Datenauswertung: Neue Medikamente sind nicht besser aber dafür teurer
18.02.2012
Jedes Jahr kommen neue Medikamente auf den deutschen Arzneimittelmarkt. Vor allem werden Arzneimittel für Indikationen neu konzipiert, für die bereits zahlreiche Alternativpräparate existieren. Laut einer aktuell vorgestellten Mediziner-Studie wirken viele Neumedikamente noch nicht einmal besser und produzieren auch nicht weniger Nebenwirkungen. Dafür sind die Mittel teurer als zuvor und die Krankenkassen müssen höhere finanziellen Belastungen zugunsten der Pharmaindustrie und auf Kosten der Versicherten hinnehmen.
Oft werden angebliche Werkstoffinnovationen in medizinischen Bereichen mit hoher Patientenzahl vorgestellt. Für die Pharmahersteller bedeutet die Ablöse der Konkurrenz mehr Profit und eine bessere Marktpositionierung. Eine neue Studie von Wissenschaftlern und Medizinern um den Vize-Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Ursula Gundert-Remy zeigte, dass die Wirksamkeit vieler Arzneimittel nicht besser ist, als deren Vorgänger-Präparate. Selbst eine verbesserte Verträglichkeit konnte in vielen Fällen nicht erwiesen werden. Das ergab eine Studie von führenden Ärzten, die im „Deutschen Ärzteblatt“ vorgestellt wurde. Die Experten hatten insgesamt 39 deutsche Zulassungsstudien von neuen Medikamenten im Zeitraum 2009 bis 2010 ausgewertet. Nicht mit in die Datenlage flossen: „Generika, Biosimilars, Impfstoffe, Orphan Drugs, neue Darreichungsformen, Wirkstoff-gleiche Fertigarzneimittel und neue Kombinationen bekannter Wirkstoffe“.
Keine gesetzlichen Regelungen für Vergleiche mit Vorgänger-Medikamenten
Während eines Zulassungsverfahrens sind vor allem drei Ecksäulen für die Entscheidung ausschlaggebend: „Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit“. In Deutschland können Arzneimittel auf drei verschiedenen Wegen zugelassen werden. Entweder es erfolgt ein zentrales Verfahren der Europäischen Union mit Zulassung für alle EU-Staaten, oder es findet ein Zulassungsverfahren nur auf nationaler Ebene statt, wofür dann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder das Paul-Ehrlich-Institut zuständig sind. Die dritte Variante ist das sogenannte Verfahren der gegenseitigen Anerkennung. Das kann dann erfolgen, wenn in einem EU-Land bereits ein nationales Zulassungsverfahren durchlaufen wurde und das Medikament auch auf andere Mitgliedsstaaten ausgedehnt werden soll. Die Verfahren können nicht verhindern, dass neue Präparate nicht teurer sind, obwohl sie nicht besser wirken oder weniger Wechsel- oder Nebenwirkungen produzieren. Sie werden oft nicht mit ähnlich oder gleich wirkenden Mitteln verglichen. Der Gesetzgeber sieht nämlich einen Vergleich mit handelsüblichen Medikamenten nicht vor. Statt dessen wurden in den Zulassungsverfahren laut Studie in rund 50 Prozent der Fällen, das Mittel mit einem Placebo (Scheinmedikament) verglichen, statt es auf eine bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber dem Vorgänger zu messen.
Neue Arzneimittel fast immer kostenintensiver
Nach Erkenntnissen der Studie waren die neuen Mittel wesentlichen kostenintensiver, als Präparate die bereits auf dem Medikamentenmarkt erhältlich sind. Allein im Jahre 2009 mussten die gesetzlichen Krankenkassen nach Berechnungen der Forscher für neue Arzneimittel rund 874 Millionen Euro mehr ausgeben, als im Vorjahreszeitraum. Damit Ärzte die neuen Arzneien tatsächlich auch verschreiben, werden diese mit aufwendigen Werbeaktionen der Pharmaindustrie beworben. Dabei ging nur in „Ausnahmefällen eindeutig hervor, dass das zugelassene Fertigarzneimittel einen höheren Behandlungsnutzen hat, als vorige Alternativen“, mahnen die Autoren der Medikamentenstudie. „Dadurch können sich für die Vermarktung der neuen Arzneimittel für die Industrie bezüglich der Preisgestaltung Interpretationsspielräume ergeben“, schreibt das „Deutsche Ärzteblatt“ in einem Artikel. Die Studienautoren vermuten gar, dass die neuen Mittel denen, die sich bereits auf dem Medikamentenmarkt befinden, sogar in ihrer Wirksamkeit unterlegen sind.
„Wenigstens bessere Verträglichkeit“
Wenn schon keine bessere Wirkung erzielt wird, schreiben die Mediziner, dann sollten die Zulassungsstudien „wenigstens dafür sorgen, dass eine bessere Verträglichkeit für den Patienten belegt wird“. Im Resümee fordern die Autoren neue „Vorschriften und gesetzlicher Regelungen um die zum Zulassungszeitpunkt verfügbare Datenbasis zu verbessern und die Kosteneffektivität auf dem Arzneimittelmarkt zu erhöhen“. Eine neue Hoffnung ist die Novellierung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes der Krankenkassen, dass seit Jahresbeginn 2011 gilt. In diesem Gesetz ist festgeschrieben, dass sich der Preis des neuen Arzneimittels an dem festgestellten Zusatznutzen orientieren soll. Das sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, schreiben die Mediziner.
Das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte unlängst darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl der angebotenen Medikamente "überflüssig sind". Derzeit gibt es rund 50.000 unterschiedliche Arzneien auf dem Markt. "Ohne Qualitätsverlust könnte deren Zahl auf 10.000 reduziert werden." Der Arzneimittelreport der Barmer stellte fest, dass rund 40 Prozent der neuen Mittel "keinen zusätzlichen Nutzen für den Patienten bieten" und nur höhere Ausgaben verursachen. (sb)
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Bild: Benjamin Klack / pixelio.de
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