Milliarden-Geschäft: Bundesregierung hält Krankenkassen-Praktiken für illegal
Wie vor kurzem bekannt wurde, versuchen deutsche Krankenkassen, über Schummeleien bei Diagnosen an mehr Geld zu kommen. Diagnostizieren Ärzte bei Patienten Volkskrankheiten wie Depressionen oder Herzerkrankungen aus rein finanziellen Gründen, ist das jedoch illegal. Ein Bundestagsabgeordneter der Linken spricht von einer „Form der Korruption“.
Ärzte werden zu vielen Diagnosen gedrängt
Erst vor kurzem wurde bekannt, dass Krankenkassen Ärzte offenbar zu vielfachen Diagnosen drängen. So erklärte der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS): „Es ist ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren.“ Doch solche Praktiken verstoßen gegen das Gesetz.
Patienten möglichst krank erscheinen lassen
Wie die „Welt am Sonntag“ (WamS) berichtet, ist es nach Ansicht der Bundesregierung illegal, wenn Ärzte ihren Patienten Depressionen, Herzerkrankungen oder andere Volkskrankheiten aus rein finanziellen Gründen diagnostizieren. Dies geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion an die Regierung hervor, die der WamS vorliegt.
Laut Kritikern wie dem TK-Chef Baas seien solche Diagnosen das Ziel vieler der sogenannten Betreuungsstrukturverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen. Oft entstehe aus den Diagnosen kein weiterer erkennbarer Behandlungsaufwand für den Arzt.
Der Regierung zufolge sind auch andere Tricks, die Krankenkassen offenbar anwenden, um ihre Patienten möglichst krank erscheinen zu lassen, unrechtmäßig. Laut WamS zählen dazu Aufträge an externe Dienstleister, die Patienten anrufen, damit diese zum Arzt gehen, oder Kassenangestellte, sogenannte Kodierberater, die Arztpraxen dazu ermutigen, Diagnosen nachträglich zu ändern.
Boni für zusätzliche Diagnosen
Nach einem Bericht der WamS hatte die Fraktion die Anfrage an die Regierung im September gestellt. Viele Kassen zahlen demnach niedergelassenen Ärzten über sogenannte Betreuungsstrukturverträge Boni dafür, dass sie den Patienten in ihren Praxen zusätzliche Diagnosen von Volkskrankheiten stellen.
Baas hatte in der FAS erläutert: „Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen.“
Gigantischer Umverteilungsmechanismus
Den Angaben zufolge geht es dabei um Krankheiten, die für einen gigantischen Umverteilungsmechanismus relevant sind, den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
Dieser bewirkt, dass die Kassenbeiträge der gesetzlich Versicherten, gut 200 Milliarden Euro pro Jahr, abhängig davon verteilt werden, welche Kasse wie viele Kranke mit Diagnosen wie zum Beispiel Diabetes, Arthrose, Depressionen oder Alkoholabhängigkeit versichert.
„Eine Form der Korruption“
Vom zuständigen Bundesgesundheitsministerium wird in der aktuellen Antwort nun auch betont, dass eine „differenzierte Bewertung“ der einzelnen Betreuungsstrukturverträge erfolgen müsse, um zu prüfen, ob diese tatsächlich dazu führen, dass die Patienten durch Diagnosen besser versorgt werden.
Zudem geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor, dass die Zahl der Diagnosen, die für den Strukturausgleich relevant sind, deutlich gestiegen ist, seit es die umstrittenen Verträge gibt. Den Beamten zufolge stieg die Zahl dieser Diagnosen von 2013 bis 2015 um 4,6 Prozent und damit um rund die Hälfte stärker als der Durchschnitt aller Krankheiten.
Der Sprecher für Gesundheitsökonomie der Linken-Bundestagsfraktion, Harald Weinberg, meinte laut WamS: „Offenbar treibt der Kassenwettbewerb nicht nur wenig patientenfreundliche, sondern auch kriminelle Blüten.“
„Wenn Kassen und Ärzte zusammen vereinbaren, Mittel der Solidargemeinschaft zu verschwenden, ist das für mich eine Form der Korruption“, so der Bundestagsabgeordnete. Seiner Meinung nach seien die Aufsichtsbehörden den Praktiken bisher „sehr unzureichend nachgegangen“. (ad)
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