Scanner für Viren: Vom Blutstropfen zum viralen „Fingerabdruck“
Ein Tropfen Blut genügt, um mit einem neuen Test 1.000 verschiedene Viren aufzuspüren, gegen die die Immunabwehr irgendwann im Leben gekämpft hat. Das berichtet ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Genetikers Stephen Elledge von der Harvard Medical School im Fachmagazin „Science“. „VirScan“ sucht dabei nach Spuren im Immunsystem, die jeder Virus hinterlässt. Die Forscher hoffen, mit dem neuen „Viren-Scanner“ weitere Erkenntnis zur Entstehung und Bekämpfung von Erkrankungen zu gewinnen.
Scanner für Viren findet auch Erreger, die keine Erkrankung ausgelöst haben
Mit „VirScan“ ist es möglich, einen großen Teil der Krankheitsgeschichte eines Menschen zu rekonstruieren. Denn der neue Test, für den ein Tropfen Blut genügt, kann hunderte von Viren aufspüren, die im Laufe des Lebens von der Immunabwehr bekämpft wurden. Das Verfahren basiert darauf, dass der Körper mit der Produktion von Antikörpern auf Viren reagiert – unabhängig davon, ob sie eine Krankheit verursacht haben. Die Spuren einer abgeklungenen Infektion sind noch nach Jahrzehnten im Blut nachweisbar.
Im Rahmen ihrer Untersuchungen analysierten die Forscher Blutproben von 569 Studienteilnehmern. Im Schnitt entdeckten sie dabei zehn Spuren von früheren Virusinfektionen. Bei zwei Versuchsteilnehmern identifizierten die Forscher sogar 84 verschiedene Viren im Blut.
„VirScan ist ein bisschen wie der Blick in vergangene Zeiten: Mit dieser Methode können wir einen winzigen Tropfen Blut nehmen und festzustellen, mit welchen Viren sich eine Person im Laufe von vielen Jahren angesteckt hat”, erläutert Elledge. „Was das so einzigartig macht, ist der Umfang: Zurzeit muss ein Arzt erraten, um welchen Virus es sich handelt und individuell diesen testen. Mit VirScan können wir nach nahezu alle Viren, auch seltenen, mit einem einzigen Test suchen.”
Scanner für Viren könnte vor allem in der epidemiologischen Forschung zum Einsatz kommen
„Der Test kann hilfreich sein für die epidemiologische Forschung, wenn man heraus finden möchte, welche Viren in einer Bevölkerung verbreitet sind”, erklärte Hartmut Hengel, Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie von der Universität Freiburg, gegenüber „sueddeutsche.de“. Für die ärztliche Praxis sei das Verfahren jedoch weniger geeignet, da es nicht in der Lage sei, zwischen einer akuten und einer längst vergangenen Infektion zu unterscheiden. Zudem könnten nur Viren aufgespürt werden, die bereits bekannt sind, berichtet Hengel.
Auch Elledge und sein Team sehen das Haupteinsatzgebiet von „VirScan“ in der Epidemiologie. Der Test könnte aber auch Aufschlüsse über bisher unbekannte Wechselwirkungen zwischen Virusinfektionen und dem Immunsystems liefern sowie Zusammenhänge von Infektionen in der Kindheit und dem Ausbruch einer Krankheit erst Jahrzehnte danach erklären. So sind solche Spätfolgen beispielsweise für Humane Papillomaviren und Gebärmutterhalskrebs sowie Epstein-Barr-Viren und sehr seltene Lymphknotentumore bekannt. Dieser Erreger, der auch das Pfeiffersche Drüsenfieber verursacht, war im Blut von 87 Prozent der Studienteilnehmer nachweisbar.
„Eine Virusinfektion kann einen unauslöschlichen Abdruck im Immunsystem hinterlassen”, so Elledge. „Ein einfaches, reproduzierbares Verfahren wie VirScan kann uns helfen, neue Hypothesen aufzustellen und das Zusammenspiel zwischen dem Virom und dem Immunsystem des Wirtes zu verstehen.“ (ag)
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