Neurochirurgen warnen vor Verunsicherung von Patienten
29.04.2014
Muss ein Bandscheibenvorfall operiert werden oder reicht eine konservative Therapie aus? Die Notwendigkeit von Bandscheiben-OPs wird kontrovers diskutiert, denn während die Schulmedizin eine Operation in vielen Fällen für das beste Mittel hält, gehen ganzheitlich orientierte Mediziner davon aus, dass eine Kombination aus Bewegung, Massage und Krankengymnastik die langfristig aussichtsreichste Therapie darstellt. Da das Pro und Contra Wirbelsäulenoperation für immer mehr Verunsicherung unter den Patienten sorgt, hat nun die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) im Vorfeld ihrer 65. Jahrestagung ein Statement zu diesem Thema abgegeben. Demnach seien konservative Therapien bei einem Bandscheibenvorfall die Methode der ersten Wahl – sofern keine neurologischen Ausfälle wie Lähmungen oder Taubheitsgefühle vorliegen.
Notwendigkeit von operativen Eingriffen an der Wirbelsäule wird kontrovers diskutiert
Die Diskussion um Notwendigkeit und Nutzen von operativen Eingriffen an der Wirbelsäule – wie zum Beispiel an der Bandscheibe – ist allgegenwärtig und führt zu immer stärkerer Verunsicherung unter den Patienten. Aus diesem Grund hat die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) nun im Vorfeld ihrer 65. Jahrestagung in Dresden ein klares Statement dazu abgegeben, wann ein Eingriff aus medizinischer Sicht angezeigt ist und wann nicht. Demzufolge würde die Leitlinie der DGNC zum Bandscheibenvorfall der Lendenwirbel vorsehen, dass konservative Behandlungsansätze immer den Vorrang vor der operativen Behandlung hätten. Doch in einigen Fällen sei eine OP beim Bandscheibenvorfall unerlässlich, und zwar dann, „wenn Lähmungserscheinungen auftreten oder Blase oder Darm nicht mehr kontrolliert werden können“, so Professor Dr. med. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Technischen Universität München am Klinikum rechts der Isar. „In allen anderen Fällen kann man operieren, muss aber nicht“, erklärt der Experte weiter – dementsprechend müsse in jeder einzelnen Situation gründlich abgewägt werden.
Studien zeigen, dass Operierte schneller schmerzfrei sind
Hilfestellung bei der Abwägung könnten laut Professor Meyer zwei Studien zur Therapie des Bandscheibenvorfalls bieten, die „[…] klare Fakten geschaffen haben und bei der Beratung von Patienten maßgebend sein sollten.“ Dabei handele es sich zum einen um die sogenannte „SCIATICA-Studie“ von 2007, in der Wissenschaftler Patienten mit einem schwerem Bandenscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule in zwei Gruppen aufteilten – in einer wurde konservativ behandelt, in der anderen zu einem frühen Zeitpunkt operiert. Das Ergebnis: Nach einem Jahr ging es den Probanden beider Gruppen zwar größtenteils gleich gut, die Operierten hatten sich allerdings vergleichsweise schneller von dem Vorfall erholt und hatten zudem schneller keine Schmerzen mehr. Zu ähnlichen Ergebnissen war laut der DGNC ein Jahr zuvor schon die Spine Patient Outcomes Research Trial (SPORT) gekommen, wobei es sich um eine der größten klinischen Studien zu Erkrankungen der Wirbelsäule handelt. Hier hatte sich gezeigt, dass zwei Jahre nachdem die eine Gruppe frühzeitig operiert und die andere konservativ behandelt worden war, ebenfalls kein gravierender Unterschied im Gesundheitszustand vorlag – dennoch aber sowohl die Erholung der Patienten als auch die Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit bei den Operierten schneller verlief.
Rate der geringfügigen Komplikationen liegt bei bei zwei bis vier Prozent
Dementsprechend müsse von Fall zu Fall individuell entschieden werden, denn „bei der Behandlung von Bandscheibenvorfällen kommt es weder durch langfristige konservative Therapien vermehrt zu irreversiblen Nervenschäden, noch ist die operative Behandlung überdurchschnittlich riskant“, erklärt Professor Meyer weiter. Hier käme es laut den beiden genannten Studien in etwa zwei bis vier Prozent der Fälle zu geringfügigen Komplikationen. Daher sollten sich Patienten im Zweifelsfall auch von einem zweiten Arzt beraten lassen, so die Empfehlung von Professor Dr. med. Gabriele Schackert, Direktorin der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Dresden und Präsidentin der 65. Jahrestagung der DGNC.
Jährlich erleiden fünf von 1000 Menschen einen Bandscheibenvorfall
Die Verunsicherung betrifft dabei immer mehr Patienten, denn ein Bandenscheibenvorfall ist mittlerweile zu einem „Volksleiden“ geworden und betrifft laut Professor Meyer in den Industriestaaten jährlich fünf von 1000 Menschen. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der Wirbelsäule, bei der sich der innere, gallertartige Kern der Bandscheibe (Diskus vertebralis) verschiebt und den schützenden Bindegewebsring durchbricht. Dadurch kann die austretende Gallertmasse auf die am Rückenmark entspringenden Nerven drücken und Beschwerden wie Armschmerzen, Beinschmerzen oder neurologische Ausfälle auslösen. Ausgelöst wird ein solcher Vorfall meist durch Überlastung oder altersbedingte degenerativ bedingte Veränderungen in den Bandscheiben, denn diese liegen wie Kissen zwischen den Wirbeln und fungieren dort als eine Art elastischer Stoßdämpfer und Abstandshalter. Da mit dem Alter der Wassergehalt sinkt, verlieren auch die Bandscheiben an Elastizität, wodurch der Faserring kleine Risse bekommen kann: „Bei vielen helfen Schmerzmittel und Physiotherapie – doch etwa ein Drittel der Patienten erreicht mit diesen konservativen Methoden langfristig keine ausreichende Schmerzfreiheit und muss doch operiert werden“, so Professor Meyer. Wie lange zunächst versucht werden sollte, auf konservativem Wege erfolgreich zu therapieren, hänge dabei dem Mediziner nach auch immer vom Willen und der persönlichen Situation des Betroffenen ab. (nr)
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