Großangelegte Recherche offenbart zahlreiche Probleme in Altersheimen
Der Großteil der deutschen Pflegeheime weist erhebliche Qualitätsmängel auf. Dies hat eine umfassende Analyse des Recherchezentrums correctiv.org, der „Welt” und der NDR-Fernsehredaktion von “Die Reportage” ergeben. Demnach würden in mehr als der Hälfte der Einrichtungen die Bewohner nicht ausreichend mit Medikamenten versorgt. Auch die Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit lässt offenbar in vielen Fällen zu wünschen übrig. Pflegeheime in Rheinland-Pfalz erreichten bei der Auswertung das schlechteste Preis-Leistungs-Verhältnis bundesweit. Hier fielen vier von fünf Heimen bei den jährlichen Qualitätsprüfungen der Krankenkassen negativ auf.
Auswertung von Daten aller Pflegeheime
In vielen deutschen Pflegeeinrichtungen herrschen offenbar massive Mängel in Hinblick auf die Versorgung der alten Menschen. Dies ist das Ergebnis einer umfassenden Recherche, die das Recherchezentrum „Correctiv“ in Zusammenarbeit mit der „Welt“ und der NDR-Fernsehredaktion von “Die Reportage” durchgeführt hat. Ein halbes Dutzend Correctiv-Reporter hatte in den vergangenen Monaten mit Hunderten Menschen gesprochen und Daten zu allen Pflegeheimen Deutschlands ausgewertet. Ihre Ergebnisse haben die Reporter nun in dem Buch “Jeder pflegt allein: Wie es in deutschen Heimen wirklich zugeht” zusammen getragen, zudem zeigt das NDR-Fernsehen in „Die Reportage“ am heutigen Donnerstag eine Dokumentation der Recherche.
Pflegenoten sagen wenig über Qualität der Versorgung aus
Wie die Mitarbeiter von „Correctiv“ berichten, ging es bei der Analyse zum einen um die Aufschlüsselung der so genannten “Pflegenoten”, welche jährlich vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) vergeben werden. Diese stehen schon lange in der Kritik, da 77 verschiedene und zum Teil wenig aussagekräftige Faktoren zu einer Gesamtnote zusammengefasst werden. In der Folge schneiden die meisten Heime „sehr gut“ (bundesweiter Notendurchschnitt: 1,2) ab, denn „ein gut lesbarer Speiseplan kann einen mangelhaften Umgang mit Medikamenten ausgleichen“, so die Reporter in ihrem Recherchebericht. Folglich sagt die Note tatsächlich nur wenig über die Qualität der Pflege aus.
Versorgung mit Nahrung oft nicht vorschriftsmäßig
Um ein realistischeres Bild zeichnen zu können, lösten die Mitarbeiter des Recherchezentrums fünf Bereiche heraus, die relevant für die Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen sind. Hierzu zählen beispielsweise die ausreichende Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, der Umgang mit Schmerzpatienten und Inkontinenz oder die Gabe von Medikamenten. Das erschreckende Ergebnis: Werden nur diese fünf Bereiche betrachtet, fallen 60 Prozent aller Heime negativ auf. Denn mehr als die Hälfte der Einrichtungen würde dem Bericht nach die alten und kranken Bewohner nicht korrekt mit Medikamenten versorgen, in mehr als 30 Prozent der Heime erfolge die Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit nicht entsprechend der Vorschriften.
Rheinland-Pfalz: Viel Geld für die schlechteste Pflege
Die Auswertung zeigt, dass vor allem in Rheinland-Pfalz die Zustände in den Heimen häufig besorgniserregend sind. Denn hier würden den Angaben zufolge in Hinblick auf den medizinisch relevanten Teil der Pflege vier von fünf Heime bei den jährlichen Qualitätsprüfungen der Krankenkassen negativ auffallen. Eine paradoxe Situation, denn in kaum einem anderen Bundesland muss für die Pflege so viel gezahlt werden wie dort. Laut Correctiv kostet in Rheinland-Pfalz ein Heimplatz in Pflegestufe 3 durchschnittlich 3453 Euro pro Monat. Mehr als 1800 Euro müssen Pflegebedürftige davon selbst übernehmen. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Niedersachsen sei die private Zuzahlung hingegen nur etwa halb so hoch und die Heime rund 1000 Euro günstiger, so der Bericht weiter. Doch warum schneidet gerade Rheinland-Pfalz so schlecht ab? Darauf hatte die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) auf Anfrage der „Welt“ offenbar keine Antwort. Ein Ländervergleich über die Pflegenoten sei “nicht aussagekräftig”, so die Politikerin.
Die Auswertung ergab zudem gravierende Unterschiede in Hinblick auf das Personal in den Einrichtungen. So würden in Bremen beispielsweise knapp vier von fünf Pflegekräften in Teilzeit arbeiten, wohingegen dies im Saarland auf weniger als halb so viele zutrifft. In einigen Landkreisen, wie z.B. dem Saale-Orla-Kreis in Thüringen, arbeiten den Daten der statistischen Landesämter zufolge sogar 90 Prozent der Mitarbeiter in Teilzeit. Ein hoher Anteil an Teilzeitkräften kann gute Pflege allerdings erschweren, geben die Reporter zu bedenken. Denn in diesem Fall haben die Bewohner mehrere Bezugspersonen und es wird mehr Zeit für Abstimmungen und Übergaben nötig. Dennoch würden Pflegekräfte von den Heimbetreibern häufig nur in Teilzeit beschäftigt, um für eventuelle Überstunden und Notfälle flexible „Springer“ zu haben. (nr)
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