Der Nocebo-Effekt verursacht körperliche Beschwerden durch negative Erwartungen
Im Gegensatz zum berühmten „Placebo-Effekt“ ist der so genannte „Nocebo-Effekt“ den meisten Menschen bislang unbekannt. Dabei handelt es sich um ein sehr interessantes Phänomen, denn statt einer positiven Reaktion ergibt sich bei diesem eine scheinbar negative Wirkung eines Arzneimittels. Ausgelöst werden kann er schon durch das Lesen des Beipackzettels oder die Google-Suche nach bestimmten Symptomen. Dementsprechend bekommt hier der Hinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Ihren Arzt oder Apotheker“ einen ganz neuen Charakter.
Placebo-Effekt steht für positive Wirkung durch Glauben an die Behandlung
Den meisten Menschen ist der so genannte „Placebo-Effekt“ ein Begriff, indem er als positive therapeutische Wirkung bekannt ist, die allein auf der Annahme beruht, dass die Behandlung erfolgt haben könnte. Anders sieht dies beim „Nocebo-Effekt“ aus, welcher bislang weitgehend unbekannt ist. Dabei handelt es sich um den unheilvollen Gegenpart zu dem Placebo-Effekt und lässt allein durch die negative Erwartungshaltung körperliche Beschwerden und Erkrankungen entstehen. Das Lesen der Beipackzettel mit zahlreichen Nebenwirkungen kann über den Nocebo-Effekt zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass tatsächlich Nebenwirkungen auftreten.
Der Nocebo-Effekt ist derart stark, dass auch Aberglaube zu dem Auftreten von körperlichen Symptomen führen kann, was unter Umständen zu rätselhaften Massenphänomen in einigen Regionen der Welt führt. Gegenüber „Focus Online“ erläuterte die Leiterin der Schmerzambulanz am Universitätsklinikum Essen, Prof. Ulrike Bingel, dass der „Nocebo-Effekte negative psychologische oder körperliche Reaktionen“ wie das Neu-Auftreten von Symptomen oder Symptomverschlimmerungen beschreibe, „die ausgelöst werden durch negative Erwartungen, negative Überzeugungen oder negative Vorerfahrung und Angst.“
Konditionierung und Erwartung verantwortlich für den Nocebo-Effekt
Der Nocebo-Effekt funktioniert laut Aussage des Psychologen Professor Dr. Paul Enck von der Medizinischen Klinik, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen nach dem gleichen Prinzip wie der Placebo-Effekt, nur dass die Erwartungshaltung und somit auch die körperliche Reaktion eine andere ist. „Durch Konditionierung (Lernen), bei der eine frühere, positive wie negative Erfahrung mit Medikamenten eine Rolle spielt, und durch aktuelle Erwartungen, die Patienten haben und die durch suggestive Informationen genährt werden, wie sie zum Beispiel auf Beipackzetteln stehen“, werden die Effekte laut Prof. Enck hervorgerufen.
Massive körperliche Beschwerden aufgrund der Erwartung
Zu der Intensität der körperlichen Beschwerden, die durch den Nocebo-Effekt hervorgerufen werden können, berichtet eine Studie des US-Psychiaters Roy Reeves von der University of Mississippi in Jackson, die im Jahr 2007 im Fachmagazin „General Hospital Psychiatry“ veröffentlicht wurde. Hier habe ein junger Teilnehmer der durchgeführten Antidepressiva-Studie versucht, sich mit den ausgehändigten Psychopharmaka das Leben zu nehmen. Mit schweren körperlichen Symptomen und einem drastisch abgesackten Blutdruck wurde der Proband in die Notaufnahme eingeliefert. Im weiteren Verlauf stellte sich jedoch heraus, dass der 26-Jährige zu der Placebo-Gruppe zählte, also gar keinen Wirkstoff erhalten hatte. Sobald die Ärzte ihm dies eröffneten, gingen auch die Symptomen umgehend zurück.
Beipackzettel lesen als Risikofaktor für Nebenwirkungen?
Weniger eindeutig, aber dennoch klar erkennbar, ist der Nocebo-Effekt in zahlreichen weiteren Studien, bei denen die Teilnehmer zum Beispiel über massive Nebenwirkungen klagten, obwohl sie tatsächlich keine Arznei erhielten. Angesichts des Einflusses, den der Nocebo-Effekt auf die Behandlung haben kann, stellt sich die Frage, inwieweit die Informationen des Arztes und die Angaben auf dem Beipackzettel zu den drohenden Nebenwirkungen den Therapieerfolg möglicherweise behindern beziehungsweise gefährden.
Nocebo-Effekte möglichst durch Empathie und Verständnis vermeiden
Doch die Auflistung jeder möglichen Nebenwirkung eines Medikaments ist derzeit gesetzlich vorgeschrieben und sei von Ärzten, Apothekern, dem Verbraucherschutz- und Patientenorganisationen auch „ausdrücklich“ erwünscht: „Die Hinweise sind wichtig für die Abwägung von Nutzen und Risiken einer individuellen Therapie”, erklärt Siegfried Throm vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“.
Um Nocebo-Effekte bestmöglich zu verhindern, sollten Mediziner daher im Gespräch individuell auf den einzelnen Patienten eingehen und sich in dessen Lage versetzen. Zentral sei dabei vor allem eine klare und verständliche Ausdrucksweise, Fachausdrücke sowie „unbedachte und negative Äußerungen sollten möglichst vermieden werden”, so Robert Jütte, Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur.
Patienten sollten sich bei Unsicherheiten an den Arzt wenden
Zwar ließen sich die negativen Effekte laut der Ärztin Christiane Roick vom AOK Bundesverband „nicht mit Sicherheit vermeiden”, dennoch könne es helfen, wenn Patienten erfahren, dass ihre eigene Erwartung und Einstellung die medizinische Behandlung beeinflussen könne. „Wenn ein Patient durch eine in der Packungsbeilage aufgezählte mögliche Nebenwirkung verunsichert ist, dann kann er beim Arzt oder Apotheker fragen, wie häufig überhaupt die negative Begleiterscheinung bislang aufgetreten ist”, erklärt die Mannheimer Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Doris Wolf. Würde die Antwort „in zehn Fällen nur einmal” lauten, sollte sich der Patient bewusst machen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass gerade er betroffen sein könnte, eher gering ist, so die Expertin weiter. (fp, nr)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.