Stehen Bereitschaftsdienst und Notarztdienst in Bayern vor dem Kollaps?
26.07.2012
In Bayern steht der ärztliche Notdienst laut Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) vor dem Zusammenbruch, wenn nicht grundlegende Reformen erfolgen. Dies bedeutet, es bedarf auch einer erhöhten finanziellen Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Krankenkassen weigern sich bisher jedoch strikt, den Ärzten mehr Geld für den Aufbau einer verbesserten ärztlichen Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
„Im Rahmen einer dringlichen Sitzung hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns gestern in München über die massiven Probleme im Ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie im Notarztdienst in Bayern debattiert“, so die aktuelle Mitteilung der KVB. Alle Beteiligten waren sich dabei einig, dass es ein „Weiter so!“ nicht geben kann, wenn der Bereitschaftsdienst und der Notarztdienst erhalten bleiben soll. Die Vertreter der Ärzteschaft übten heftige Kritik an dem Standpunkt der Krankenkassen, die sich ihrerseits bisher zu keinen zusätzlichen finanziellen Leistungen für den Ausbau der ärztlichen Infrastruktur bereit erklärt haben.
Kritik an der Ausgabenpolitik der gesetzlichen Krankenkassen
Der Vorstandsvorsitzende der KVB, Dr. Wolfgang Krombholz, erläuterte, dass „sich die gesetzlichen Krankenkassen momentan zwar in einer komfortablen wirtschaftlichen Situation befinden, die Versichertengelder jedoch nicht in deren Versorgung investieren.“ Dr. Ilka Enger, zweite stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVB, ergänzte: „Anstatt die Beitragsgelder in die Versorgung ihrer Versicherten zu investieren, werden kostspielige Marketing-Maßnahmen oder fragwürdige Studien finanziert.“ Derartigen Luxus könne man sich nicht leisten, solange sowohl die ambulante Regelversorgung als auch der Bereitschaftsdienst und der Notarztdienst nicht ausreichend vergütet sind, so der Tenor von Dr. Krombholz und Dr. Enger.
Seit Jahren keinen Honorarzuwachs bei den Ärzten
Dr. Krombholz führte weiter aus, das es für die Ärzteschaft in Bayern seit Jahren keinen echten Honorarzuwachs gegeben habe. Die Steigerungsraten bei der Vergütung seien lediglich auf die wachsende Anzahl an Behandlungen zurückzuführen. „Nicht einmal ein Inflationsausgleich hat stattgefunden“, kritisierte der KVB-Vorstandsvorsitzende. Auch der erste stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVB, Dr. Pedro Schmelz, betonte, die Auswertung der Honorar- und Fallzahlentwicklung habe ergeben, dass seit 2007 keine echte Honorarsteigerung stattfanden. Dies „kann so nicht weitergehen“, denn die Ärzte könnten nicht dauerhaft von ihrer Substanz leben, erklärte Schmelz. „Auf diese Weise ist der umfassende Sicherstellungsauftrag nicht mehr lange zu erfüllen“, so das Fazit des stellvertretenden KVB-Chefs..
Bereitschaftsdienst ohne tiefgreifende Reformen vor dem Zusammenbruch
Laut Dr. Krombholz hat die geringe Vergütung bei gleichzeitig extremer Dienstbelastung dazu geführt, dass die Niederlassung in eigener Praxis für junge Mediziner eher unattraktiv ist. Daher fehle „nicht nur der Nachwuchs in der Regelversorgung, sondern auch in der Versorgung außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten“, so die Mitteilung der KVB. Dem KVB-Chef zufolge ist der Bereitschaftsdienst aufgrund des Nachwuchsmangels ohne tiefgreifende Reformen nicht flächendeckend aufrechtzuerhalten. Kern der Reformen muss nach Ansicht von Dr. Krombholz die Zusammenlegung von Dienstbereichen sein, um je Dienstbereich mehr Ärzte zur Verfügung zu haben. Die einzelnen Ärzte würden so seltener die anstrengenden, auf dem Lande wenig lukrativen Wochenenddienste leisten müssen. Das Ziel bei der Bereitschaftsdienstordnungsreform sei eine Verringerung der Dienstgruppen von 481 auf 177 und eine Erhöhung der Bereitschaftspraxen von 40 auf 109.
Siebzig neue Bereitschaftspraxen erforderlich
Der Vorschlag des KVB würde allerdings etwa siebzig neue Bereitschaftspraxen erforderlich machen, wobei dies nicht ohne finanzielle Unterstützung der Krankenkassen zu bewerkstelligen wäre. Zwar hätten sich die gesetzlichen Krankenversicherungen dazu bereit erklärt, ab dem zweiten Quartal einen Zuschlag von zehn Euro und im dritten beziehungsweise vierten Quartal von fünf Euro je Fall zu zahlen, um die Bereitschaftspraxen zu unterstützen, dies sei angesichts der bestehenden Probleme jedoch nicht ausreichend, betonte Dr. Krombholz. Der KVB forderte nicht nur eine Angleichung der Wegepauschalen und eine angemessene Erstattung der Sachkosten, sondern auch eine Anschubfinanzierung für die neuen einzurichtenden Bereitschaftsdienstpraxen.
Notarztdienst in Bayern ebenfalls bedroht
Die zweite stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVB, Dr. Ilka Enger, bemängelte außerdem, dass derzeit nicht einmal alle geleisteten Notarzteinsätze überhaupt vergütet werden. Oftmals zweifelten die Krankenkassen deren Notwendigkeit an. Auf diese Weise sei bei der KVB in den Jahren 2009 bis 2011 ein Defizit in Höhe von knapp elf Millionen Euro entstanden, welches eine Absenkung der Vergütung im Bereich des Notarztdienstes ab dem vierten Quartal 2012 erforderlich gemacht habe.. „Diese Entscheidung ist uns schwer gefallen und widerspricht unserer Überzeugung, dass die von Bayerns Notärzten geleistete Arbeit anständig vergütet gehört“, erläuterte Dr. Enger und ergänzte: „Doch solange die Krankenkassen berechtigte Honorarforderungen der Notärzte nicht anerkennen, bleibt uns keine andere Wahl.“ Durch die Absenkung der Vergütung werde es künftig vermutlich noch schwieriger, die Dienste zu besetzen, so das Fazit der Expertin. Damit steht der Notarztdienst vor ähnlichen Problemen wie der Bereitschaftsdienst. (fp)
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