Nicht nur Antibiotika hemmen unsere Darmbakterien
Es ist schon seit Jahren bekannt, dass Antibiotika die Darmflora schädigen können. Forscher haben nun jedoch festgestellt, dass auch viele andere gängige Medikamente das Wachstum von Bakterien hemmen, die natürlicherweise im Darm vorkommen. Demnach verursachen diese Arzneien antibiotika-ähnliche Nebenwirkungen und können sogar zur Antibiotikaresistenz beitragen.
Wichtiger Schutz vor Infektionen
Dass eine gesunde Darmflora einen wichtigen Beitrag zum Schutz vor Infektionen, Allergien und anderen Krankheiten leistet, ist lange bekannt. Laut Gesundheitsexperten können auch zahlreiche Beschwerden wie Gelenkerkrankungen und selbst Depressionen auf Störungen der Darmflora zurückgehen. Ebenfalls bekannt ist, dass die Einnahme von Antibiotika die nützliche Mikrobengemeinschaft in unserem Darm aus dem Gleichgewicht bringen kann. Doch auch andere gängige Medikamente können einen ähnlichen Effekt haben, wie Forscher nun herausgefunden haben.
Jedes vierte Medikament hemmt das Wachstum von Bakterien
Wie das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg in einer Mitteilung berichtet, hemmt jedes vierte in der Humanmedizin eingesetzte Medikament das Wachstum von Bakterien, die natürlicherweise im menschlichen Darm vorkommen.
Laut den Forschern verursachen diese Medikamente antibiotika-ähnliche Nebenwirkungen und können zur Antibiotikaresistenz beitragen.
Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, untersuchte das Forschungsteam die Wirkung von mehr als 1.000 auf dem Markt erhältlichen Medikamenten auf 40 repräsentative Bakterien aus dem menschlichen Darm.
Sie stellten fest, dass mehr als ein Viertel der Nicht-Antibiotika (250 von 923) das Wachstum mindestens einer Spezies des Mikrobioms hemmen.
Die Ergebnisse der Studie wurden vor kurzem im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.
Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms wird verändert
Der menschliche Darm enthält eine Vielzahl von Bakterienarten, deren Gesamtheit als das Darm-Mikrobiom bezeichnet wird. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich gezeigt, dass die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms die Gesundheit beeinflusst.
So ist bekannt, dass sich Antibiotika in hohem Maße auf dieses Mikrobiom auswirken und unter anderem Nebenwirkungen im Magen-Darm-Bereich verursachen
Zudem wurde vor kurzem berichtet, dass auch einige häufig verwendete Nicht-Antibiotika die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms verändern, doch der volle Umfang dieses Phänomens war bislang unbekannt.
Die Heidelberger Wissenschaftler haben zum ersten Mal die direkten Effekte auf dem Markt erhältlicher Medikamente auf einzelne Darmbakterien systematisch untersucht.
Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten noch unklar
Sie stellten fest: Nicht nur Antiinfektiva, sondern Medikamente aus allen therapeutischen Klassen hemmten das Wachstum verschiedener Darm-Mikroben.
„Wie viele verschiedene Arten von Medikamenten die Darm-Mikroben in Mitleidenschaft ziehen, war wirklich überraschend“, so Peer Bork vom EMBL.
„Insbesondere, weil unsere Daten nahelegen, dass die tatsächliche Zahl wahrscheinlich noch höher liegt. Diese Veränderung der Zusammensetzung unserer Darmbakterien trägt zu Medikamenten-Nebenwirkungen bei, kann aber auch Teil der positiven Wirkungen der Medikamente sein.“
Sein Kollege Kiran Patil fügte hinzu: „Das ist erst der Anfang. Wir wissen noch nicht, auf welche Art die meisten dieser Medikamente auf die Mikroben wirken, wie diese Effekte im menschlichen Wirt zu Tage treten und wie sich das zum Beispiel auf die Gesundheit der Patienten auswirkt.“
Und: „Wir müssen diese Beziehungen eingehend untersuchen, da dieses Wissen unser Verständnis sowie die Wirksamkeit vorhandener Medikamente enorm verbessern könnte.“
Unbemerkte Risiken
Die Studie unterstrich auch das bislang unbemerkte Risiko, dass die Einnahme von Nicht-Antibiotika zu einer Antibiotikaresistenz beitragen kann.
Dies liegt daran, dass allgemeine Resistenzmechanismen eine große Rolle zu spielen scheinen, die sowohl gegen Antibiotika als auch gegen andere Medikamente wirken.
„Das ist wirklich beängstigend“, so Nassos Typas, „wenn man bedenkt, dass Menschen ihr ganzes Leben lang, häufig über längere Zeiträume hinweg, Medikamente einnehmen.“
Der EMBL-Gruppenleiter erläuterte weiter: „Zum Glück wirken sich nicht alle Nicht-Antibiotika auf Darmbakterien aus und nicht alle Resistenzen werden sich weiter verbreiten. Interessanterweise kann eine Resistenz gegen bestimmte Nicht-Antibiotika die Wirksamkeit bestimmter Antibiotika erhöhen, was wiederum Möglichkeiten für die Erstellung optimaler Medikamentenkombinationen eröffnet.“
Personalisierte Medizin
„Wir sind gespannt auf die Ergebnisse weiterführender Untersuchungen, die darauf abzielen die Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Mikroben im Kontext des Darms besser zu verstehen“, so Georg Zeller.
„Alle Menschen unterscheiden sich in der Zusammensetzung ihres Mikrobioms, was erklären könnte wieso verschiedene Patienten unterschiedlich auf die gleichen Medikamente reagieren.“
Wir verfügen alle über unterschiedliche Bakterienarten – neben einigen Arten, die wir alle gemeinsam haben – und zudem verfügen wir über verschiedene Varianten innerhalb einer Spezies, die als Stämme bezeichnet werden.
Diese Stämme können ganz unterschiedliche Funktionen haben, darunter die Reaktion auf Medikamente. Somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass viele Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Mikroben individuell unterschiedlich ausfallen.
Dies wiederum eröffnet Möglichkeiten für personalisierte, auf das individuelle Darm-Mikrobiom des Patienten abgestimmte Medikamentenbehandlungen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.