Stress, Lärm und Anonymität bereiten Stadtbewohnern vermehrt psychische Probleme
09.03.2015
Das Leben in der Stadt ist in der Regel mit höheren Lärmbelastungen, Stress und größerer Anonymität verbunden, als auf dem Land. Hier sehen die Experten des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit an der Universität Mannheim mögliche Gründe für die nachweislich höhere Verbreitung psychischer Störungen in der Stadtbevölkerung.
Städte sind die Schmelztiegel unserer Gesellschaft. Hier brummt das Leben. Allerdings sind die Stadtbewohner mitunter auch erheblichen Belastungen wie beispielsweise durch den Lärm oder die Luftverschmutzung ausgesetzt. Auf unterschiedlicher Ebene können diese einen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit entfalten. Stress, Lärm und Anonymität sind dabei maßgebliche Risikofaktoren für das erhöhte Auftreten psychischer Probleme bei den Stadtbewohnern, erläutern Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit an der Universität Mannheim und Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik in Berlin und Stressforscher an der Charité, in dem aktuellen Beitrag von „Spiegel Online“.
Mehr Angsterkrankungen und Depressionen bei Stadtbewohnern
Den Angaben der Forscher zufolge ist unbestritten, dass Stadtbewohner vermehrt mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. So kommen „Angsterkrankungen und Depressionen bei Menschen, die in der Stadt leben, etwa 30 bis 40 Prozent häufiger vor“, berichtet Andreas Meyer-Lindenberg. Einzelne psychische Störungen, wie beispielsweise die Schizophrenie, seien sogar dreimal so oft festzustellen wie bei Menschen, die auf dem Land leben. Zudem lasse sich feststellen, dass mit zunehmender Größe der Stadt, in der man aufgewachsen ist, das Schizophrenie-Risiko steigt, ergänzt Mazda Adli gegenüber „Spiegel Online“. Gemeinsam haben Adli und Meyer-Lindenberg untersucht, welche Faktoren des Stadtlebens das vermehrte Auftreten psychischer Erkrankungen bedingen. Zudem gründetet Adli in Kooperation mit Stadtplanern, Architekten und Neurowissenschaftlern die Fachgruppe Neuro-Urbanistik, die sich den psychischen Effekten der Städte auf die Stadtbevölkerung widmet.
Stadtbewohner reagieren anders auf Stress
Von den vielzähligen Faktoren, die als potentielle Auslöser für das vermehrten Auftreten der psychischen Probleme bei Stadtbewohner in Betracht kommen, sind laut Aussage der Forscher vor allem der Lärm, Stress und die Anonymität entscheidend. Auch konnten Meyer-Lindenberg und sein Team feststellen, dass die Verarbeitung von Stress und Gefühlen bei Menschen aus der Großstadt anders ausfällt, berichtet „Spiegel Online“. So reagiere das Hirn von Großstadtbewohnern deutlich empfindlicher auf Stress als das von Kleinstädtern und von Landbewohnern. Dies muss jedoch nicht zwangsweise psychische Probleme mit sich bringen, denn manche Menschen sind grundsätzlich weniger anfällig für Stress und viele Städter empfinden gerade die Hektik des Stadtlebens als wohltuend, erläutern die Forscher gegenüber „Spiegel Online“. Profitieren können hiervon laut Adli jedoch nur diejenigen, die sich dem Stress jederzeit entziehen können, wenn es ihnen zu viel wird.
Soziale Netzwerke wichtig für die psychische Gesundheit
Iris Hauth vom Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee erklärt, dass Menschen sich tendenziell wohlfühlen, solange sie das Gefühl haben, sie können ihr Leben kontrollieren und entscheiden, ob sie sich zurückziehen oder unter Freunde gehen. „Wer dies nicht kontrollieren kann, ist den Stresseffekten der Großstadt mehr ausgeliefert“ sagt die Expertin. Zudem seien Bewohner einer Großstadt infolge der Anonymität mitunter sozial isoliert. So würden 80 Prozent der Menschen in der Stadt ihre Nachbarn nicht kennen. Doch „ist ein soziales Netzwerk für die psychische Gesundheit eines Menschen sehr wichtig“, wird Iris Hauth zitiert.
Stadtstress ist Kriechstress
Allgemein sind die psychischen Belastungen durch den Stress in der Stadt oftmals erst mit deutlicher Verzögerung festzustellen. „Stadtstress ist Kriechstress – er kommt unbemerkt daher“; wird Adli hierzu von „Spiegel Online“ zitiert. Erste Anzeichen seien zum Beispiel eine gereizte Stimmung, Anspannung und Schlafstörungen. Dies gilt allerdings auch für psychische Belastungen durch Stress, der nicht auf das Stadtleben zurückzuführen ist. So seien auch beruflicher Druck oder Ärger für viele Menschen extrem belastend, berichtet Iris Hauth. Komme Großstadtstress hinzu, könne sich die Situation schnell zuspitzen. Bei Auftreten erster Hinweise auf psychische Probleme, rät die Expertin möglichst frühzeitig gegenzusteuern. Betroffene sollten beispielsweise mit Sport oder Wochenendausflügen in die Natur für Ausgleich sorgen, so Hauth. „Wichtig ist es, einen festen Termin in der Woche für diese Auszeit festzulegen“.
Ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen
Zeigen die Maßnahmen zum Stressabbau beziehungsweise zur Entspannung nicht die gewünschte Wirkung, sollten sich die Betroffenen an ihren Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie wenden, berichtet die Expertin weiter. Denn lassen sich die Belastungen nicht in den Griff bekommen, sei hiermit ein hohes Risiko für eine Angststörung oder eine Depression verbunden. Laut Meyer-Lindenberg ist generell mehr Aufmerksamkeit für die Symptome erforderlich, um dem Stress erfolgreich etwas entgegenzusetzen. Hier werde beispielsweise in Kursen an Volkshochschulen ein entsprechendes Wissen vermittelt. Eine massive Besserung der Lebensqualität lasse sich durch die bewusste Wahrnehmung des Augenblicks mit allen Sinnen erreichen.
Eigene Bedürfnisse kennen und die Stadt neu entdecken
Die Anonymität und die hieraus resultierende soziale Isolation bilden entscheidende Stressfaktoren des Stadtlebens, die sich theoretisch relativ einfach beheben lassen. Die Betroffenen sollten bewusst unter Leute gehen, wobei die Möglichkeiten hierfür in der Stadt durchaus gut sind, raten die Experten. Sportvereine, Lesekreise, der Chor, kirchliche Begegnungsstätten oder anderen Vereine, Verbände und Initiativen bieten gute Möglichkeiten, Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen. Adli rät den Stadtbewohnern, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und die Stadt anschließend unter diesen Aspekten neu für sich zu entdecken. Auch ein Umzug aufs Land erscheint als naheliegende Lösung und nicht ohne Grund ist die Sehnsucht nach dem Landleben in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, berichtet Adli. Jedoch sei auch auf dem Land nicht alles pure Romantik und manche Menschen die aus der Großstadt aufs Land ziehen, empfinden die ländlichen Strukturen als psychische Belastung. (fp)
Bild: Maren Beßler / pixelio.de
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