Neue Mechanismen zur Aktivierung der Selbstheilung entdeckt
In der Medizin und der Naturheilkunde wurde das enorme Potenzial des Placebo-Effekts zur Steigerung unserer körperlichen und geistigen Gesundheit schon lange erkannt. Die Mechanismen, die diesen Effekt ausmachen, sind bislang weitgehend unbekannt. Eine neue israelische Forschungsarbeit ist der Entschlüsselung des Rätsels ein Stück näher gekommen.
Die Professorin Asya Rolls am Technion, Israel Institute of Technology in Haifa stellte kürzlich die neusten Erkenntnisse ihres Forschungsteams auf dem FENS-Forum der Neurowissenschaften in Berlin vor. Der Studie zufolge stimulieren die Placebos das Belohnungssystems im Gehirn. Daraus kann eine Stärkung des Immunsystems resultieren.
Stress macht krank – Glück macht gesund?
Wie die Professorin berichtet, neigen viele Menschen dazu krank zu werden, wenn sie oder nachdem sie zu viel Stress ausgesetzt sind. Dieses Phänomen sei schon lange bekannt. Die Wissenschaftlerin rollte in ihrer Studie nun das Feld von hinten auf und untersuchte, ob neuronale Netzwerke, die an positiven Erfahrungen beteiligt sind, auch zur Selbstheilung von Krankheiten beitragen.
Das Belohnungssystem fördert positive Zustände
Das wohl bekannteste und gängigste Beispiel für einen Placebo-Effekt stammt aus der Pharmazie. Wenn jemand ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff einnimmt, ohne zu wissen, dass es eigentlich keine Wirkung erzielen dürfte, steigert das Belohnungssystem die Erwartung auf eine baldige Genesung. Infolge dessen kann es passieren, dass tatsächlich Schmerzen nachlassen und Heilungsprozesse angekurbelt werden. Rolls möchte dieses Zusammenspiel zwischen Gehirn und Immunsystem besser verstehen und daraus neue Therapieansätze schaffen.
Unterschätze Selbstheilungskräfte
„Wir haben das Potenzial des Placebos in der Behandlung und Genesung unterschätzt“, erläutert Rolls in einer Pressemitteilung zu den Studienergebnissen. Die Mechanismen hinter dem Placebo-Effekt seien immer noch weitgehend unbekannt, obwohl sie bei vielen wichtigen medizinischen Prozessen eine Rolle spielen. Ärzte und Wissenschaftler verstehen nicht, warum es Menschen besser geht, wenn sie unwissentlich eine Zuckerpille schlucken. Das enorme therapeutisches Potenzial bleibe deshalb ungenutzt, so Rolls.
Glückliche Mäuse widerstehen Infektionen
In den Tests an Tiermodellen konnte das Team um die Expertin neue Erkenntnisse gewinnen. Mithilfe modernster Technik aktivierten die Forscher sogenannte dopaminerge Neuronen in Mäusegehirnen. Diese Gehirnzellen sind maßgeblich am Belohnungssystem beteiligt. Anschließend konfrontierten die Wissenschaftler die Mäuse mit Kolibakterien, die Magen-Darmkrankheiten auslösen können. Die Mäuse, bei denen das Belohnungssystem aktiviert wurde, zeigten eine stärkere Immunantwort auf die Bakterien und erholten sich schneller.
Gedanken und Emotionen beeinflussen unsere Fähigkeit
„Wir wissen, dass Gedanken und Emotionen unsere Fähigkeit beeinflussen, Krankheiten zu bewältigen“, berichtet Rolls – allerdings wisse man nicht wie. Mit der neusten Technik konnten die Wissenschaftler aufzeigen, dass Gedanken und Emotionen die Aktivität des Immunsystems beeinflussen. Sie konnten bei Mäusen durch die Stimulierung des Belohnungssystems ohne jeden Wirkstoff positive Auswirkungen auf den Heilungsprozess beobachten.
Neue Therapiemöglichkeiten durch den Placebo-Effekt?
„Wenn wir erst einmal verstanden haben, wie dies im Gehirn funktioniert, können wir die Frage stellen, wie sich dieses Wissen zur Kontrolle der Gehirnaktivität nutzen lässt, um eine Genesung anzukurbeln“, erklärt Rolls. Mit den neusten technischen Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation (TMS), könne man gezielt Gehirnaktivitäten beeinflussen. Rolls weiß aber auch, dass solche Anwendungen gefährlichere Folgen haben könnten als bisher angenommen.
Mit Placebos gegen psychische Krankheiten
Einen möglichen Einsatz sieht die Expertin zudem bei bestimmten psychischen Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie. Diese Krankheiten könnten enger mit der Aktivität des Belohnungssystems verknüpft sein, als bislang gedacht. Ein besseres Verständnis der Wechselwirkung zwischen der Verarbeitung von Emotionen im Gehirn und dem Immunsystem könne zu neuen Behandlungsmöglichkeiten in diesem Bereich führen, so die Professorin.
Neue Forschung am Menschen in den Startlöchern
In der nächsten Stufe der Forschung will das israelische Forscherteam verschiedene Techniken am Menschen testen. Mit Verfahren wie TMS und Neurofeedback sollen Probanden lernen, Körperfunktionen zu kontrollieren, die normalerweise nicht beeinflussbar sind. So soll sich herausstellen, ob es möglich ist, direkten Einfluss auf die Immunabwehr zu nehmen. Dieses Gebiet ist noch wissenschaftliches Neuland „und dies ist erst der Anfang“, resümiert die Wissenschaftlerin. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
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