Placebo: Scheinbehandlungen können auch unbewusst wirken
12.09.2012
Der Körper lässt sich offenbar auf der unbewussten Ebene austricksen, wie Forscher der Harvard Medical School herausfanden. Wissen Patienten nichts von einer Placebo-Behandlung, können dennoch schmerzlindernde Effekte beobachtet werden. Forscher sendeten versteckte Signale, die den Organismus aktivierten.
Über den Placebo-Effekt streitet sich die Forschung seit Jahrzehnten. Vor allem der Naturheilkunde wird seitens der konventionellen Medizin unterstellt, die meisten Mittel wirken nur deshalb, weil der Patient eine heilende oder schmerzlindernde Wirkung erwartet. US-Wissenschaftler der „Harvard Medical School“ und weiterer Forschungseinrichtungen haben sich die Wirkungsweisen von Placebo´s genauer angeschaut. Sie gingen der Annahme nach, ob beispielsweise eine verbalisierte Annahme zum schmerzlindernden Effekt führt, oder andere Mechanismen eine Rolle spielen.
Unbewusste Annahme oder verbalisierte Information
Die gängigen Theorien des menschlichen Placebo-Effekts beruhen auf der Annahme, dass verbalisierte Informationen, bewusste Wahrnehmungen oder verschiedene Stimuli der klassischen Konditionierung den Placebo-Effekt aktivieren. Denn im Regelfall funktioniert der Placebo-Effekt, wenn zuvor ein Arzt signalisierte, dass das verabreichte Mittel hilft.
Ein Patienten kommt zum Arzt und klagt über Bauchschmerzen. Nach einer eingehenden Untersuchung kann der Arzt keinen organischen Befund feststellen und diagnostiziert einen funktionellen Bauchschmerz. Der Hausarzt verabreicht dem Patienten eine Pille, die allerdings keinen nachweisbaren Wirkstoff enthält. Dennoch lässt der Mediziner den Patienten in der Annahme, es handele sich um ein Präparat gegen Bauchschmerzen. Der Patienten empfindet nach der Einnahme weniger bis keine Schmerzen, weil er erwartet, dass die Tablette hilft. Allerdings deuten immer mehr Forschungsarbeiten darauf hin, dass „das Verhalten durch Reize außerhalb der bewussten Wahrnehmung zuvor ausgelöst werden kann“.
Nur ein Teil wusste nichts von dem Placebo
Um diese Annahme zu bestätigen, haben sich Forscher der medizinischen Fakultät der Harvard Universität im Verlauf einer Forschungsarbeit Signale und Reize in Bezug auf eine Erwartungshaltung genauer angeschaut. Im Wissenschaftsmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" schreiben die Autoren, „ein Teil der Probanden wusste nicht, dass sie eine nur scheinbare Behandlung bekamen. Dennoch wirkte das Placebo“.
An der Studie nahmen 40 gesunde junge Frauen und Männer (24 Frauen, 16 Männer, Durchschnittsalter 23 Jahre) teil. Zu Beginn des Versuchs erlernten alle Teilnehmer, ein spezifischen Gesichtsausdruck auf einem Bildschirm mit einem schmerzvollen Hitzereiz kognitiv zu verbinden. Ein weiterer Gesichtsausdruck war hingegen ohne Schmerzen behaftet. Je nachdem welches Bild im Trainingsdurchlauf gezeigt wurde, schmerzte eine Thermosonde, die an dem linken Unterarm der Teilnehmer befestigt war, stärker oder weniger stark. Auf einer Skala von 0 bis 100 sollten die Probanden notieren, wie stark der Schmerzreiz an ihrem Arm ausgeprägt war.
Unbewusste Ebene steuerte Signalreize
Im zweiten Studiendurchgang wurden den Teilnehmern die selben unterschiedlichen Gesichter gezeigt. Die Probanden wussten jedoch nicht, dass der Hitzereiz dabei gleich blieb. Im ersten Teil des Versuchs wurden die Gesichter jeweils 100 Millisekunden lang eingeblendet. Mit dieser Zeitphase konnten die Versuchspersonen die verschiedenen Gesichter auf der bewussten Ebene erkennen. Im zweiten Durchgang zeigten die Forscher die Bilder nur jeweils etwa 12 Millisekunden lang.
„Keiner der Teilnehmer konnte die Gesichter dabei bewusst erkennen oder unterscheiden“, erklärte das Forscherteam. Trotzdem bewerteten die Probanden den Reiz immer dann als schmerzvoll, wenn „das im Vorfeld mit dem unangenehmen Schmerz kognitiv verknüpfte Bild eingeblendet wurde“. Im Umkehrschluss wurde das Bildnis als „angenehm notiert, wenn das Gesicht aufflackerte, dass mit einem harmlosen Hitzereiz verbunden wurde“. Das passierte, „unabhängig davon, ob die Studienteilnehmer das Bild bewusst erkannt hatten oder auch nicht“.
Neue Erkenntnisse zum Placebo-Effekt
Resultierend könnten die Ergebnisse „eine ganz neue Tür zum Verständnis der Placebos und der Rituale der Medizin“ eröffnen, so Studienleiter Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School. Der neu entdeckte Mechanismus „funktioniert automatisiert, schnell und ist unabhängig von bewussten Überlegungen und Bewertungen“, resümiert Kaptchuk.
Nach Meinung der Wissenschaftler seien die neu gewonnenen Erkenntnisse für Ärzte, Patienten sowie für klinische Studien wertvoll. "Ohne sich dessen bewusst zu sein, registriert der Patient offenbar auch subtile Botschaften, die beispielsweise der Arzt aussendet", schreiben die Autoren. Somit könnte auch erklärt werden, warum selbst unausgesprochene Erwartungshaltungen seitens des Arztes an ein Arzneimittel oder einer Therapie die Wirkung beim Patienten positiv beeinflussen kann. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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