Viele Krankheiten werden durch genetische Faktoren bedingt oder zumindest begünstigt. Hier kann die sogenannte prädiktive genetische Diagnostik dazu beitragen, dass Erkrankung bereits sehr viel früher erkannt und entsprechende medizinische Maßnahmen eingeleitet werden.
Die von mehren deutschen Wissenschaftsakademien initiierte Arbeitsgruppe „Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention“ hat im Verlauf des letzten Jahres eine Stellungnahme zu den Chancen und Risiken der prädiktiven genetischen Diagnostik erarbeitet. Schwerpunkte des wissenschaftlichen Interesses bildeten dabei unter anderem Fragen wie: „Wann ist eine prädiktive genetische Diagnostik im Sinne einer Krankheitsprävention sinnvoll und wann nicht?“ oder „Wie können in Deutschland geltende gesetzliche Regelungen, insbesondere das Gendiagnostik Gesetz weiterentwickelt werden?“
Gesundheitssystem bisher schlecht gerüstet
Die an der Arbeitsgruppe beteiligten Forscher der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) und der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech sind im Rahmen ihrer wissenchaftlichen Anayse der prädiktiven genetische Diagnostik zu dem Ergebnis gekommen, das diesbezüglich in Deutschland teilweise noch erhebliche Defizite bestehen. So hält zum Beispiel der Bonner Humangenetiker, Professor Peter Propping, das deutsche Gesundheitssystem in Bezug auf die prädiktive genetische Diagnostik für nur ungenügend gerüstet. „Unser Gesundheitssystem ist an dieser Stelle veränderungsbedürftig“ erklärte der Fachmann gegenüber der „Mitteldeutschen Zeitung“.
Frühe Diagnose steigert Behandlungsmöglickeiten
Generell gilt: Je früher eine Krankheit erkannt wird, umso höher sind die Behandlungsmöglickeiten. So sind Vorsorgeuntersuchungen ein wesentlicher Bestandteil unseres Gesundheitssystems und bilden das Rückgrat der modernen Medizin. Hier setzt auch die prädiktive genetische Diagnostik an. Denn die meisten Krankheiten sind genetisch bedingt oder begünstigt, so dass sich im Rahmen einer Genanalyse schon frühzeitig mögliche Erkrankung erkennen lassen – teilweise lange bevor die eigentliche Krankheit ausbricht. So können schon vor Krankheitsausbruch entsprechende medizinische Vorsorgemaßnahmen eingeleitet werden.
Mediziner verschiedener Fachrichtungen sollten kooperieren
Vorraussetzung ist, dass die Medizin den Zusammenhang zwischen bestimmten genetischen Veranlagungen und dem Auftreten entsprechender Krankheiten bereits wissenschaftlich belegt hat. In diesem Zusammenhang betonte Prof. Propping, dass genetische Veränderungen zum Beispiel das Darmkrebs-Risiko erhöhen, gleichzeitig jedoch Hinweise darauf bestehen, dass die Veränderungen auch das Risiko weiterer Krebsarten steigern – bisher wird allerdings nur der Darm regelmäßig medizinisch untersucht wird. Für „die Diagnostik und Langzeitbetreuung dieser Patienten bräuchten wir eigentlich Zentren, die alle diese Krankheiten im Blick haben“ erklärte Prof. Propping. Die Arbeitsgruppe bemängelte daher in ihrer Stellungnahme zur Prädiktiven genetischen Diagnostik auch, dass Mediziner bisher zu selten fächerübergreifend zusammenarbeiten. So fordert Prof. Propping, dass Spezialisten der verschiedenen Fachrichtungen unter einem Dach versammelt sein müssten. „Und weil es eben nicht nur um Früherkennung, sondern oft auch um Behandlung geht, sollte das unter dem Dach eines Krankenhauses sein – auch wenn es um die ambulante Betreuung von Patienten geht“, ergänzte der Bonner Humangenetiker.
Viele Krankheiten genetisch bedingt
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe zur prädiktiven genetischen Diagnostik unterstrichen in ihrer Stellungnahme, dass die Gene oftmals für das Auftreten von Krankheiten verantwortlich sind und teilweise schon Mutationen in einem einzigen Gen ausreichen, um eine schwerwiegende Krankheit auszulösen. Bei manchen dieser monogenen Erkrankungen wie zum Beispiel Brustkrebs, wird heute schon die Methode der prädiktiven genetischen Diagnostik eingesetz. Auch bei bestimmten Formen des Darmkrebs oder bei der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose bietet sich ein solches Verfahren an. Bei anderen Erkrankungen wie Allergien, Diabetes oder Herz-Kreislaufstörungen, die auf vielfache Weise geentisch bedingt sein können, ist das Verfahren bisher jedoch kaum einsetzbar, da die Medizin die direkten Zusammenhänge zwischen genetischer Disposition und Auftreten der Krankheit noch nicht analysiert hat. Das äußerst komplexe Zusammenspiel von Genen und Umwelteinflüssen, welches entscheidend für die Entstehung von Krankheiten und die schwere des Verlaufs ist, bietet der Wissenschaft bis heute einige Rätsel.
Prädiktive genetische Diagnostik zur individualisierten Medizin
Doch mit der voranschreitenden Entschlüsselung genetischer Risikofaktoren, lässt sich die prädiktive genetische Diagnostik in Zukunft nicht nur bei monogenen Erkrankungen anwenden, sondern auch bei komplexen Krankheiten wie Herzinfarkten oder Diabetes, so die Hoffnung der Forscher. Die Wissenschaft mache hier aktuelle große Fortschritte und zudem werden Analysen des gesamten Erbguts einzelner Patienten immer einfacher und billiger, so dass ein breiter Einsatz im Gesundheitwesen nach Ansicht der Forscher denkbar ist. So ließen sich gegebenenfalls die Risiken für jeden einzelnen Patienten individuell bestimmen. Auch die Abstimmung von Medikamenten auf das genetische Profil der Patienten, wäre nach Aussage der Forscher denkbar. So kommt die Arbeitsgruppe in ihrer Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die prädiktive genetische Diagnostik trotz der bisher mangelhaften Anwendung, in Deutschland künftig einen wichtigen Baustein für die individualisierte Medizin bilden kann. (fp, 11.11.2010)
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