Therapeutische Behandlung hilft, Essstörung zu bekämpfen
15.10.2013
Kann eine Psychotherapie bei Magersucht wirklich helfen? Mit dieser Frage haben sich deutsche Wissenschaftler beschäftigt und ihre Ergebnisse nun im Fachmagazin “The Lancet” veröffentlicht. Demnach konnte mithilfe therapeutischer Arbeit immerhin bei zwei Dritteln der Betroffenen ein nachhaltige Wirkung erzielt werden.
Weltweit 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung betroffen
Immer mehr Menschen leiden an der so gennanten „Magersucht“ (Anorexia nervosa), laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) sind mittlerweile weltweit 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung betroffen. Kennzeichnend ist in allen Fällen ein starker Gewichtsverlust, den die Betroffenen durch Hungern, exzessive sportliche Aktivität oder einer Kombination aus beidem selbst herbeiführen. In einigen Fällen kommen zudem Appetitzügler, Abführmittel oder entwässernde Medikamente zum Einsatz, trotz der starken Gewichtsabnahme empfinden sich die Betroffenen jedoch weiterhin als „dick“.
Magersucht zählt bei Mädchen und jungen Frauen zu den häufigsten Todesursachen
Die Magersucht kommt dabei in der Altersgruppe von 14 bis 18 Jahren am häufigsten vor, bei Mädchen außerdem weit häufiger als bei Jungen. Das Dramatische an dieser Essstörung: Die Magersucht zählt bei Mädchen und jungen Frauen zu den häufigsten Todesursachen, etwa 20 Prozent der Betroffenen fallen der psychischen Erkrankung im Zeitverlauf zum Opfer.
Bislang keine fundierten Belege über Effektivität von Psychotherapien
Dementsprechend besteht bei einer Magersucht dringender Handlungsbedarf. Da die Krankheit eine psychische Störung aus dem Bereich der seelisch bedingten Essstörungen darstellt, wird normalerweise versucht, den Betroffenen mit einer geeigneten Psychotherapie zu helfen. Bislang gab es jedoch keine fundierten wissenschaftlichen Belege darüber, ob eine solche Therapie eine nachhaltige Wirkung hat bzw. welche Form der Therapie am effektivsten ist. Doch nun hat sich ein deutsches Forscherteam dem Thema angenommen und die bisher weltweit größte Studie zur psychotherapeutischen Behandlung von Magersüchtigen durchgeführt. Geleitet von den Abteilungen für Psychosomatische Medizin der Universitätskliniken Tübingen und Heidelberg hatten sich an der Untersuchung insgesamt zehn deutsche Kliniken beteiligt.
Weltweit größte Studie zur psychotherapeutischen Behandlung von Magersüchtigen
Die Forscher hatten es sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, ob speziell auf Magersüchtige abgestimmte Therapien eine nachhaltigere Wirkung haben als herkömmliche Therapiekonzepte. 242 erwachsene Frauen nahmen an der Studie teil, die zu Beginn per Los auf drei therapeutische Gruppen verteilt wurden. Dabei wurde eine Gruppe mit einer „normalen“ Psychotherapie, die anderen beiden mit zwei neu entwickelten Verfahren behandelt, die als besonders erfolgversprechend galten. Die Wissenschaftler beobachteten die Frauen insgesamt 22 Monate lang, zehn Monate Therapie sowie weitere 12 Monate Nachbeobachtung, in denen untersucht wurde, inwiefern die Behandlungen eine nachhaltige Wirkung zeigten.
Den unbewussten Ursachen der Magersucht auf der Spur
Bei den speziell auf Magersüchtige abgestimmten psychotherapeutischen Konzepten handelte es sich zum einen um eine so genannte „kognitive Verhaltenstherapie“, in deren Verlauf die Probandinnen mit den Folgen ihrer Krankheit konfrontiert wurden und ein „normales“ Essverhalten erlernten, wie der Leiter der Universitätsklinik Tübingen, Stephan Zipfel, in einem Artikel im Fachmagazin “The Lancet” erklärt. Im zweiten Fall wurden die Frauen im Rahmen einer „fokalen psychodynamischen Psychotherapie“ behandelt, welche eine Weiterführung der Psychoanalyse darstellt. Dabei wurde sich in erster Linie auf die verborgenen, zum Teil unbewussten Ursachen der Magersucht beschäftigt, indem “Psychotherapeut und Patientin [.] hier den inneren Konflikten und emotionalen Auslösern der Erkrankung auf den Grund” gehen, so der Leiter der Universitätsklinik Heidelberg Wolfgang Herzog weiter.
Frauen nehmen im Schnitt 3,8 Kilo zu
Das Ergebnis der Studie: In allen drei Gruppen nahmen die Frauen – die zu Beginn der Untersuchung durchschnittlich 46,5 Kilo gewogen hatten – im Schnitt 3,8 Kilo zu. Trotz des übergreifenden Erfolgs, hätten sich laut Herzog dennoch gerade bei den beiden neuen Konzepte Vorteile gezeigt, denn „Patientinnen in der Verhaltenstherapiegruppe nahmen während der Therapie schneller zu. Und: Bei der fokusalen psychodynamischen Therapie besserten sich die Symptome auch nach Therapieende. Die Patientinnen dieser Gruppe hatten auch ein Jahr nach der Behandlung die günstigsten Gesamtheilungsraten.” Hinzu käme den Wissenschaftlern nach ein deutlicher Unterschied in Hinblick auf die Abbruchrate – denn während diese bei der herkömmlichen Therapie bei 41 Prozent lag, beendeten die Probandinnen der Gruppe mit „fokaler psychodynamischer Psychotherapie“ die Behandlung nur in 23 Prozent der Fälle vorzeitig.
Hohe Abbruchrate erfordert Verbesserung der Therapieansätze
Das Gesamtergebnis der Forscher: Zwei Drittel der Frauen führten die Therapie bis zum Ende durch, die übrigen Frauen beendeten Therapie und Nachbehandlung vorzeitig. Die hohe Abbruchrate sei dabei laut Cynthia Bulik von der University of North Carolina als grundsätzliches Problem bei Studien zur Magersucht zu sehen, erklärbar durch die schwierige Behandelbarkeit der chronischen Erkrankung. Hier könnten laut den Wissenschaftlern um Wolfgang Herzog jedoch die Ergebnisse der neuen Studie helfen, magersüchtige Frauen zukünftig wirksamer behandeln zu können: „Eine optimierte Behandlung wie gewohnt, also die Kombination von Psychotherapie und strukturierter Betreuung durch einen Hausarzt, sollte als solide Basis für die ambulante Behandlung erwachsener Patienten mit Anorexia nervosa betrachtet werden. Eine fokale psychodynamische Therapie erwies sich in Hinblick auf die Genesung während der 12-monatigen Nachbeobachtung als vorteilhaft, die verbesserte Form der kognitiven Verhaltenstherapie war effektiver in Hinblick auf die Beschleunigung der Gewichtszunahme und Verminderung der Psychopathologie der Essstörung.“ Dementsprechend könnten „Langzeitergebnisse hilfreich sein für die weitere Anpassung und Verbesserung dieser neuartigen Therapieansätze“, so die Forscher weiter. (nr)
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Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.