Schlaganfall: Wie Molekül aus Fadenwurm bei Therapie hilft
Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans (C. elegans) wird bereits seit längerer Zeit in der Forschung eingesetzt. Nun berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ein Molekül aus diesem Wurm bei der Schlaganfall-Therapie helfen könnte.
Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) haben jetzt gezeigt, wie ein Molekül aus dem Wurm C. elegans das Gehirn von Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten schützen könnte.
Experimentelle Behandlung
Wie es in einer Mitteilung heißt, erleiden pro Jahr in Deutschland circa 200.000 Frauen und Männer einen Schlaganfall. Dabei verstopfen Blutgerinnsel wichtige Gefäße, so dass das Gehirn nicht mehr ausreichend versorgt wird.
Wenn es gelingt, das Gerinnsel aufzulösen oder mechanisch zu entfernen, lassen sich zwar weitere Schäden verhindern. Dennoch sterben 100 Prozent des ursprünglich betroffenen Gewebes sowie etwa 70 Prozent der Zellen in angrenzenden Bereichen ab.
Forscherinnen und Forscher des LMU Klinikums, der Charité in Berlin und der University of Maryland, Baltimore (USA), unter Leitung von Dr. med. Francisco Pan-Montojo (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des LMU Klinikums) konnten nun in verschiedenen relevanten Tiermodellen zeigen, dass es mit Glykolsäure gelingt, gefährdetes Gewebe zu retten.
Die experimentelle Therapie imitiert eine Überlebensstrategie des Fadenwurms Caenorhabditis elegans, wie die Autorinnen und Autoren in der Fachzeitschrift „Advanced Science“ berichten.
Produktion von Glykolsäure steigern
Den Angaben zufolge übersteht der Fadenwurm C. elegans in einem speziellen Larvenstadium sogar Austrocknung. Dabei wird sein Stoffwechsel gestoppt und beim Kontakt mit Wasser wieder aktiviert.
Beide Situationen führen zu einer Stressreaktion mit einem enormen Anstieg der Produktion reaktiver Moleküle (Radikale), einem Anstieg des Kalzium-Spiegels in Nervenzellen sowie funktionalen Veränderungen der Mitochondrien, also der energieliefernden Zellorganellen.
Dass der Wurm dies überlebt, hängt wesentlich mit seiner Fähigkeit zusammen, bei Austrocknung die Produktion von Glykolsäure in seinen Zellen zu steigern, wie experimentelle Studien zeigten: Wenn die Glykolsäureproduktion gehemmt wird, stirbt er ab, extern zugeführte Glykolsäure wirkt hingegen schützend.
Nervenzellen nach Gabe des Moleküls geschützt
„Vorgänge wie bei der Austrocknung und Rehydrierung von C. elegans sehen wir auch beim Schlaganfall“, erläutert Pan-Montojo. Daher gingen die Forschenden der Hypothese nach, dass Glykolsäure bei Säugetieren eingesetzt werden könnte, um Folgeschäden eines Schlaganfalls abzumildern.
Tatsächlich zeigten Experimente in verschiedenen relevanten In-Vitro- sowie Tiermodellen für Schlaganfall, dass bis zu 100 Prozent aller Nervenzellen nach Gabe des Moleküls geschützt werden konnten. Und auch die Größe der betroffenen Region verringerte sich.
„Wir konnten nachweisen, dass die Schutzwirkung der Glykolsäure hauptsächlich darauf beruht, dass sie dem Schlaganfall-bedingten Anstieg des Kalziums in den Zellen entgegenwirkt“, so Pan-Montojo. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Behandlung mit Glykolsäure das Potenzial hat, die Sterblichkeit und Behinderung von Schlaganfallpatienten zu verringern.“
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat der Wissenschaftler ein Start-up gegründet, das den Schritt von der Forschung in die therapeutische Anwendung weiter vorantreiben soll. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ludwig-Maximilians-Universität München: Schlaganfall-Therapie: Von Fadenwürmern lernen, (Abruf: 19.12.2021), Ludwig-Maximilians-Universität München
- Alexandra Chovsepian, Daniel Berchtold, Katarzyna Winek, Uta Mamrak, Inés Ramirez Álvarez, Yanina Dening, Dominika Golubczyk, Luis Weitbrecht, Claudia Dames, Marine Aillery, Celia Fernandez-Sanz, Zdzislaw Gajewski, Marianne Dieterich, Miroslaw Janowski, Peter Falkai, Piotr Walczak, Nikolaus Plesnila, Andreas Meisel, Francisco Pan-Montojo: A Primeval Mechanism of Tolerance to Desiccation Based on Glycolic Acid Saves Neurons in Mammals from Ischemia by Reducing Intracellular Calcium-Mediated Excitotoxicity; in: Advanced Science, (veröffentlicht: 14.12.2021), Advanced Science
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.