnisse stützen die Meinung, dass die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln zwar zu einer erhöhten Gesamtaufnahme an Nährstoffen beiträgt, es jedoch vorteilhafte Verbindungen zu Nährstoffen aus Nahrungsmitteln gibt, die bei Nahrungsergänzungsmitteln nicht zu sehen sind“, erklärte Studienautorin Dr. Fang Fang Zhang von der Tufts University in Boston, Massachusetts.
Krebsrisiko wird gesteigert
„In manchen Untersuchungen zeigen sich sehr geringfügige positive Effekte für Nahrungsergänzungsmittel-Präparate, die man jedoch abwägen muss gegen die Risiken, die diese auch haben“, so Professor Dr med. Jürgen Schölmerich, Facharzt für Gastroenterologie und ehemaliger ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Frankfurt am Main.
Denn einige Studien liefern Hinweise auf unerwünschte Folgen, vor allem dann, wenn Präparate hochdosiert eingenommen werden: Vitamin A-Präparate in hohen Dosen (mehr als 25.000 IE pro Tag) beispielsweise erhöhen das Krebsrisiko; Beta-Carotin-Nahrungsergänzungsmittel steigern bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko. „Die Werbeaussage, wonach jeder Mensch eine Extraportion Vitamine oder Mineralstoffe zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit brauche, ist schlicht und einfach falsch“, erklärt Schölmerich.
Nur für wenige Personengruppen, beispielsweise Schwangere oder Veganer, seien bestimmte Nahrungsergänzungsmittel-Präparate tatsächlich empfohlen. Verbraucher sollten mit ihrem Arzt besprechen, ob und wenn ja, welche Präparate sie benötigen.
Auch die Einnahme von Medikamenten kann schaden
Aber nicht nur Nahrungsergänzungsmittel können hinsichtlich Gesunderhaltung und Vorbeugung von Krankheiten nicht liefern, was sich viele Konsumenten erhoffen. Auch für manche Arzneimittel gilt dies, etwa für Acetylsalicylsäure-Tabletten. „Wegen seiner blutverdünnenden Wirkung wird Aspirin beispielsweise erfolgreich nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen eingesetzt, um ein weiteres Ereignis zu verhindern“, so Schölmerich. In diesen Fällen, also in der sogenannten Sekundärprävention, ist das Medikament sinnvoll und wirksam. Für den Einsatz von Acetylsalicylsäure in der Primärprävention aber sei die Datenlage ernüchternd, so der Experte.
Im vergangenen Jahr wurden mehrere große Studien publiziert, die zeigten, dass die vorsorgliche Einnahme von Acetylsalicylsäure die Wahrscheinlichkeit des Auftretens chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs nicht reduzieren kann und insgesamt keinen Einfluss auf die Mortalität hat. Vielmehr wiesen jene Studienteilnehmer die regelmäßig Acetylsalicylsäure-Präparate einnahmen, eine erhöhte Rate von Blutungen, meist im Magen-Darm-Trakt, auf.
„Verbraucher sollten sich bewusst sein: Eine medizinisch nicht indizierte, langfristige Einnahme unterschiedlicher Präparate zur Primärprävention ohne Absprache mit dem Arzt kann unter Umständen mehr schaden als nutzen“, sagt Schölmerich. „Wer sich gesund und fit halten will, sollte lieber auf ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung achten und die wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen.“
Besonders wichtig hierbei ist die Darmkrebsvorsorge. Keine andere Vorsorgemöglichkeit sei so effizient wie diese. Denn während einer Darmspiegelung erkennt der Arzt mögliche Krebsvorstufen oder Polypen, aus denen sich ein bösartiger Tumor entwickeln kann und entfernt diese, bevor der Krebs überhaupt entsteht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Internetseite der Viszeralmedizin - dem gemeinsamen Kongress der DGVS und der DGAV: Gesund und fit durch Nahrungsergänzungsmittel und rezeptfreie Medikamente? Oft Geldverschwendung, manchmal auch riskant, (Abruf: 14.09.2019), viszeralmedizin.com
- Advances in Nutrition: Dietary Supplements and Risk of Cause-Specific Death, Cardiovascular Disease, and Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis of Primary Prevention Trials, (Abruf: 14.09.2019), Advances in Nutrition
- Annals of Internal Medicine: Association Among Dietary Supplement Use, Nutrient Intake, and Mortality Among U.S. Adults: A Cohort Study, (Abruf: 14.09.2019), Annals of Internal Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.