Experten klären über Somnambulismus auf
Schlafwandeln wird medizinisch als Somnambulismus bezeichnet. Darunter versteht man sich wiederholende Episoden komplexer Verhaltensweisen, die während des Schlafes ablaufen. Dabei verlassen Betroffene gelegentlich ihr Bett und fangen an, alltägliche Tätigkeiten zu verrichten wie beispielsweise Toilettengänge, Aufräumen, Kochen, ein Instrument zu spielen – auch über Versuche Auto zu fahren wurde berichtet. Die Schlafenden scheinen dabei geistig nicht ganz bei der Sache zu sein. So kann beispielsweise auch mal der Haustürschlüssel im Gefrierfach landen oder die Morgentoilette im Kleiderschrank verrichtet werden.
Für Angehörige wirken die Handlungen der Schlafwandler oft skurril und schwer nachvollziehbar. Anfangs wissen sie nicht mal, dass es sich um Schlafwandeln handelt, da die Augen der Betroffenen geöffnet sind und diese auch die Umgebung wahrnehmen. So eine Phase geht in den meisten Fällen schnell vorbei. Nach einigen Minuten hören die Betroffenen auf und gehen entweder wieder in ein normales Schlafverhalten über oder wachen vollständig auf. Am nächsten Morgen können sich die Schlafwandler meistens nicht an ihre nächtlichen Unternehmungen erinnern.
Wie viele Menschen sind von Somnambulismus betroffen?
Insbesondere bei Kindern ist Schlafwandeln weit verbreitet. Laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) haben 15 bis 30 Prozent aller Kinder zumindest eine Episode von Schlafwandeln. Bei drei bis vier Prozent geschieht dies regelmäßig. Circa ein Prozent behält das Schlafwandeln bis ins Erwachsenenalter bei. Ein erstmaliges Auftreten im Erwachsenenalter ist laut DGSM ungewöhnlich.
Warum wandeln manche Menschen im Schlaf umher?
Die tatsächlichen Gründe sind bis heute nur im Ansatz verstanden. Früher wurde die Anziehungskraft des Mondes für dieses Phänomen verantwortlich gemacht, deshalb ist Somnambulismus auch heute noch unter dem Namen Mondsucht bekannt. Nachdem diese Annahme als überholt galt, war die vorherrschende Meinung, dass schlafwandelnde Personen ihre Träume durch reale Handlungen ausleben. Auch diese Meinung konnte in modernen Schlaflaboren widerlegt werden. Dort stellte man fest, dass Schlafwandeln nicht während der REM-Schlafphase stattfindet, in der intensive geträumt wird. Stattdessen geschieht dies im Tiefschlaf oder im normalen Schlaf.
Schlafwandeln ist eigentlich eine Aufwachstörung
Heute nimmt man an, dass es zu Somnambulismus kommt, wenn das Gehirn nach einem Weckreiz nicht vollständig erwacht. Diese Weckreize können sowohl von innen (z.B. Harndrang) als auch von außen (z.B. lautes Geräusch, Licht) kommen. In den Schlaflaboren zeigte sich, dass vor dem Schlafwandeln die typischen Muster einer Tiefschlafphase von einer leichteren Schlafphase abgelöst werden. Schlafmedizinerin Dr. Inka Tuin misst in der Schlafambulanz der Universitätklinik Mainz diese Hirnströme bei Schlafwandlern. „Wir wissen, dass Schlafwandeln an der Schwelle vom Tiefschlaf zum Leichtschlaf beginnt‟, berichtet Tuin gegenüber der „Allgemeinen Zeitung“. Daher gelte es als Aufwachstörung.
Gefangen zwischen Schlaf und Realität
Schlafforscher gehen davon aus, dass Schlafwandlern während einer akuten Phase nicht in der Lage sind vollständig zu erwachen und in diesem Zwischenzustand gefangen bleiben. Laut DGSM sind die Ursachen dieses unvollständigen Aufwachens noch nicht ausreichend geklärt. Allerdings spielen wohl genetische Faktoren eine wichtige Rolle, denn 80 Prozent der Schlafwandler haben eine weitere Person, die schlafwandelt, in der Familie.
Nicht alle Schlafwandler neigen zu ausufernden Aktivitäten
„Eine einfache Variante des Schlafwandelns wäre, sich im Bett aufzusetzen und zu reden“, erläutert Tuin. Bei vielen Betroffenen gehe es nicht darüber hinaus. Bei geringer Aktivität sei Schlafwandeln an und für sich nichts Schlimmes, so die Expertin.
Gefährliche Variante des Wandelns
Tuin warnt jedoch, dass es in manchen Fällen durchaus eine gefährliche Schlafstörung werden kann. Einer ihrer Patienten hätte sich zum Beispiel gleich mehrere Knochen gebrochen, als er schlafend aus dem Fenster im zweiten Stock fiel. Ein anderer von Tuins Patienten zog sich Schnittwunden zu, als er durch eine Glastür lief.
Wann sollten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden?
Laut Tuin sollten Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden, wenn jemand sehr aktiv schlafwandelt. Fenster sollte man dann nicht ohne weiteres öffnen können, gefährliche Gegenstände in der Nähe vom Bett sind zu entfernen und notfalls sollten die Türen abgeschlossen werden. „Schlafwandler, die sich selbst oder andere gefährden, sollten sich behandeln lassen“, rät die Expertin.
Wie kann Schlafwandeln ausgelöst werden?
Neben der bereits erwähnten genetischen Komponente berichtet Tuin von sogenannten „Triggern‟, also Auslöser, die so eine Phase begünstigen. Dazu seien Schlafmangel, alkoholische Getränke, bestimmte Antidepressiva und großer beruflicher oder privater Stress zu zählen. Ausreichend Schlaf und wenig Alkohol wären erste Präventionsmaßnahmen. Laut Tuin löst in einigen Fällen eine Schlafapnoe die nächtliche Unruhe aus. Wenn diese Atemaussetzer während des Schlafens erfolgreich behandelt werden, seien auch die nächtliche Aktivität bald verschwunden.
REM-Schlafverhaltensstörungen
Eine besondere Form von nächtlicher Aktivität wird oft fälschlicherweise als Schlafwandeln gedeutet. Es handelt sich um die sogenannte REM-Schlafverhaltensstörung: Diese tritt laut Tuin häufig bei neurologischen Leiden wie Parkinson oder Alzheimer oder bei schweren psychiatrischen Störungen auf. Die Betroffenen leben während des Schlafs ihre Träume durch körperliche Aktivitäten aus. Hierbei kann es auch zu aggressivem Verhalten wie Treten oder Schlagen im Schlaf kommen. Der Unterschied lässt sich laut Tuin leicht an den Augen erkennen. Diese sind bei REM-Schlafverhaltensstörungen geschlossen. Außerdem treten diese häufig in den frühen Morgenstunden auf.
Wie sollte man mit Schlafwandlern umgehen
Darf man Schlafwandler wirklich nicht wecken? „Sicher hat jeder schon einmal gehört, dass man Schlafwandler nicht unsanft wecken sollte“, so Tuin. Dies sei völlig richtig, denn das führe nur zu großer Verwirrung. Es sei auch nicht nötig, da die meisten ohnehin von selbst ins Bett zurückfinden. In manchen Fällen könne auch der Einsatz bestimmter, niedrig dosierter, Antidepressiva helfen, das Schlafwandeln zu beenden, so Tuin. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.