Neue Erkenntnisse über Kortison
Kortison ist wohl das stärkste, antientzündlich wirkende Medikament, das der Medizin derzeit zur Verfügung steht. So stark die Wirkung des Steroid-Medikaments ist, so umfangreich sind jedoch auch die Nebenwirkungen, die zum Teil schwerwiegend ausfallen können. Ein deutsches Forschungsteam arbeitet daher an einem Wirkstoff, der ähnlich stark wie Kortison wirken soll, aber weniger starke Nebenwirkungen auslöst.
Forschende der Technischen Universität München gewannen neue Erkenntnisse über die Funktionsweise von Kortison. Das Team möchte dieses grundlegende Wissen nutzen, um neue Medikamente zu entwickeln, die ähnlich stark wie Kortison wirken, aber weniger Nebenwirkungen haben. Ihre Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal „Nucleic Acids Research“ präsentiert.
Kortison: Die Allzweckwaffe mit Kollateralschäden
Der Wirkstoff Kortison blockiert die Bildung von entzündlichen Stoffen im Körper und wirkt so überschießenden Immunreaktion entgegen. Typischerweise kommt das Mittel daher auch bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Asthma oder Multipler Sklerose zum Einsatz – neuerdings sogar zur Behandlung von COVID-19.
Bei einer systemischen Verabreichung als Spritze oder Tablette drohen jedoch zum Teil heftige Nebenwirkungen wie das sogenannte Cushing Syndrom, welches sich durch Symptome wie Gesichtsschwellung (Vollmondgesicht), erhöhten Blutzuckerspiegel und Körperformveränderungen äußern kann. Weitere mögliche Nebenwirkungen von Kortison sind beispielsweise
- Impotenz,
- Verstärkung eines bestehenden Diabetes mellitus,
- Fettverteilungsstörungen,
- Fettverlust an den Gliedmaßen,
- Knochenerweichungen,
- Augenerkrankungen,
- Störungen im Cortisonkreislauf von Gehirn und Nebenniere.
Wirkungsweisen von Stresshormonen besser verstehen
Henriette Uhlenhaut ist Professorin an der Technischen Universität München (TUM). Ihr Team befasst sich mit der Erforschung sogenannter Glucocorticoide – also Stresshormone wie Cortison und Cortisol.
Was machen Stresshormone im Körper?
Steroidhormone wie Cortisol und Cortison werden von der Nebenniere produziert und als Antwort auf Stress im Körper ausgeschüttet, beispielsweise gleich morgens beim Aufwachen. Die Hormone binden an dafür vorgesehene Glucocorticoid-Rezeptoren, wodurch Immunreaktionen, aber auch Zucker- und Fettstoffwechsel beeinflusst werden.
Synthetische Hormone ahmen die Funktionsweise nach
Hier liegt auch der Schlüssel zur Wirkungsweise des Medikaments Kortison: Synthetisch hergestellte Steroidpräparate docken an die Glucocorticoid-Rezeptoren an, wodurch die Immunabwehr effektiv ausgeschaltet werden kann. „Diese nützliche Eigenschaft ist leider mit starken Nebenwirkungen verbunden, da dasselbe Hormon beziehungsweise Medikament in anderen Zellen außerhalb des Immunsystems unterschiedliche Funktionen hat“, erklärt Professorin Uhlenhaut. So werde beispielsweise ungewollt Muskelmasse reduziert oder Fett eingelagert.
Cortison im Detail immer noch unklar
Obwohl das körpereigene Hormon Cortison bereits um das Jahr 1935 in der Nebennierenrinde des Menschen entdeckt wurde, ist der genaue Wirkungsmechanismus noch unbekannt. Dies sei aber die Grundvoraussetzung dafür, ähnliche wirkende Präparate zu entwickeln, die weniger Nebenwirkungen aufweisen. „Wie genau Steroidpräparate wirken, verstehen wir immer noch nicht“, betont Uhlenhaut. Sie und ihr Team wollen endlich die molekularen Mechanismen entschlüsseln, durch die Steroide wie Kortison Entzündungsreaktionen stoppen.
Denn wenn die Forschenden herausfinden, wie Entzündungs-Gene in Zellen des Immunsystems stummgeschaltet werden, können sie sich auf die Suche nach Molekülen machen, die dieselbe effektive entzündungshemmende Wirkung wie Kortison haben, aber weniger Nebenwirkungen.
Falsche Annahmen über Kortison
Im Rahmen der Forschung konnte das Team um Uhlenhaut bereits eine gängige These widerlegen. Bisher wurde in der Wissenschaft angenommen, dass die entzündungshemmende Wirkung von Cortison und anderen Steroiden durch Wechselwirkungen zwischen Proteinen zustande kommt. Im Mausmodell zeigten die Forschenden jedoch, dass eine DNA-Bindung nötig ist, damit die Hormone ihre Wirkung entfalten können. Anders als bislang angenommen binden die Hormone also über die Rezeptoren direkt an Chromosome, Chromatin oder an Gene.
„Wir wissen jetzt, dass die DNA-Bindung eine wichtige Rolle spielt, haben aber immer noch keinen Weg gefunden, die Nebenwirkungen von den gewünschten Wirkungen zu trennen“, resümiert die Professorin den aktuellen Forschungsstand. Das Team will nun weiter auf diesem Gebiet forschen, um Kortison hoffentlich bald durch sanftere Medikamente mit ähnlicher Wirkung ersetzen zu können. (vb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Laura Escoter-Torres, Franziska Greulich, Fabiana Quagliarini, Michael Wierer, Nina Henriette Uhlenhaut: Anti-inflammatory functions of the glucocorticoid receptor require DNA binding; in: Nucleic Acids Research, 2020, academic.oup.com
- Technische Universität München: Kortison-Alternativen auf der Spur (veröffentlicht: 02.09.2020), tum.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.