Mehr Vergiftungen durch Paracetamol
Paracetamol ist das weltweit beliebteste Schmerzmittel und in Deutschland bis zu einer gesamten Wirkstoffmenge von 10 Gramm rezeptfrei erhältlich. Auch hochdosierte Tabletten mit 1000 Milligramm pro Einheit sind in Apotheken oder im Online-Handel problemlos verfügbar. Eine aktuelle Untersuchung zeigt nun, dass Vergiftungen durch Paracetamol-Überdosierungen nicht selten sind und in den letzten Jahren sogar zugenommen haben. Wann wird die Einnahme von Paracetamol zum Gesundheitsrisiko?
Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) untersuchten, ob die freie Verfügbarkeit von hoch dosiertem Paracetamol mit häufigeren Vergiftungen durch den Wirkstoff in Verbindung steht. Sie kommen zu dem Schluss, dass dem so ist. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in dem medizinischen Fachjournal „JAMA Network Open“ präsentiert.
Häufige Paracetamol-Überdosierungen
In der Schweiz ist seit dem Jahr 2003 das Schmerzmittel Paracetamol in einer höheren Wirkstoffdosis erhältlich. Gleichzeitig konnten die Forschenden durch ihre Datenanalyse eine Zunahme von Paracetamol-Vergiftungen belegen. Die rezeptfreie Verfügbarkeit von hochdosierten Tabletten verleite die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht selten zu einer Überdosierung.
Steiler Verkaufsanstieg von hochdosiertem Paracetamol
Das Team analysierte die Verkaufszahlen von hochdosiertem Paracetamol und glich diese mit den aufgetretenen Paracetamol-Vergiftungen ab. Es zeigte sich, dass bereits zwei Jahre nach der Einführung der 1000-Milligramm-Tabletten im Jahr 2003 mehr hochdosierte Produkte verkauft wurden als 500-Milligramm-Tabletten, die zuvor die höchst verfügbare Dosis waren. Heute werden sogar zehnmal mehr 1000-Milligramm-Tabletten als 500-Milligramm-Tabletten verkauft.
Vergiftungen stiegen gleichzeitig an
Im selben Zeitraum nahmen auch die in der Schweiz gemeldeten Paracetamol-Vergiftungsfälle zu. In den folgenden drei Jahren nach dem Jahr 2005 stiegen die Vergiftungsfälle um 40 Prozent von 561 im Jahr 2005 auf 786 im Jahr 2008 an. „Wir können daher davon ausgehen, dass die vermehrten Vergiftungen mit der Verfügbarkeit der 1000-Milligramm-Tabletten zusammenhängen“, resümiert Studienmitautor Stefan Weiler. In den Jahren 2008 bis 2018 gab es einen weiteren konstanten Anstieg der Vergiftungen von 786 auf 1188 Fälle pro Jahr.
Paracetamol ist bei richtiger Anwendung sicher
„Paracetamol ist ein sehr sicheres Medikament, allerdings nur für die kurzzeitige Schmerzbekämpfung und solange die Tagesdosis die empfohlene Bandbreite nicht überschreitet“, betont Professorin Andrea Burden aus den Studienteam. Die empfohlene Maximaldosis für Erwachsene liege bei 4000 Milligramm (vier Gramm) pro Tag. Innerhalb von 24 Stunden dürften also maximal vier Paracetamol-Tabletten eingenommen werden, wenn diese eine Dosierung von 1000 Milligramm haben. „Bei Überdosierungen kann Paracetamol zu schweren Vergiftungen mit Leberversagen und der Notwendigkeit einer Lebertransplantation oder sogar mit tödlichem Ausgang führen“, warnen die Forschenden.
Wie äußert sich eine Paracetamol-Vergiftung?
Eine Überdosierungen verursacht oft nicht sofort Beschwerden. Bei einer hohen Überdosis kann es einige Stunden nach der Einnahme zum Erbrechen kommen. 24 bis 72 Stunden nach einer Überdosierung können Bauchschmerzen auftreten, die von Übelkeit und Erbrechen begleitet werden können. Oft steckt eine Leberfunktionsstörung hinter den Symptomen. Lange Überdosierungen können sich durch eine Gelbsucht äußern, bei der sich die Augen und die Haut gelblich färben. In diesem Stadium kann es auch zu Nierenversagen, inneren Blutungen und einer Bauchspeicheldrüsenentzündung kommen. Wenn sich dieser Zustand weiter verschlimmert, droht ein Leberversagen, welches zum Tod führen kann.
Wie kommt es zu den Überdosierungen?
„Ein Problem von Paracetamol ist, dass es nicht bei allen Patientinnen und Patienten und gegen alle Formen von Schmerz wirkt“, erläutert Burden. Wenn die Arznei keine Wirkung zeigt, gerate die Person in Versuchung, mehr von dem Wirkstoff einzunehmen. Durch die rezeptfreie Verfügbarkeit sei die Dosierung nur über den Beipackzettel und nicht durch eine reale Fachperson empfohlen.
Schnellere Überdosierung bei hochdosierten Tabletten
Durch eine größere Verfügbarkeit von hochdosierten Tabletten sei eine Überdosierung schneller zu erzielen. Ob Paracetamol wirkt oder nicht, hänge nicht allein vom Wirkstoff ab. Bei manchen Personen zeige Paracetamol einfach nicht die erhoffte Wirkung. Da helfe auch eine zusätzliche Tablette nicht.
„Mit den 1000-Milligramm-Tabletten kann die Tageshöchstdosis bereits mit wenigen zusätzlichen Tabletten überschritten werden“, unterstreicht die Professorin. Wirke Paracetamol nicht wie erwünscht, sollten nicht einfach weitere Tabletten eingenommen werden. Stattdessen sollte eine Ärztin beziehungsweise ein Arzt zu geeigneten Alternativen oder andere Therapiemöglichkeiten befragt werden.
Paracetamol bei chronischen Schmerzen ungeeignet?
Die Forschenden sprechen sich für eine Verschärfung der Verschreibungspflicht aus. Es gebe immer mehr Hinweise darauf, dass sich Paracetamol nur zur kurzfristigen Anwendung eigne und bei chronischen Schmerzen ungeeignet sei. Deshalb besteht nach Ansicht des Forschungsteam wenig Bedarf auf große Packungen mit hochdosiertem Paracetamol. Darüber hinaus sei das Risiko der Überdosierung bei 500-Milligramm-Tabletten geringer. Lesen Sie auch: Paracetamol: Schnelle Überdosierung bei dieser Mangelerscheinung. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Adrian Martinez-De la Torre, Stefan Weiler, Dominic Stefan Bräm, et al: National Poison Center Calls Before vs After Availability of High-Dose Acetaminophen (Paracetamol) Tablets in Switzerland; in: JAMA Network Open, 2020, jamanetwork.com
- ETH Zürich: Mehr Paracetamol-Vergiftungen (veröffentlicht: 28.10.2020), ethz.ch
- MSD Manual: Vergiftung mit Paracetamol (Stand: Februar 2019), msdmanuals.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.