Wirkstoffsuche im Meer
Die Natur ist zwar eine unerschöpfliche Quelle für therapeutisch wirksame Substanzen, doch die Fahndung nach einem passenden Wirkstoff gegen bestimmte Erkrankungen gestaltet sich meist äußerst schwierig. Forschende aus Deutschland sind nun fündig geworden. Sie berichten über Naturstoffe aus dem Meer, die antibakteriell wirken und auch gegen Krebs helfen könnten.
Es ist schon lange bekannt, dass Naturstoffe ein immenses Potenzial als Wirksubstanzen gegen verschiedene Krankheiten besitzen. Zu finden sind solche Stoffe nicht nur an Land, sondern auch unter Wasser und dort sogar in der Tiefsee, wie neue Erkenntnisse von Forschenden nun zeigen.
Naturstoffe warten auf ihre Entdeckung
In verschiedenen Lebensräumen warten zahlreiche Naturstoffe auf ihre Entdeckung. Besonders Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilze können eine Vielzahl an verschiedenen Naturstoffen mit hohem Anwendungspotenzial als Antibiotika oder Krebstherapeutika produzieren. Dazu gehört unter anderem auch die sogenannte Rote Hefe aus der Art Rhodotorula mucilaginosa.
Laut einer aktuellen Mitteilung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEOMAR Zentrums für Marine Biotechnologie (GEOMAR-Biotech) am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) diese Hefe aus Tiefsee-Sedimentproben des Mittelatlantischen Rückens isoliert und sie hinsichtlich ihres Genoms sowie ihres chemischen Wirkstoff-Repertoires untersucht.
Gemeinsam konnten die Forschenden die antibakterielle und krebshemmende Wirkung der Wirkstoffe nachweisen. Diese kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Marine Drugs“ veröffentlichte Studie wurde von Kiel Marine Science (KMS) an der CAU teil-gefördert.
Nicht mit Bäckerhefe zu verwechseln
Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Botanische Genetik und Molekularbiologie an der Universität Kiel unter der Leitung von Professor Frank Kempken bot sich eine einmalige Gelegenheit: über das Institut für Geowissenschaften der CAU erlangte die Gruppe Zugang zu Tiefsee-Sedimentproben des Mittelatlantischen Rückens aus 1.600 bis 4.000 Metern Tiefe, die während einer Forschungsfahrt mit dem deutschen Forschungsschiff MARIA S. MERIAN gewonnen wurden.
Aus einem dieser Sedimentkerne aus 3.600 Metern Tiefe konnten die Forschenden um Prof. Kempken erfolgreich lebende Pilzkulturen der Gattung Rhodotorula mucilaginosa isolieren und anzüchten. Diese langsam wachsende Pilzart gehört zu den sogenannten Basidiomyceten und ist nicht mit der bekannteren Bäckerhefe zu verwechseln.
Den Angaben zufolge wächst die spezielle Art normalerweise in großer Meerestiefe und ist an den dort herrschenden hohen hydrostatischen Druck und sehr niedrige Temperaturen angepasst.
Hefekulturen können bei Raumtemperatur wachsen
„Mit der angewandten Methodik ist es uns gelungen, Hefekulturen zu kultivieren, die auch bei Raumtemperatur und unter Atmosphärendruck wachsen können“, erklärt Professor Kempken. Die Versuche haben gezeigt, dass Mikroorganismen mit speziellen physiologischen Eigenschaften besonders gut in bestimmten ökologischen Nischen gedeihen.
„Die Experimente haben auch gezeigt, dass besondere ökologische Nischen Mikroorganismen mit besonderen Eigenschaften hervorbringen. Unsere Vermutung über die hohe Anpassungsfähigkeit der Roten Hefe hat uns zudem ermutigt, diese Art weiter zu analysieren“, so Professor Kempken, dessen Forschungsgruppe sich schon seit mehr als zehn Jahren mit der genetischen Analyse mariner Pilze beschäftigt.
So konnte der Postdoktorand Dr. Abhishek Kumar (CAU), der gemeinsam mit Dr. Larissa Büdenbender vom GEOMAR Erstautor der Studie ist, durch Kombination von Millionen sequenzierter DNA-Fragmente das Genom des Rhodotorula mucilaginosa-Isolates zusammensetzen.
Darüber hinaus konnten Gene für wichtige Komponenten des Biosynthesewegs von Glykolipiden identifiziert werden. Dieser ist besonders wichtig im Hinblick auf die Entwicklung von Naturstoffen zur Anwendung in Medizin und Biotechnologie sowie der Chemie, Lebensmittelindustrie oder Landwirtschaft.
Besonders reich an Fettsäure-Polyol-Estern
Da viele Naturstoffe auch in ihrer natürlichen Umgebung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen produziert werden, ist die Analyse des gesamten Wirkstoff-Potentials eines Pilzes schwierig. Wie es in der Mitteilung heißt, ist es schlicht unmöglich, die natürlichen Gegebenheiten der Tiefsee im Labor nachzustellen.
Deswegen entschieden die Leiterin der Forschungseinheit Marine Naturstoffchemie am GEMOAR und des GEOMAR-Biotech, Professorin Deniz Tasdemir, und Dr. Büdenbender, die Metabolitproduktion und die Bioaktivität der roten Hefepilze unter unterschiedlichen Wachstumsbedingungen zu untersuchen.
“Wir konnten medium-abhängig unterschiedliche, entweder krebshemmende oder antimikrobielle Bioaktivität beobachten“, erklärt Professorin Tasdemir. Als Nächstes untersuchten die Forschenden die chemische Zusammensetzung, das sogenannte Metabolom der Hefe-Extrakte. Sie nutzten dazu Algorithmus-basierte automatisierte Methoden der Metabolomik.
Es zeigte sich, dass die rote Hefe ganz besonders reich an sogenannten Fettsäure-Polyol-Estern (PEFAs) ist. Diese Glykolipide sind phosphorfreie Strukturbestandteile der Zellmembranen und schützen die Hefe womöglich vor dem hydrostatischen Druck im Lebensraum Tiefsee.
„Im ersten Schritt unserer Untersuchungen fanden wir Dutzende solcher Verbindungen in der Roten Hefe und konnten so die Erforschung des Genoms unserer Kollegen an der Universität Kiel unterstützen“, erläutert Professorin Tasdemir.
Wie es in der Mitteilung heißt, verfolgte Dr. Büdenbender einen gezielten Ansatz zur Aufreinigung dieser aufgrund ihrer hohen strukturellen Ähnlichkeit zueinander schwer zu isolierenden Moleküle.
Professorin Tasdemir weiter: „Mehrere der isolierten PEFAs waren vorher nicht beschrieben und wir konnten erstmals ihre sehr komplexe chemische Struktur aufklären. Es sieht so aus, dass diese Verbindungen bei gemeinsamem Vorliegen eine stärkere Wirkung gegen Krebs haben. Wir erforschen nun die Gründe für diese Synergieeffekte.“
Beitrag für die Entwicklung neuer Medikamente
Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Arbeitsgruppen am GEOMAR sowie der Universität Kiel unter Anwendung verschiedener „omics“- Methodiken konnten Erkenntnisse zur Biosynthese neuartiger Naturstoffe eines Tiefsee-Pilzes sowohl auf DNA- als auch auf chemischer Ebene gewonnen werden.
Den Angaben zufolge können die Ergebnisse aus der Untersuchung dieser ölhaltigen roten Hefe einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung neuer Medikamente leisten.
Zudem könnten sie zukünftig aber auch für andere biotechnologische Anwendungen in der Lebensmittel- oder der chemischen Industrie, der Landwirtschaft oder bei Biokraftstoffen von Bedeutung sein. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel: Gemeinsame Pressemitteilung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel: Wirkstoffsuche in marinen Hefepilzen, (Abruf: 20.01.2021), GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
- Buedenbender, L., Kumar, A., Blümel M., Kempken F., Tasdemir, D.: Genomics- and Metabolomics-Based Investigation of the Deep-Sea Sediment-Derived Yeast, Rhodotorula mucilaginosa 50-3-19/20B; in: Marine Drugs, (veröffentlicht: 30.12.2020), Marine Drugs
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.