Personalisierte Medikamente: Kassen sind skeptisch
02.06.2014
Auch wenn ein für den Einzelnen maßgeschneidertes Medikament Science-Fiction bleibt, so kommen doch immer öfter Vorab-Tests zum Einsatz, wenn verschiedene Arzneimittel von der Stange zur Auswahl stehen. Die Krankenkassen haben Zweifel, ob solche Tests die Behandlungsqualität wirklich verbessern.
Nicht alle Medikamente wirken bei allen gleich
Nicht alle Medikamente wirken bei allen Menschen gleich. Was bei einem Patienten wahre Wunder hervorruft, ist möglicherweise für einen anderen gefährlich. Beispiele gibt es genug. Etwa Lungenkrebs, bei dem gezielt wirkende Medikamente im fortgeschrittenen Stadium nur bei 15 Prozent der Patienten infrage kommen. Oder HIV, wo ein Präparat bei drei Prozent der damit Behandelten lebensgefährliche Nebenwirkungen hat. Für beide Medikamente gibt es einen Gentest, mit dem das Risiko vor der Therapie abgeklärt werden könne. Das Schlagwort heißt „Personalisierte Arzneimitteltherapie“. Viele halten diese für einen zukunftsweisenden Weg. Trotzdem bleiben Zweifel. Die Krankenkassen etwa sagen, dass der Nutzen nicht bewiesen sei.
Eines der vielversprechendsten Felder der Gesundheitsforschung
Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) bei der Vorstellung eines Aktionsplans im vergangenen Jahr, dass individualisierte Medizin eines der vielversprechendsten Felder der Gesundheitsforschung sei. Das Ministerium will bis 2016 bis zu 100 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet stecken. Derzeit werden dem Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) zufolge 30 bis 40 Medikamente personalisiert eingesetzt. Theoretisch könnten Vorab-Gentests drei Arten von Prognosen liefern: wie gut das Medikament bei einem Patienten wirkt, wie gut er es verträgt und wie es am besten dosiert wird.
Personalisierte Medikamente vor allem in der Tumortherapie
Laut vfa gibt es die meisten personalisierten Medikamente in der Tumortherapie. „Grundsätzlich halten wir sehr viel davon“, so Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Solche Tests seien für manche Krebsmedikamente sogar in der Zulassung vorgeschrieben: Sie dürften nur verordnet werden, wenn ein bestimmtes Zellmerkmal vorhanden ist. „Es geht darum, dass nur die Patienten das Präparat bekommen, denen es auch wirklich hilft“, erklärte Wörmann. Es gebe solche Tests allerdings erst für weniger als 20 von weit über 100 Krebsmedikamenten. Er hielte mehr für wünschenswert, aber nicht alle Wirkmechanismen seien dafür gleich gut geeignet.
Patienten müssen teure Tests selbst zahlen
Die in Bad Vilbel ansässige Stada AG ist einer der Arzneimittelhersteller, die auf diesem Feld aktiv sind. Dafür arbeitet sie mit dem Frankfurter Biotechnologieunternehmen Humatrix zusammen. Sie vertreiben zusammen DNA-Tests zur Nachbehandlung von Brustkrebs, bei zu hohem Cholesterinspiegel sowie für Patienten mit erhöhtem Herzinfarkt- und Thromboserisiko. Wie Stadapharm-Geschäftsführer Lothar Guske mitteilte, sei das neueste Produkt ein Test, „der Ärzten und Patienten bei der Entscheidung hilft, welches von 16 möglichen Antidepressiva am effektivsten wirkt.“ Patienten müssen die Kosten für einen solchen Test, rund 400 Euro, allerdings selbst tragen. Krankenkassen zahlen jedoch in der Regel Tests, die eine teure, aber vielleicht unnötige Krebstherapie verhindern.
Grundsätzliche Zweifel von Krankenkassen
Grundsätzliche Zweifel melden die Krankenkassen an. Es sei noch nicht bewiesen, dass solche Tests die Behandlungsqualität wirklich verbessern. Insgesamt blieben die bisher vorliegenden Daten hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück, heißt es in einem Grundsatzpapier des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen. So kämen manchmal zwei Tests bei ein und der selben Tumorprobe gar zu unterschiedlichen Ergebnissen. Personalisierte Medizin wird von manchen Wissenschaftlern grundlegend in Frage gestellt. Nicht nur mit Blick auf die Kosten werde darüber gestritten, was in diesem Bereich überhaupt sinnvoll und ethisch vertretbar sei. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen, fragte im vergangen Jahr laut einer dpa-Meldung: „Werden Patienten auf dem Prunkwagen der personalisierten Medizin in das Paradies medizinischen Fortschritts gefahren oder werden sie vor den Karren der molekularbiologischen Forschung und der Pharmaindustrie gespannt?“ (ad)
Bildnachweis: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt
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