Bochumer Ärzte entdecken zufällig neues MS-Medikament
28.08.2014
Seit wenigen Monaten ist hierzulande ein neues Medikament gegen Multiple Sklerose (MS) zugelassen, welches bereits jetzt von mehr als der Hälfte der MS-Patienten eingenommen wird. Das Kuriose: Das Medikament wurde ursprünglich im Katholischen Klinikum Bochum entdeckt, sorgte aber bislang nur außerhalb Deutschlands für Therapieerfolge und Millionenumsätze.
Allein in Deutschland werden schon 11.000 Patienten mit Tecfidera behandelt
Seit Februar dieses Jahres ist das neue oral einzunehmende Mittel „Tecfidera“ gegen Multiple Sklerose europaweit zugelassen, welches auch als „Fumarsäure“ bekannt ist. Mit einschlagendem Erfolg, denn allein in Deutschland werden mittlerweile 11.000 Patienten mit dem neuen Präparat behandelt, insgesamt leiden 200.000 Menschen an der Krankheit. Doch die Geschichte der Arznei hat Seltenheitswert, denn das Medikament wurde trotz der späten Zulassung ursprünglich sogar in Deutschland entdeckt. Es ist „die verrückteste Story, die ich je erlebt habe“, so Prof. Peter Altmeyer (69), Ärztlicher Geschäftsführer des Katholischen Klinikums, gegenüber der „WAZ“. Demnach hatte Altmeyer die positive Wirkung der Fumarsäure auf den Verlauf von MS bereits Ende der 1990er Jahre, während seiner Arbeit in der Hautklinik am St.-Josef-Hospital des Katholisches Klinikums Bochum, entdeckt.
Positive Wirkung der Fumarsäure durch Behandlung einer Schuppenflechte entdeckt
Prof. Altmeyer hatte damals einen MS-Patienten behandelt, der zusätzlich an der Hautkrankheit Schuppenflechte litt. Gegen diese bekam der Patient ein Mittel, welches so genannte „Fumarate“ enthielt, ein Wirkstoff, der als gut wirksam und verträglich bei mittelschwerer und schwerer Schuppenflechte gilt. Dabei handelt es sich um die Salze der Fumarsäure (auch „trans-Ethylendicarbonsäure“), einer natürlich vorkommenden organisch-chemischen Substanz, die in verschiedenen Pflanzen, Flechten und Pilzen vorkommt. Wie Altmeyer weiter berichtet, sei der Patient damals aufgrund seiner MS auch in der benachbarten Neurologischen Klinik behandelt worden – was zu einer überraschenden „Zufallsentdeckung“ geführt habe: Denn die neurologische Fachärzte stellten fest, dass der Verlauf der MS deutlich verlangsamt war, ausgelöst offenbar durch die eingenommenen Fumarate.
US-amerikanischer Biotechnologiekonzern „Biogen“ sichert sich die Rechte
Eine Studie der Neurologischen Klinik am St. Josef-Hospital bestätigte im Jahr 2012 schließlich die Vermutung, dass die Salze der Fumarsäure entzündungshemmend wirken und die Nervenzellen schützen können. „Bei Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose, konnte durch Dimethylfumarat im Vergleich zum Placebo signifikant der Anteil der Patienten reduziert werden, die einen Rückfall erlitten, ebenso wie die jährliche Schubrate, die Rate der fortschreitenden Behinderungen und die Anzahl der Läsionen im MRT“, so der Leiter der Studie und Direktor der Neurologischen Klinik, Prof. Ralf Gold im Fachmagazin „The New England Journal of Medicine“. „Das Immunsystem wird quasi umprogrammiert. Die Schübe der MS-Erkrankung werden um bis zu 50 Prozent gesenkt“, erklärt Prof. Ralf Gold gegenüber der WAZ weiter. Ergebnisse, die in der Fachwelt laut Altmeyer wie eine „Bombe“ eingeschlagen und den US-amerikanischen Biotechnologiekonzern „Biogen Idec Inc“ dazu gebracht hätten, sich frühzeitig die Rechte zu sichern.
Entdecker sind stolz auf ihre „Pionierarbeit“
Es folgte die Zulassung des Mittels im März 2013 in den USA, seit Februar 2014 können MS-Patienten das Mittel nun auch in Europa bekommen, was für die 200.000 Betroffene eine neue Hoffnung im Kampf gegen die chronisch-entzündliche Erkrankung bedeuten könnte. In den USA würden mittlerweile bereits 40 000 Patienten die Tabletten einnehmen, was dem Pharma-Konzern einen Umsatz in Milliardenhöhe beschert habe – zum Leidwesen Altmeyers: „Unser Fehler war, nicht rechtzeitig ein Patent angemeldet zu haben.“ Dadurch würde die Klinik in Bochum keinerlei Profit aus dem „Zufallsprodukt“ schlagen, dennoch bleibe aber der persönliche Erfolg: „Unsere Pionierarbeit macht uns stolz“, so Altmeyer weiter.
Bild: Viktor Mildenberger / pixelio.de
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