Reproduktionsmedizin: Auf Eis gelegter Kinderwunsch und Eizelltourismus
28.06.2014
Für viele Frauen ist es oft schwer, Familie, Job und Karriere miteinander zu vereinbaren. Für sie scheinen eingefrorene Eizellen die perfekte Lösung zu sein. Manche reisen auch heimlich ins Ausland, um zum späten Elternglück zu kommen. Doch Ethik-Experten sind entsetzt.
Erstes in der Retorte gezeugtes Baby vor über 35 Jahren
Als die kleine Louise Brown am 25. Juli 1978 im britischen Oldham das Licht der Welt erblickte, war dies eine Sensation und schürte bei unzähligen Paaren mit sehnlichem Kinderwunsch Hoffnungen. Louise war das erste in der Retorte gezeugte Baby der Welt. Ihre Eltern hatten neun Jahre vergeblich auf Nachwuchs gewartet, bevor sie sich auf das Experiment des Medizin-Pioniers Robert Edwards einließen. Der Wissenschaftler brachte erstmals eine menschliche Ei- und eine Samenzelle in der Petrischale zusammen. Mittlerweile ist es medizinischer Alltag, was vor rund 35 Jahren noch zwiespältige Gefühle entfachte und vielfach Kritik auslöste. Rund sechs Millionen Babys sind seither weltweit so entstanden. In Deutschland erblickte das erste Retortenbaby, der kleine Oliver, am 16. April 1982 das Licht der Welt. Damals wurde in der Erlanger Frauenklinik unter Leitung von Professor Siegfried Trotnow die erste künstliche Befruchtung hierzulande nach dem Verfahren der In-Vitro-Fertilisation (IVF) durchgeführt.
In Deutschland verbotene Eizellspende bleibt Thema
Ab dem morgigen Sonntag bis einschließlich Mittwoch treffen sich rund 9.000 Experten zum Jahreskongress der 1985 von Edwards gegründeten Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) in München. Ein heißes Thema bleibt die in Deutschland verbotene Eizellspende. Die Reise ins Ausland bleibt für manche Frauen die einzige Chance auf ein Kind. Doch Ärzte, die ihnen dabei helfen, geraten hierzulande ins Visier der Justiz. So läuft allein in Augsburg ein Verfahren gegen 18 Beschuldigte und auch in anderen Städten soll es nach Medienberichten Strafbefehle gegen Ärzte gegeben haben.
Zwei von hundert Kindern im Reagenzglas befruchtet
Die Befruchtung im Reagenzglas ist hingegen erlaubt. Laut Deutschem IVF-Register wurden 2012 knapp 48.000 Patientinnen behandelt und es gab über 10.000 Geburten. Etwa zwei von hundert Kindern werden hierzulande so gezeugt. Daten der ESHRE von 2009 zufolge waren Dänemark und Slowenien mit 4,5 Prozent Spitzenreiter. Doch diejenigen, die zu spät dran sind, denen nutzt auch die In-Vitro-Fertilisation nur begrenzt. „Man kann sagen, dass im Schnitt die Chance auf eine Schwangerschaft mit 41, 42 Jahren bei 15 Prozent liegt“, so Ulrich Hilland, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands, laut einer dpa-Meldung. Mit 44 Jahren liegt sie bereits unter acht Prozent. Hier geben viele auf. Gut 3.000 Euro kostet ein Versuch; oft werden fünfstellige Summen investiert. Zudem bestehen gesundheitliche Gefahren. „Wir sehen auch die Risiken, die bei einer Schwangerschaft ab 40 zunehmen“, erläuterte die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, Tina Buchholz.
Samenspende in Deutschland steuerlich absetzbar
Doch trotzdem sind die Praxen voll und die Konkurrenz scharf. Zudem befeuern Berichte über Frauen, die mit 45, 47 oder jenseits der 50 Mutter werden, wie die italienische Sängerin Gianna Nannini, falsche Vorstellungen und bringen Kunden. Allerdings spricht dabei kaum jemand darüber, dass die allermeisten über 45 vermutlich genetisch nicht die Mütter ihrer Kinder sind, zumindest nicht in Deutschland. Die Eizellspende ist ja verboten; die Samenspende ist jedoch gemäß Bundesfinanzhof von 2011 sogar steuerlich absetzbar. Diese Situation führt dazu, dass viele heimlich in Länder reisen, in denen andere gesetzliche Grundlage vorherrschen. Deutsche reisen nach Tschechien und Spanien und auch Belgien, Holland, Frankreich und Großbritannien erlauben die Spende, mit unterschiedlichen Vorgaben. Je nach Land bleibt es den Kindern aber verwehrt, ihre genetische Herkunft zu erfahren.
Ermittlungsverfahren gegen Reproduktionsmediziner
Wenn Ärzte ihren Patientinnen in der Vorbereitungsphase etwa mit Ultraschall helfen, sind sie in Deutschland von Strafen bedroht. Ebenso Beraterinnen, die Klinken empfehlen. Die Beihilfe zur Eizellspende ist laut Embryonenschutzgesetz strafbar. Laut dem Bayerischen Rundfunk laufen mehrere Ermittlungsverfahren, bei denen Reproduktionsmediziner im Verdacht stehen, solche Beihilfe geleistet zu haben. Von vielen Medizinern wird eine Gesetzesänderung verlangt. Hilland meint, dass das Verbot nicht mehr zeitgemäß sei. Und auch Ralf Dittrich, Leiter des IVF-Labors an der Universität Erlangen, spricht sich für die Eizellspende in Deutschland aus: „Ich sehe keinen Grund, warum man das nicht tun sollte.“
Embryonenspende für Paare
Der Geschäftsführer des Berufsverbandes Reproduktionsmedizin Bayern und Initiator des Netzwerks Embryonenspende, Hans-Peter Eiden hält das Verbot der Eizellspende hingegen für richtig und warnt vor möglichem Kommerz. Die aufwendige Eizell-Entnahme würde keine Frau aus altruistischen Gründen auf sich nehmen. „Niemand kann mir erzählen, dass eine Eizellspende ohne Gegenleistung funktionieren würde“, so Eiden. „Hier geht es nicht um die Patienten, sondern um Kommerz.“ Und das wiederum verstoße gegen das Transplantationsgesetz. „Man darf Gewebe nicht kommerzialisieren.“ Nach dieser Argumentation könnte aber auch manche Samenspende knapp an der Illegalität sein. Eiden will indessen Paaren den Weg zu einer Embryonenspende ebnen. Sie sollen die befruchtete Eizelle eines fremden Paares bekommen, das diese nicht mehr braucht.
Social Freezing als neuer Trend
Die Ansichten der Ärzte und Juristen über die Rechtslage gehen bis hin zum Streit auseinander. Daher hüllen sich viele Mediziner lieber in Schweigen darüber, wann sie Zellen einfrieren: ob als Vorkern vor der vollständigen Verschmelzung von Ei- und Samenzelle oder als Embryo. Praktiker sehen keinen großen Unterschied – Ethiker hingegen schon. Als neuer Trend hat sich zudem Social Freezing verbreitet. Dabei werden in jungen Jahren, etwa mit Mitte 20, unbefruchtete Eizellen eingefroren und der Kinderwunsch so erst Mal auf Eis gelegt. Auch wenn dies als die Lösung für perfekte Familienplanung scheint, fehlen genaue Werte, wie gut die Zellen nach 20 Jahren noch sind. Hilland meinte, dass es in der Gesellschaft oft übersehen werde, dass das Alter um 25 der beste Zeitpunkt zum Kinderkriegen sei. „Es ist der Mut, der fehlt. Während des Studiums ein Kind ist aber nicht das Schlechteste. Das kriegt man hin, man ist noch jung.“ (ad)
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