Wann sind Operationen bei einem Bandscheibenvorfall wirklich sinnvoll
26.04.2012
Immer mehr Patienten mit einem Bandscheibenvorfall unterziehen sich einer Operation. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Bandscheiben-Eingriffe um knapp 43 Prozent erhöht. Kritiker behaupten, über die Hälfte der invasiven Eingriffen seien unnötig. Doch wann ist eine OP wirklich sinnvoll und können nicht auch andere schonendere Behandlungen durchgeführt werden?
Rasanter Anstieg der Rücken-OPs
Kaum jemand lässt gern operieren. Quälen jedoch Rückenschmerzen, weil die Bandscheibe Probleme macht, unterziehen sich viele einem invasiven Eingriff. Vielfach könnten schonendere Verfahren wie Rückenschmerzen Übungen, Osteopathie oder Physiotherapie wesentliche Ergebnisse erzielen. Vielen Schmerzpatienten fehlt anscheinend die Geduld und das Drängen einiger Orthopäden zeigt oftmals Wirkung. Eine Auswertung zeigte, dass von 2004 bis 2009 die Bandscheiben-Operationen um rund 43 Prozent zugenommen haben. Der Verdacht liegt nahe, dass zahlreiche Operationen eigentlich überflüssig wären und diese nur unternommen werden, um finanzielle Vorteile für Kliniken oder Ärzte zu verschaffen. Dieses und andere Themen werden derzeit auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin vom 24. bis zum 27. April kontrovers diskutiert.
Auch ohne Operationen gute Behandlungserfolge
Wer sich aber Zeit lässt und gezielt nicht-invasive Behandlungen durchführen lässt, kann mindestens ebenso gute Ergebnisse erzielen, wie bei einer OP. Das belegen auch einige Studien, die zu diesem Thema bislang erstellt wurden. „Langfristig sind die statistisch erfassten Ergebnisse bei Bandscheibenpatienten mit und ohne Operation gleich.“, sagt auch der zukünftige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Professor Dr. Bernd Kladny.
Rückenscherzen sind in der heutigen hoch technologiebasierten Gesellschaft mittlerweile ein Massenphänomen. Je nach Auswertung erleiden zwischen 70 und 85 Prozent aller Deutschen mindestens einmal in ihren Leben Probleme mit ihrem Rücken. Viele leiden ein ganzes Lebens an den Schmerzen. Für Ärzte, Kliniken und Physiotherapeuten bedeutet die Volkskrankheit Bandscheibenvorfall ein enormes Finanzpotenzial. Vielfach greifen Ärzte daher vorschnell zum Skalpell.
Rückenscherzen können auch ohne OP verschwinden
Nicht immer muss ein Bandscheibenvorfall Ursache der wiederkehrenden Schmerzen sein. Die häufigste Diagnose sind Verspannungen oder banale Rückenscherzen durch Fehlhaltungen und zu wenig Bewegung. Daher ist eine genauere Diagnostik nicht immer notwendig, „weil der Schmerz in der Regel von selbst wieder verschwindet.“, erklärt Kladny. Vorübergehend können auch schmerzstillende Medikamente eingesetzt werden. Diese Methode hat sich bewehrt, weil Wissenschaftler unlängst herausgefunden haben, dass eine Schonhaltung den Rückenschmerz nicht lindert. Vielmehr kann eine regelmäßige Bewegung das Leiden kurzfristig verbessern. Bettruhe und Schonung führen laut des Experten bei unspezifischen Rückenscherzen vielfach sogar zur Verschlimmerung der Beschwerden.
Kein Schongang sondern aktive Bewegung
Schongang ist die schlechteste Form der Therapie. Umso weniger sich Patienten bewegen, um so mehr wird auch die Rückenmuskulatur abgebaut. Der Bewegungsmangel führt dazu, dass die Muskulatur immer schwächer wird. Bei zu langer einseitiger Belastung können die Schmerzen dann schnell wieder kommen. Deshalb ist die wichtigste Therapie bei Rückenscherzen Bewegung, mahnt der Orthopäde. „Die Aufgabe der Ärzte ist es, Betroffene vor die diesem Teufelskreis der Inaktivität zu schützen. Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung und Therapie von Rückenschmerzen ist Bewegung.“ Ärzte sollten daher ihren Patienten gezieltes Rückentraining verordnen. Es muss nicht gleich eine ambulante Therapie sein, schon Schwimmen und längere Spaziergänge können bei harmlosen Rückenbeschwerden helfen. Denn „jede Bewegung hilft dabei, den Schmerzen vorzubeugen“.
Chronische Schmerzen bedürfen ganzheitliche Behandlung
Haben sich die Schmerzen im Rücken manifestiert und sind bereits chronisch, kann Bewegung zwar ratsam sein, allein damit ist aber der Schmerz nicht mehr zu besiegen. Daher sollte die Behandlung auch soziale und psychische Faktoren wie die Umwelt des Patienten Beachtung finden. Fortlaufender Stress in der Familie und oder bei der Arbeit können sich ungünstig auf den Schmerzverlauf auswirken. „Entspannungsverfahren wie Meditation oder autogenem Training können Stress abbauen und Schmerzen lindern“, sagt auch Hermann Peters, Heilpraktiker aus Kiel.
Eine einseitige Therapie, die nur auf die Beseitigung der organischen Schmerzen fixiert ist, ist meist bei chronischem Verlauf nur von einer geringen Erfolgsquote begleitet. Die Schmerzen haben sich laut Kladny bereits verändert. Bei chronischen Rückenscherzen „hat der Schmerz seine Warnfunktion verloren“, erklärt der Mediziner. Die Beschwerden bestehen, „obwohl keine akute Schädigung vorliegt.“
Das Ziel, bei chronischen Leiden eine Schmerzbefreiung herzustellen, steht nicht mehr an erster Stelle. Vielmehr sei eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Patienten zu erreichen. Durch eine gezielte Bewegungstherapie, Änderung des meist ungesunden Lebensstils sowie eine psychologische Betreuung kann das Leiden der Geplagten oft lindern.
Präventive Maßnahmen zum Schutz der Bandscheibe
Bei den Bandscheibenvorfällen ist eine Vorbeugung nicht immer herstellbar. Schon junge Menschen können bereits einen Vorfall erleiden. Ein Bandscheibenvorfall liegt vor, wenn plötzlich oder langsam eine Verlagerung der Bandscheibe nach hinten oder seitlich nach hinten auftritt. Dabei kann es zu Lähmungserscheinungen oder Gefühlsstörungen kommen, weil durch den Druck der Scheiben eine oder mehrere Nervenwurzeln betroffen sind. Eine bedingte Ischialgie ist eine schmerzvolle Reizsymptomatik mit Ausstrahlungen in ein Bein durch eine Verwölbung der Bandscheibe oder eines Bandscheibenvorfalls. Eine Prophylaxe von Bandscheibenvorfällen ist schwierig, weil die „Stabilität und Festigkeit der Bandscheibe ist auch genetisch vorgegeben ist“, erläutert Professor Dr. Norbert Haas, Leiter der Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Charité in Berlin. „Körperliche Aktivitäten, die mit starken Erschütterungen der Wirbelsäule einhergehen, können das Risiko für einen Bandscheibenvorfall erhöhen.“ Auslöser sind oft Sportarten wie Kunstturnen oder Reiten. Diese sportlichen Aktivitäten sollten von den Patienten nicht mehr ausgeführt werden.
Grundsätzlich ist ein Abbau von Übergewicht, soweit vorhanden und ungewohnt starke körperliche Anstrengung zu vermeiden. Regelmäßige und angeleitete Gymnastik zur Stärkung der Muskelatur ist zum empfehlen, damit die Wirbelsäule entlastet wird.
Die Diagnose von Bandscheibenvorfällen ist meist schwieriger, als von Laien angenommen. Nicht jedes MRT kann ein eindeutigen Befund liefern. Manchmal führen organische Befunde nicht zu Schmerzen. Andersherum liegen oft keine sichtbaren Veränderungen vor, obwohl der Patient unter heftigen Schmerzen leidet. Daher sind zunächst die Symptome des Patienten in der Diagnostik Wegweisend.
Wann ein Arztbesuch dringend angezeigt ist
Bei einem akuten Bandscheibenvorfall sollte nicht zu viel Zeit vergehen, bis ein Facharzt aufgesucht wird. Beschwerden wie „Missempfindungen und Taubheitsgefühle in bestimmten Körperregionen“ deuten auf einen Vorfall hin. „Auch Muskelschwäche in Arm und Beinen können auf einen Bandscheibenvorfall hindeuten. In solchen Fällen sollten Patienten ihre Beschwerden dringend beim Arzt abklären lassen.“, mahnt Prof. Kladny. Derartige neurologische Beschwerdebilder sind ein klares Indiz dafür, dass eine Operation notwendig ist, um schlimmeres zu verhindern. Werden andere Organe wie die Blase oder Darm in Mitleidenschaft gezogen, muss der Eingriff sogar sehr zeitnah erfolgen. Ansonsten können schwere Leiden wie Inkontinenz und Organschäden zurückbleiben.
Schrumpfungsprozesse relativieren Bandscheibenvorfälle
Schwierig wird die OP-Entscheidung, wenn zwar während der Diagnostik ein Bandscheibenvorfall festgestellt wird, aber die Schmerzen beim Patienten fehlen. „Ein im MRT sichtbarer Bandscheibenvorfall verleitet natürlich gerne zu einer Operation.“ sagt Haas. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich Bandscheibenvorfälle durch sogenannte Schrumpfungsprozesse nach einiger Zeit wieder relativieren. „In solchen Fällen bessern sich die Beschwerden ganz von alleine, auch ohne Therapie.“ berichtet der Mediziner.
Trotz dieser Erkenntnis neigen immer mehr Patienten dazu, eine Operationen durchzuführen, obwohl alternative Therapien wie Osteopathie, Physio- Bewegungs- oder Spritztherapien eine Schmerzheilung erbringen können. Unklar ist, ob mehr Ärzte ihre Patienten zu dem Schritt einer Operation aus finanziellen Gründen drängen oder ob Patienten „aus Zeitmangel“ einen Invasiv-Eingriff bevorzugen, statt Zeit in langwierige Therapien zu investieren. Gleichwohl sollten sich Betroffene klar machen, dass Operationen zum Teil erhebliche Risiken beinhalten. Bei nicht wenigen Patienten traten Infektionen, Instabilitäten oder Vernarbungen auf. Diese führen wiederum zu Folgeerkrankungen und unter Umständen zu weiteren Eingriffen. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.