Bundesverfassungsgericht: Gerichte müssen Haftraumgröße aufklären
Karlsruhe (jur). Eine nur 4,5 Quadratmeter kleine Gefängniszelle ist für die dauerhafte Inhaftierung eines Gefangenen viel zu klein und verletzt dessen Menschenwürde. Geht dabei die Gefängnisverwaltung von einem größeren Haftraum aus, müssen Gerichte die Haftraumgröße genau aufklären, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am aktuell veröffentlichten Beschluss vom 22. März 2016 (Az.: 2 BvR 566/12). Andernfalls werde auch das Grundrecht des Gefangenen auf effektiven Rechtsschutz verletzt.
Damit bekam ein Häftling recht, der seine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Butzbach verbüßt. Im März 2014 wurde er aus organisatorischen Gründen in eine sogenannte „Schlauchzelle“ verlegt.
Nach Angaben des Gefangenen war diese nur 4,49 Quadratmeter klein. Diese Zellengröße stelle für eine dauerhafte Unterbringung eine Verletzung seiner Menschenwürde dar. Im Haftraum fanden ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl Platz. Es sei eine Zumutung, dass sich auch noch die Toilette in dem kleinen Raum befunden habe.
Als der Häftling gerichtlich die Verlegung in einen größeren Haftraum beantragt hatte, wurde er am 14. April 2014 in einen größeren Haftraum verlegt.
Der Haftraum habe aber nicht die Menschenwürde verletzt, so die JVA vor dem Landgericht. Zum einen sei die Zelle etwas größer als sechs Quadratmeter. Zum anderen sei der Häftling nicht dauerhaft untergebracht gewesen. Er sei ja jetzt in einem größeren Haftraum. Werktags arbeite er zudem in der Haftanstalt und sei zwölf Stunden nicht in seiner Zelle. Nur am Wochenende müsse er 20 bis 23 Stunden dort verbleiben. Die JVA legte zudem ein Foto einer vergleichbaren „Schlauchzelle“ vor.
Nachdem auch noch ein Richter sich eine vergleichbare Schlauchzelle angesehen hatte, stellte das Landgericht fest, dass die Zelle zwar klein sei, eine „tiefgreifende Grundrechtsbeeinträchtigung“ aber nicht vorliege.
Der Gefangene wandte ein, dass das Gericht nicht die Größe seiner Zelle genau geprüft habe. Das Gericht habe sich nur eine andere „Schlauchzelle“ angesehen. Er sei zudem nur deshalb in eine größere Zelle verlegt worden, weil er sich gerichtlich gewehrt habe.
Das Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde. Die Fotos würden einen hinreichenden Eindruck vermitteln, dass die Zellengröße noch zumutbar ist. Auch die fehlende Abtrennung des Toilettenbereichs stelle keine Verletzung der Menschenwürde dar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) habe zudem als Orientierung für die Haftraumgröße einen Regelwert von vier Quadratmetern pro Gefangenen benannt (Az.: 20877/04).
Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der Gefangene nun Erfolg. Die Vorinstanzen hätten bei einem nachdrücklichen Bestreiten der Zellengröße diese genau aufklären müssen und sich nicht auf Fotos vergleichbarer Zellen verlassen dürfen. Damit sei der effektive Rechtsschutz verletzt worden. Auch wurde nicht genau aufgeklärt, wie lange der Gefangene werktags und am Wochenende genau in dem Haftraum bleiben musste.
Das Urteil des EGMR zur Haftraumgröße sei hier nicht übertragbar, da es sich auf Gemeinschaftshafträume und nicht auf Einzelzellen beziehe. Die aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sich ergebenden Mindeststandards seien auch nicht „notwendig identisch mit Anforderungen des Grundgesetzes“, so die Karlsruher Richter.
Ob die räumlichen Haftbedingungen die Menschenwürde verletzt, sei in einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei müsse die Bodenfläche und die Situation der sanitären Anlagen, konkret die Abtrennung von Toilette und deren Belüftung, berücksichtigt werden.
Auch die Dauer der Unterbringung könne maßgeblich sein. Bei einer nur vorübergehenden Unterbringung komme es darauf an, ob der Gefangene die begrenzte Unterbringungsdauer absehen konnte. Bei einer dauerhaften Unterbringung sei in jedem Fall aber eine Haftraumgröße von nur 4,5 Quadratmeter mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Bei einer Unterbringung von mehreren Wochen liege ein Verfassungsverstoß nahe. (fle/mwo/fle)
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