Forscher der MedUni Wien unterstützt das Team des Neurochirurgen Canavero
Im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, dass ein italienischer Chirurg für das kommende Jahr die erste Kopftransplantation bei einem Menschen plant. Nun berichtet die Nachrichtenagentur APA-OTS, dass mit Dr. Karen Minassian auch ein Experte der MedUni Wien an dem Projekt beteiligt ist. Die Information würde aus dem heute erstmals erscheinenden neuen Magazin „Ooom“ stammen. Demnach forsche der Wissenschaftler im Bereich der Querschnittslähmung und solle daher maßgeblich daran mitwirken, dass dem Patient nach der Transplantation wieder das Gehen ermöglicht werde.
Neurochirurg plant erste Kopfverpflanzung für 2017
Die Meldung erinnerte an den berühmten Film „Frankenstein“, in dem ein Forscher aus mehreren Leichenteilen ein neues Wesen erschafft. Denn wie im Mai dieses Jahres bekannt wurde, plant der italienische Neurochirurg Prof. Sergio Canavero für 2017, erstmals einen menschlichen Kopf transplantieren zu wollen. Canaveros Plänen zufolge solle der Kopf eines kranken Patienten bei dem weltweit erstmals durchgeführten Eingriff abgetrennt und auf den gesunden Körper eines Hirntoten gesetzt werden. Der 30 Jahre alte russische Programmierer Waleri Spiridonow fand sich als erster Freiwilliger für das bislang einzigartige Vorhaben. Der Mann leidet seit seiner Kindheit unter der Krankheit Morbus Werdnig-Hoffmann, sitzt im Rollstuhl und hat schwere körperliche Verformungen. „Ich weiß, dass ich sterben kann. Aber ich mache keinen Rückzieher mehr. Ich brauche einen neuen Körper. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, mit diesem zu leben“, so die Begründung des Mannes laut der Nachrichtenagentur „dpa“.
Neuronale Netzwerke nehmen dem Gehirn bestimmte Aufgaben ab
Was bisher lediglich „Science-Fiction“ war, könnte also bald real werden. Unterstürzung erhält Sergio Canavero dabei offenbar unter anderem von einem österreichischen Experten. Denn wie „APA-OTS“ aktuell berichtet, sei laut dem neuen Magazin „Ooom“ auch Dr. Karen Minassian vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien an dem Projekt beteiligt. „Wir wissen heute, dass das Rückenmark weitaus mehr ist als ein Leitungsorgan, es steuert komplexe Muskel- und Beinbewegungen. Überspitzt formuliert braucht der Mensch für das Gehen kein Gehirn. Es gibt neuronale Netzwerke ebenso wie für die Atmung, das Kauen oder sexuelle Funktionen, die dem Gehirn Aufgaben abnehmen”, wird der Wissenschaftler in einer Vorausmeldung des Ooom-Magazins zitiert. Demnach würde es selbst im Falle einer Rückenmarksdurchtrennung bei der Transplantation noch immer bestimmte Nervenverbände geben, die durch Aktivität und z.B. elektrische Stimulation „den Grundrhythmus für Beuge- und Streckbewegungen und somit das Gehen erzeugen könnten“.
Eingriff könnte Heilung für Millionen Menschen bedeuten
„Es klingt makaber, aber wenn Sie das Gehirn einer Katze vom Rückenmark abtrennen und sie dann auf ein Laufband stellen, wird sie automatisch gehen“, so Dr. Minassian weiter. Seit Ende der 1990er Jahre gäbe es wissenschaftliche Publikationen über Menschen nach schweren Querschnittsverletzungen, die diese Annahme teilen, die ersten Versuche in diesem Bereich habe es schon in den 1970er-Jahren gegeben, erläutert der Wissenschaftler. Laut der Nachrichtenagentur äußerte Prof. Canavero daher gegenüber dem neuen Magazin sehr hohe Erwartungen: „Es kann sein, dass unsere Operation die Heilung für Millionen Menschen mit Rückenmarksverletzungen bringen kann“, so der italienische Neurowissenschaftler von der Turin Advanced Neuromodulation Group.
Würde die Transplantation erfolgreich verlaufen, habe dies gravierende Folgen: „Ich mache die Operation, um zu beweisen oder zu widerlegen, dass unser Bewusstsein vom Gehirn erzeugt wird. Wenn wir beweisen können, dass unser Gehirn kein Bewusstsein erzeugt, werden die Religionen für immer hinweggefegt. Man braucht sie nicht mehr, denn die Menschen brauchen dann keine Angst mehr vor dem Tod zu haben“, erklärte Canavero.
Kritiker äußern medizinische und ethische Bedenken
Das Projekt hatte seit dem Bekanntwerden für viel Kritik gesorgt, zahlreiche internationale Experten schätzten es als vollkommen unrealistisch ein. „Das ist unmöglich. Das ist spekulativ, und da zeichnet sich auch nichts am weitesten Horizont ab”, sagte beispielsweise der deutsche Experte Edgar Biemer, der in Deutschland kürzlich an einer Armtransplantation beteiligt war. „Wenn ich ein Rückenmark vom Kopf abtrenne, dann ist das hin, und zwar ein für alle Mal”, betonte auch Veit Braun, Chefarzt der Neurochirurgie am Diakonie Klinikum Siegen in Deutschland.
Wie „APA-OTS“ weiter berichtet, habe dem neuen Magazin zufolge auch Dr. Minassian erst lange überlegt, ob er an dem Projekt teilhaben wolle. Nun sei er jedoch überzeugt: „Im Prinzip kann eine solche Transplantation erfolgreich sein. Wenn es einer schafft, dann Prof. Canavero.” Minassian hatte zuvor an einer internationalen Studie mitgewirkt, in welcher Kontrollmechanismen identifiziert werden konnten, über welche das Rückenmark die beschriebenen Muskelaktivitäten steuert. Es zeigte sich, dass das sogar bei Querschnittslähmung das Rückenmark trotz der unterbrochenen Verbindung zum Gehirn Impulse an die Beinmuskeln sendet. Neben dem entwickelten die Forscher damals eine nicht-invasive Methode zur Stimulation des Rückenmarks, welche eventuell bei Rehabilitationsmaßnahmen eingesetzt werden könnte. „Mit Dr. Minassian haben wir einen sehr erfahrenen österreichischen Spezialisten im Team, das aus 150 Experten, darunter rund 80 Chirurgen, bestehen wird“, so Prof. Canavero laut der Mitteilung. (nr)
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