Verordnete ein Auricher Nierenarzt überflüssige Dialysen?
16.11.2012
Patienten hatten sich bei ihrer Krankenkasse über die Behandlung eines Nierenarztes aus Aurich beschwert. Dann nahm die Staatsanwaltschaft den Mediziner ins Visier. Dieser soll in zahlreichen Patientenfällen eine Dialysetherapie verordnet haben, obwohl diese aus medizinischer Sicht völlig unnötig war. Seit einigen Monaten darf der Arzt keine Patienten der gesetzlichen Krankenkassen behandeln.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Hat ein Auricher Nierenspezialist massenhaft Dialysebehandlungen verordnet, obwohl überhaupt keine Notwendigkeit hierzu bestand? Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach eigenen Angaben gegen den Nephrologen aufgrund des „Verdachts der schweren Körperverletzung und Betrug in mindestens 42 Patientenfällen.“ Laut der Ermittlungsbehörde habe der Arzt demnach jeden dritten Patienten falsch therapiert. Die Mehrheit der Geschädigten sollen ältere Menschen sein. Nach Angaben der Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Annette Hüfner, „laufen die Ermittlungen bereits seit Oktober 2011“. Unklar sei aber, wann und ob überhaupt eine Anklage gegen den Mediziner erhoben wird.
Patienten beschwerten sich über den Arzt
Patienten hatten sich über den Arzt anonym bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) und bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) beschwert. Im Ursprung habe es sich um eine routinemäßige Überprüfung gehandelt, wie ein Sprecher der KVN erklärte. Im Normalfall müssen in Praxen, die eine Dialyse für 100 bis 150 Patienten anbieten, mindestens zwei Nierenfachärzte und ein Internist arbeiten. In der Stadt Aurich hatten im letzten Herbst zwei der drei Ärzte ihre Tätigkeit eingestellt. Einer von ihnen war der ehemalige Inhaber der Praxis, so der Sprecher. Dieser habe über Jahre hinweg mit dem betreffenden Arzt zusammengearbeitet. Im Sommer 2011 habe dieser die Praxis übergeben.
Routineüberprüfung stellte falsche Behandlungen fest
Im Verlauf von sechs Monaten sei es dem verbliebenen Arzt nicht gelungen, zwei neue Ärzte zu finden. Daraufhin habe die KVN die Abteilung „Qualitätskommission“ eingeschaltet, um eine Kontrolle durchzuführen. Im Rahmen dieser Kontrolle sei bei der Durchsicht der Patientendaten aufgefallen, dass das Hauptproblem nicht die zu wenigen Praxisärzte, sondern vielfach Behandlungen falsch waren. Zudem gebe es anscheinend auch hygienische Mängel, so die KVN.
Körperverletzung wegen falscher Behandlung
„Eine Dialyse ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“, erläutert Prof. Jan Galle, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Bevor die Dialyse initiiert werden kann, müsse ein Katheder gelegt werden. Viele der Patienten müssen sich schwerwiegenden Operationen unterziehen. Unterziehen sich Patienten einer Blutwäsche, obwohl hierfür keine hinreichende Indikation vorliegt, können die Betroffenen Schäden der Organe erleiden. Nach etwa zwei Dialysen kommt es zusätzlich zu einer körperlichen Abhängigkeit.
Bei der Überprüfung stellten die Experten derart massive Mängel fest, so dass die KVN nach einer Bestätigung durch das Landessozialgericht, die Praxis schließen ließ. Viele Patienten seien „aus allen Wolken gefallen“, als sie davon hörten. Demnach verlor der Mediziner zunächst seine Kassenzulassung und darf nur noch privat behandeln.
Ohne Kassenpatienten kann aber eine solche Praxis nicht betrieben werden, weshalb die Räumlichkeiten kurz vor dem Verkauf stehen. Doch nicht nur die Praxisschließung ist ein herber Schlag für den Nierenarzt. Das niedersächsische Sozialministerium prüft den eigenen Angaben zufolge, „ob dem Arzt grundsätzlich die Approbation entzogen wird“. Prof. Galle betonte, dass es sich „um einen absoluten Einzelfall handelt“. Sind Patienten unsicher, sollten sie lieber eine Zweitmeinung durch einen anderen Nierenspezialisten einholen.
Dialyse ist ein schwerer Eingriff in den Organismus
Einer Blutwäsche müssen sich Patienten unterziehen, wenn sie an schweren Nierenschäden leiden. Die Dialyse wird quasi zur Reinigung des Blutes eingesetzt, weil die Niere nicht mehr richtig funktioniert und Harnstoffe nicht mehr ausscheiden kann. Würden sich die Betroffenen keiner Dialyse unterziehen, würden sie sich von innen vergiften. Bei der Blutwäsche wird über ein Membran das Blut gewaschen, auf der einen Seite ist Blut und das Plasma und auf der anderen Seite eine Dialyselösung. Bei diesem Vorgang wird dem Patienten Wasser und toxische Stoffe entzogen. Während der Behandlung kann es zu starken Blutdrucksenkungen kommen. Nicht selten treten Müdigkeit, Gefühle von Taubheit und Kopfschmerzen auf.
Das Verfahren ist sehr kostenintensiv, weil Patienten drei mal pro Woche in die Praxis kommen müssen und die Blutreinigung etwa fünf Stunden dauert. Die meisten Patienten sind über 60 Jahre alt. In vielen Fällen entsteht Nierenversagen durch das Fortschreiten einer Diabetes Typ II-Erkrankung. (sb)
Bild: Schwert / pixelio.de
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