Pharmaindustrie zahlt hunderte Millionen für Ärzte und Studien
Über 50 Pharmafirmen in Deutschland haben im vergangenen Jahr zusammen mehr als eine halbe Milliarde Euro an Ärzte sowie medizinische Einrichtungen und Organisationen gezahlt. Das Geld war für Studien, Fortbildungen und Sponsoring bestimmt. Kritiker bezeichnen die freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie als „große Imagekampagne“.
Über eine halbe Milliarde Euro an Ärzte und Kliniken bezahlt
Die Pharmaindustrie hat im vergangenen Jahr über eine halbe Milliarde Euro an Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen gezahlt. Bestimmt war das Geld für Studien, Fortbildungen und Sponsoring. Wie die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) sowie der Verband der Forschenden Pharmaunternehmen (vfa) am Montag in Berlin mitteilten, betrage die Summe für das Jahr insgesamt rund 575 Millionen Euro. Den Angaben zufolge stammen die Zahlen von 54 Unternehmen, die sich freiwillig im Rahmen des sogenannten Transparenzkodexes zur Offenlegung verpflichtet haben. Nach ihren eigenen Informationen decken diese Firmen gemeinsam 75 Prozent des deutschen Pharmamarktes für verschreibungspflichtige Medikamente ab. Die tatsächlich in Deutschland gezahlten Zuwendungen an Ärzte und Kliniken dürften also deutlich höher liegen.
Hunderte Millionen für umstrittene Anwendungsbeobachtungen
Aus den Zahlen ist zu entnehmen, dass 366 Millionen für klinische Studien und umstrittene Anwendungsbeobachtungen flossen. Doch gerade bei Anwendungsbeobachtungen von Arzneimitteln an Patienten im Alltag wurde immer wieder der Verdacht der Korruption laut. Diese dienen laut Kritikern nur dazu, dass Mediziner ein bestimmtes Arzneimittel bevorzugt verschreiben. Die Pharmaindustrie sieht in der Erprobung der Arzneimittel im Alltag jedoch einen wichtigen Forschungsbestandteil. 119 Millionen Euro gingen an Ärzte und andere Fachkreisangehörige für Vortragshonorare und Fortbildungen und 90 Millionen an medizinische Organisationen und Einrichtungen für Sponsoring von Veranstaltungen, Spenden und Stiftungen.
Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen
Erste Mitte Mai hatte der Bundesrat ein Gesetz gegen korrupte Ärzte beschlossen. In einer Mitteilung dazu hieß es: „Ärzte oder andere Angehörige eines Heilberufs, die sich für die bevorzugte Verordnung bestimmter Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel bestechen lassen, müssen künftig mit bis zu drei Jahren Haft rechnen.“ Mit dem Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen soll der Forderung nach mehr Transparenz auf dem Arzneimittel- und Medizinproduktemarkt Nachdruck verliehen werden.
Offenlegung soll jährlich erfolgen
Den Angaben zufolge wollen die einzelnen Mitgliedsunternehmen von vfa und FSA ihre Leistungen bis Ende Juni jeweils auf ihren Webseiten veröffentlichen. Diese Offenlegung soll künftig jährlich erfolgen. Soweit es der Datenschutz erlaubt, machen die Unternehmen dabei auch Leistungen an einzelne Ärzte individuell nachvollziehbar. Dies ist von der Zustimmung jedes einzelnen Arztes abhängig. Nach Einschätzung von FSA und vfa ist derzeit rund ein Drittel der Mediziner bereit, die Zuwendungen offenzulegen. Viele würden jedoch noch abwarten, wie die Öffentlichkeit auf die Transparenzinitiative reagiere. Man stehe erst am Anfang einer „neuen Kultur“ in diesem Bereich.
Verständnis bei Patienten erhöhen
Birgit Fischer, vfa-Hauptgeschäftsführerin, erklärte in einer Pressemitteilung: „Wir wollen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ärzten besser erklären. Das wird das Verständnis für die Zusammenarbeit und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei Patienten erhöhen.“ Sie meinte weiter: „Die Zusammenarbeit zwischen forschenden Pharma-Unternehmen und Ärzten ist eine Voraussetzung für die Entwicklung innovativer Arzneimittel und damit für die bestmögliche Behandlung der Patienten. So entsteht medizinischer Fortschritt.“
Kritiker sprechen von einer großen „Imagekampagne“
Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa sprach der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von einer „guten Initiative, Licht in die Zahlungen der Pharmaindustrie an Dritte zu bringen. Es fehlt allerdings noch, dass der einzelne Patient nachvollziehen kann, an welchen Arzt wie viel Geld geflossen ist“, so der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz argumentierte ähnlich. Demnach dürften sich Ärzte immer noch hinter dem Datenschutz verstecken. „Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert, diesen Namenlosen endlich ein Gesicht zu geben“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Und die gesundheitspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Kathrin Vogler, kritisierte: „Was die Arzneimittelindustrie als Selbstkontrolle ihrer Einflussnahme auf Ärztinnen und Ärzte verkaufen will, ist eher eine große Imagekampagne.“ (ad)
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