Bei Asperger-Syndrom ist trotz autistischer Störung ein normales Leben möglich
06.08.2014
Menschen mit dem Asperger-Syndrom sind häufig vielen Vorurteilen und Klischees ausgesetzt. Einerseits gelten sie als hochbegabte Wunderkinder andererseits als „Sonderlinge“, die nicht in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen. Die Nachrichtenagentur „dpa“ sprach mit Experten über den Alltag von Menschen mit dem Asperger-Syndrom.
Kinder mit Asperger-Syndrom zeigen bereits früh Verhaltensauffälligkeiten
Rund 0,9 Prozent der Bevölkerung leiden am Asperger-Syndrom. Bereits im Kindesalter fallen sie durch Verhaltensauffälligkeiten auf. Meist sind ihre Interessensgebiete stark eingeschränkt, dafür sind diese aber häufig außergewöhnlich und werden sehr tiefgehend verfolgend. In alltäglichen Situationen zeigen Asperger-Kinder zudem oft ungewöhnliche und nicht situationsangemessene Reaktionen, da es ihnen schwer fällt, Kontakte zu anderen zu knüpfen und zu kommunizieren. Viele der Betroffenen leiden an zwanghaftem Verhalten, das von Wiederholungsroutinen geprägt ist. „Das Asperger-Syndrom ist eine autistische Störung, die − wie alle anderen autistischen Störungen auch − schon in der frühen Kindheit beginnt und mit deutlichen Auffälligkeiten verbunden ist“, erläutert Inge Kamp-Becker von der Spezialambulanz für Autismus-Spektrum-Störungen am Uniklinikum Marburg gegenüber der Nachrichtenagentur.
Meist können Menschen mit dem Asperger-Syndrom normale Schulen besuchen. In der Regel leiden sie auch nicht an Sprachentwicklungsstörungen wie etwa Kinder mit frühkindlichem Autismus. „Eltern merken zwar meist schon früh, dass ihre Kinder irgendwie anders sind“, so Kamp-Becker. „Auffällige Verhaltensweisen werden aber im Kleinkindalter oft noch toleriert.“ Deshalb werde das Syndrom häufig erst spät diagnostiziert. Dennoch bedeute das nicht, dass es sich beim Asperger-Syndrom nur um eine leichte autistische Störung handele und die Betroffenen hochbegabt seien.
Menschen mit Asperger-Syndrom können das Interpretieren von Mimik und Gestik erlernen
Besonders schwierig ist es für Autisten, Mimik und Gestik zu verstehen und die Gefühlsregungen ihres Gegenübers richtig zu interpretieren. Folglich können sie häufig nicht verstehen, welche Absicht jemand in einem Gespräch verfolgt. „Das ist eine Fähigkeit, die sich normalerweise etwa im vierten Lebensjahr herausbildet, und die wahrscheinlich viel mit der Vernetzung verschiedener Hirnareale zu tun hat“, erläutert Prof. Ludger Tebartz van Elst von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Freiburg gegenüber der Nachrichtenagentur. Da Autisten deshalb im sozialen Umgang mit ihren Mitmenschen häufig überfordert seien, könnte sich ihr starkes Bedürfnis nach festen Routinen entwickelt haben. Es sei sehr wichtig, bereits früh die Diagnose zu stellen. „Sonst gibt es so einen Rattenschwanz von Missverständnissen, so viel Frust, Hänseleien und fehlende Akzeptanz − in der Schule, bei der Arbeit und in den Beziehungen“, berichtet Tebartz van Elst.
Durch intensives Training können Betroffene das erlernen, was anderen intuitiv gegeben ist wie das Verstehen von Mimik und Gestik, alltägliche Situationen zu bewältigen und in Gesprächen situationsangemessen zu reagieren. Wie der Psychiater erläutert, sei auch die berufliche Integration von großer Bedeutung.
Ein Beispiel für eine gelungene Integration in den Beruf ist die Autistin Christine Preißmann, die als Allgemeinärztin und Psychotherapeutin tätig ist. Sie berichtet gegenüber der Nachrichtenagentur, dass immer mehr Menschen mit autistischen Störungen ein Studium abschließen würden. Die Ärztin wünscht sich mehr Akzeptanz in der Gesellschaft. Dafür sei es wichtig, ein realistisches Bild von Autismus zu zeigen, das weder ausschließlich einem Hochbegabten noch dem Kind, das schaukelnd in der Ecke sitzt, entspreche. Betroffene seien trotz autistischer Störung ganz normale Menschen.
Unternehmen setzen auf besondere Fähigkeiten von Autisten
Seit einigen Jahren setzten Unternehmen gezielt auf die Fähigkeiten von Autisten. So passen ein sehr gutes Konzentrationsvermögen, Akribie, Detailgenauigkeit und ihre spezielle Art logisch zu Denken hervorragend in die Bereiche Programmierung, Software-Tests und Qualitätssicherung von IT-Konzernen. SAP will deshalb bis zum Jahr 2020 ein Prozent seiner derzeit 65.000 Stellen mit Menschen mit einer autistischen Störung besetzen.
Ein weiteres beispiel ist der IT-Dienstleister „Auticon“, der bereits in Berlin, Düsseldorf, München und Frankfurt am Main Niederlassungen eröffnet hat, in denen Menschen mit Asperger-Syndrom als Consultants eingesetzt werden. Den Autisten stehen sogenannte Jobcoaches zur Verfügung, die sie bei Problemen im sozialen Bereich unterstützen. (ag)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.