BSG: Richterbank ist dann nicht vorschriftsmäßig besetzt
Ein schlafender Richter kann einem Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung nicht geistig folgen. Fällt ein Jurist in tiefen Schlummer, stellt dies daher einen Verfahrensmangel dar, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Donnerstag, 18. Mai 2017, veröffentlichten Beschluss (Az.: B 13 R 289/16 B). Bei solch einer anhaltenden „geistigen Abwesenheit“ sei die Richterbank nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt.
Hintergrund des Verfahrens war ein Streit um den Anspruch eines Klägers auf eine Erwerbsminderungs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte dazu am 5. August 2016 eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
Doch die Verhandlung hatte Startschwierigkeiten. Ein ehrenamtlicher Richter kam deutlich zu spät und war noch ganz schön müde. Als der Rentenanspruch vom LSG abgelehnt wurde, legte der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim BSG ein und begründete diese mit dem Nickerchen eines Richters.
Der zu spät gekommene ehrenamtliche Richter sei „mit auf die Brust gesunkenem Haupt sofort eingeschlafen“ und habe „tief sowie hörbar geatmet“. Während der mündlichen Verhandlung habe er fast 30 Minuten geschlafen und daher wesentliche Teile des Rechtsstreits gar nicht mitbekommen. Erst nachdem die mündliche Verhandlung fast vorbei war, habe er die Augen wieder geöffnet. Über den verhandelten Rechtsstreit habe er daher nicht entscheiden dürfen.
Das BSG bestätigte den Verfahrensmangel in seinem Beschluss vom 12. April 2017 und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Prüfung an das LSG zurück. Schlafe ein Richter tief ein, sei dieser „geistig abwesend“, so dass die Richterbank nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt sei.
Ein kurzes Schließen der Augen oder ein Senken des Kopfes auf die Brust beweise allerdings noch nicht, dass ein Richter schläft. Diese Haltung könne auch zur „geistigen Entspannung oder besonderen Konzentration eingenommen werden“, betonte das BSG. Selbst das Kämpfen mit der Müdigkeit oder die Neigung zum Schlaf sei noch kein Beweis dafür, dass der Richter die Vorgänge in der Verhandlung nicht mehr wahrnehmen könne. Anders könne dies aber aussehen, wenn der Richter auch tief, hörbar und gleichmäßig atmet oder gar schnarcht.
Hier sei offensichtlich, dass der ehrenamtliche Richter tatsächlich während erheblicher Teile der mündlichen Verhandlung „geistig abwesend“ war. Mehrere glaubhafte Zeugen hätten das Schlafen bestätigt. Ein Berufsrichter habe seinen ehrenamtlichen Kollegen mehrfach mit dem Fuß „dezent“ getreten, so dass dieser dann plötzlich aufgeschreckt sei.
Die Berufsrichter konnten zwar ein durchgehendes Schlafen nicht bestätigen, da sie ihren Kollegen nicht immer im Blick hatten, Zeugen im Gerichtssaal bestätigten jedoch, dass der ehrenamtliche Richter auch nach einem kurzen Aufschrecken sofort wieder eingenickt sei.
Der Bundesfinanzhof hatte bereits in einem Beschluss vom 19. Oktober 2011 klargestellt, dass ein Verfahrensmangel wegen eines schlafenden Richters nur dann vorliegt, wenn dieser wesentlichen Teilen einer Verhandlung nicht folgen konnte (Az.: IV B 61/10; JurAgentur-Meldung vom 14. Dezember 2011). Nur bei entsprechenden Nachweisen liege eine „geistige Abwesenheit“ vor.
Geschlossene Augen allein oder ein ruckartiges Aufrichten des Oberkörpers wiesen nicht unbedingt auf einen Schlaf oder ein plötzliches Aufwachen hin. Dies könne auch Ausdruck einer besonderen Konzentration oder beim ruckartigen Aufrichten Ausdruck einer zuvor eingenommenen unangenehmen Haltung sein, meinte ähnlich wie nun das BSG auch der BFH. fle/mwo
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