Neuropathie: Unangenehme Nervenschmerzen frühzeitig verhindern
Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden laut Expertenschätzungen an neuropathischen Schmerzen. Wenn solche Beschwerden lange anhalten, wird die Behandlung oft äußerst schwierig. Ein Forschungsteam hat einen Weg gefunden, um die Entwicklung von Nervenschmerzen frühzeitig zu unterbinden.
Unangenehmes Kribbeln in Händen und Füßen, Taubheitsgefühle, Pelzigkeit und Brennen – diese Symptome können auf eine Neuropathie, eine Erkrankung des Nervensystems hindeuten, erklärt die Fraunhofer-Gesellschaft in einer Mitteilung. Dauern die Nervenschmerzen mehrere Monate an, werden sie als chronisch bezeichnet. Dann sind sie nur sehr schwer zu behandeln, wobei verfügbare Medikamente oftmals gravierende Nebenwirkungen haben. Forschende des Fraunhofer-Instituts haben nun einen Weg gefunden, um die Entwicklung von neuropathischen Schmerzen frühzeitig zu unterbinden.
Fünf Millionen Deutsche leiden an neuropathischen Schmerzen
Laut der Fraunhofer-Gesellschaft leiden etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland an neuropathischen Schmerzen. Diese entstehen durch Schädigungen des peripheren oder zentralen Nervensystems.
Die Ursachen sind vielfältig: Häufig werden Nervenschmerzen durch Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose sowie Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, Infektionen oder Verletzungen ausgelöst, wird auf dem Portal „Anästhesisten im Netz“ des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten e.V. (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) erklärt.
Auch nach einer Chemotherapie leiden manche Patientinnen und Patienten unter neuropathischen Schmerzen, weil die zur Behandlung des Tumors verabreichten Medikamente Nerven angegriffen haben.
Zudem treten die Missempfindungen oftmals nach Operationen, beispielsweise bei Bypass-OPs, oder Unfällen auf, etwa wenn das Rückenmark verletzt ist, so die Fraunhofer-Gesellschaft. Auch Phantomschmerzen, unter denen nicht wenige Patientinnen und Patienten nach einer Amputation leiden, zählen zu den neuropathischen, mechanisch induzierten Schmerzen.
Lebensqualität ist erheblich beeinträchtigt
Typisch bei Betroffenen ist eine Veränderung der Hautsensibilität. Reize wie Kälte, Hitze oder Berührungen werden von ihnen stärker oder kaum empfunden. Problematisch wird es, wenn der Schmerz sich verselbständigt und chronisch wird.
Die Lebensqualität der betroffenen Personen ist dann erheblich beeinträchtigt. Oft können sie ihren Beruf nicht mehr ausüben, sie vernachlässigen Freizeitbeschäftigungen und Freundschaften. Die Folgen sind unter anderem Isolation, Resignation und Depression.
Die Entwicklung von neuropathischen, trauma-induzierten Schmerzen, die nach OPs oder Unfällen häufig auftreten, muss so früh wie möglich unterbunden werden. Denn wenn die neuropathischen Schmerzen erst einmal entstanden sind, wirken Therapien nur noch eingeschränkt. Hinzu kommt, dass die entsprechenden Medikamente starke Nebenwirkungen haben.
Fachleute forschen an alternativen Therapien für die frühzeitige Behandlung
Hier setzen Forscherinnen und Forscher am Institutsteil Translationale Medizin und Pharmakologie TMP des Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Frankfurt an. Die Fachleute forschen an alternativen Therapien für die frühzeitige Behandlung von neuropathischen Schmerzen.
In Tests konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass verschiedene Lipide, die als Signalmoleküle bei Verletzungen freigesetzt werden, die Entzündungsreaktionen an den beschädigten Nerven steuern.
„Die Nerven schlagen Alarm und setzen Lipide frei, um dem Immunsystem zu signalisieren, dass eine Verletzung vorliegt und die Ursache beseitigt werden muss“, erläutert Prof. Dr. Klaus Scholich, Gruppenleiter Biomedizinische Analytik und Imaging am Fraunhofer IME.
„Bei neuropathischen Schmerzen werden die angelockten Immunzellen nach einiger Zeit zum Feind. Sie interagieren derart mit den Nerven, dass die betroffenen Areale permanent entzündet sind. Die Nervenschmerzen können nicht mehr abflauen, sie werden chronisch. Indem wir Signalwege unterbrechen, die Immunzellen anlocken, können wir die Schmerzen deutlich verringern.“
Möglich ist dies zum Beispiel durch den rechtzeitigen Einsatz von Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Diclofenac. Frühzeitig verabreicht, können diese Medikamente die Herstellung des Lipids Prostaglandin E2 stoppen, das eine entscheidende Rolle bei trauma-induzierten Schmerzen spielt, weil es sowohl die Nerven sensibilisiert als auch das Immunsystem aktiviert.
Schmerzentstehung deutlich verringern
Darüber hinaus bindet Prostaglandin E2 den Rezeptor EP3. Wie es in der Mitteilung heißt, setzen Neuronen, die diesen Rezeptor aufweisen, das Signalmolekül CCL2 frei. Dieses fördert wiederum die Schmerzentwicklung entscheidend, weil es immer neue Immunzellen zu den verletzten Nerven lockt und auch selbst die Schmerzwahrnehmung verstärkt, wie die IME-Forschenden in ihren Untersuchungen herausfanden.
„Wir konnten die nachgeschalteten Mechanismen aufklären, die über Entzündungsreaktionen die Entstehung neuropathischer Schmerzen begünstigen“, erklärt Prof. Scholich. „Der Rezeptor EP3 erkennt das Prostaglandin E2. Indem man nun den EP3 ausschaltet und somit die CCL2-Freisetzung hemmt, kann man die Schmerzentstehung deutlich verringern.“
Den Angaben zufolge ließe sich das CCL2 mit therapeutischen, spezifischen Antikörpern abfangen. Diese Antikörper könnten bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen, wenn herkömmliche Arzneimittel wie beispielsweise Ibuprofen nicht mehr wirken.
Der Nachteil: Antikörper müssen gespritzt werden. Da dies von den meisten Patientinnen und Patienten als unangenehm empfunden wird, forschen Scholich und seine Kolleginnen und Kollegen an alternativen Wirkstoffen, die sich oral verabreichen lassen. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of Biological Chemistry“ veröffentlicht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Fraunhofer-Gesellschaft: Nervenschmerzen frühzeitig verhindern, (Abruf: 04.01.2020), Fraunhofer-Gesellschaft
- Anästhesisten im Netz: Nervenschmerzen, (Abruf: 04.01.2020), Anästhesisten im Netz
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.