Neuer Gerinnungshemmer mit geringem Blutungsrisiko
Gerinnungshemmer (im Volksmund auch als Blutverdünner bezeichnet) hemmen die Bildung von Blutgerinnseln und senken so das Risiko für die Bildung von Thrombosen, Embolien und Schlaganfällen. Allerdings gehen diese Arzneimittel auch mit einer erhöhten Gefahr für lebensbedrohliche Blutungen einher. Bei einem neuen Medikament zur Gerinnungshemmung ist das Blutungsrisiko jedoch deutlich reduziert.
Gerinnungshemmer werden eingesetzt, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken, die durch Blutgerinnsel verursacht werden. Solche Präparate erhöhen aber auch das Risiko für Blutungen. Ein neues Medikament zeigte nun in einer Studie eine hohe gerinnungshemmende Wirksamkeit bei gleichzeitig deutlich reduziertem Blutungsrisiko. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht.
Neue Substanz mit hoher gerinnungshemmenden Wirksamkeit
Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) in einer aktuellen Mitteilung erklärt, ist zur Schlaganfall-Prävention in bestimmten Situationen oder bei bestimmten Erkrankungen die Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulanzien) notwendig – zum Beispiel bei Vorhofflimmern, einer relativ häufigen Herzrhythmusstörung älterer Menschen.
Dafür steht heute eine Reihe verschiedener oraler Präparate zur Verfügung, die zu einer effektiven Gerinnungshemmung führen und damit Schlaganfälle vermeiden. Allerdings erhöhen diese Mittel auch das Risiko für Blutungen.
Eine neue Substanz, Asundexian, zeigte jetzt in einer Phase-II-Studie eine hohe gerinnungshemmende Wirksamkeit bei gleichzeitig deutlich reduziertem Blutungsrisiko.
Erhöhtes Schlaganfallrisiko durch Vorhofflimmern
Ältere Menschen leiden relativ oft an Vorhofflimmern (VHF), einer häufig symptomlosen Herzrhythmusstörung. Laut einem Bericht des Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. sind in Deutschland etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung und rund 20 Prozent der älteren Menschen von einem VHF betroffen.
Der Deutschen Herzstiftung zufolge sind das bundesweit etwa 1,8 Millionen Betroffene.
Die häufigsten zugrunde liegenden Ursachen des Vorhofflimmerns sind Bluthochdruck und Herzschwäche, schreibt die Herzstiftung auf ihrer Webseite.
Beim Vorhofflimmern breiten sich die elektrischen Impulse in den Vorhöfen nicht mehr regelmäßig aus. Dadurch gibt es im linken Herzvorhof keine rhythmischen Kontraktionen mehr, durch die das Blut normalerweise bei jedem Herzschlag zügig in die linke Herzkammer weitertransportiert wird, sondern der Vorhof bewegt sich hochfrequent und unkoordiniert, er „flimmert“.
Das ist zunächst nicht gefährlich, über längere Zeit kann sich aber neben anderen Gesundheitsproblemen das Schlaganfallrisiko erhöhen.
Der Grund ist, dass sich im „flimmernden“ Herzvorhof Blutgerinnsel (Thromben) bilden können, weil in einem kleinen Bereich (im „Herzohr“) durch die fehlende rhythmische Entleerung der Blutfluss praktisch zum Stillstand kommt – und stehendes Blut gerinnt.
Kleine Stückchen des Thrombus können sich im Verlauf ablösen, mit dem Blutstrom in Gehirnarterien gelangen, stecken bleiben und einen plötzlichen Gefäßverschluss auslösen (Hirninfarkt beziehungsweise ischämischer Schlaganfall).
Gerinnungshemmer zur Schlaganfall-Prävention
Die optimale Therapie des VHF besteht laut der DGN in der kardiologischen Behandlung, wodurch das Flimmern unterbrochen wird und der Vorhof wieder koordiniert an der Pumpfunktion des Herzens teilnimmt.
Wenn diese Behandlung nicht möglich oder nicht erfolgreich ist, wird zur Schlaganfall-Vorbeugung die Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulanzien) empfohlen.
Dafür gibt es verschiedene orale Mittel; neben den klassischen Vitamin K-Antagonisten (Marcumar®) sind seit einiger Zeit die sogenannten direkten oralen Antikoagulanzien („DOACs“) verfügbar, die spezifisch einzelne Gerinnungsfaktoren (Proteine) hemmen, zum Beispiel den Faktor IIa (Dabigatran) oder Faktor Xa (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban).
DOACs sind besser steuerbar als Marcumar, weil die Wirkung praktisch sofort einsetzt und beim Absetzen auch schnell wieder nachlässt. Alle Präparate haben aber das Problem, dass sie nicht nur die Gerinnung hemmen, sondern gleichzeitig das allgemeine Blutungsrisiko leicht erhöhen.
Studie in 14 Ländern durchgeführt
Das neue orale Antikoagulans Asundexian (ein sogenanntes „small molecule“) hemmt den Faktor XIa und soll thromboembolische Ereignisse bei nur minimalen Effekten auf die Blutgerinnung beziehungsweise geringem Blutungsrisiko verhindern.
Die jetzt publizierte Phase-2-Dosisfindungsstudie „Pacific-AF“ verglich randomisiert doppelblind zwei Dosierungen Asundexian gegenüber einer Standardbehandlung mit Apixaban bei Menschen ab 45 Jahren mit Vorhofflimmern hinsichtlich der Inzidenz von Blutungsereignissen. Die Studie wurde in 14 Ländern an insgesamt 93 Zentren durchgeführt (12 europäische Länder, Kanada sowie Japan).
Einschlusskriterium war ein CHA2DS2-VASc-Score (zur Abschätzung des Thrombembolie-Risikos bei Vorhofflimmern anhand anamnestischer Risikofaktoren) von 2 oder höher (Männer) oder 3 oder höher (Frauen) sowie ein erhöhtes Blutungsrisiko.
Die Probandinnen und Probanden wurden in drei gleichgroße Gruppen randomisiert und erhielten einmal täglich 20 mg oder 50 mg Asundexian oder zweimal täglich 5 mg Apixaban. Außerdem erfolgte eine Stratifizierung nach der bisherigen DOAC-Einnahme vor Studienbeginn.
Primärer Endpunkt war eine Kombination großer beziehungsweise klinisch relevanter, kleinerer Blutungen gemäß den ISTH-Kriterien („International Society on Thrombosis and Haemostasis“).
Insgesamt wurden 755 geeignete Teilnehmende randomisiert und 753 ausgewertet (249 erhielten 20 mg und 254 erhielten 50 mg Asundexian und 250 hatten Apixaban). Das mittlere Alter der Patientinnen und Patienten lag bei 73,7±8,3 Jahren, 41 Prozent waren weiblich, 29 Prozent hatten eine chronische Nierenerkrankung und der mittlere CHA2DS2-VASc-Score betrug 3,9±1,3.
Blutungsraten deutlich verringert
Mit Asundexian 20 mg wurde eine 81-prozentige Hemmung der Faktor XIa-Maximalkonzentrationen im Blut erzielt sowie eine 94-prozentige Inhibition der FXIa-Talspiegel.
Die Inzidenz-Ratio für das Auftreten des primären Endpunktes lag bei 0,5 für 20 mg Asundexian (drei Ereignisse), bei 0,16 für 50 mg Asundexian (ein Ereignis) sowie bei 0,33 für beide gepoolten Asundexian-Gruppen (vier Ereignisse) gegenüber der Behandlung mit Apixaban (sechs Ereignisse).
Die sonstige Nebenwirkungsrate war in allen drei Gruppen ähnlich: Sie betrug 47 Prozent bei den mit 20 mg Asundexian Behandelten, ebenfalls 47 Prozent bei 50 mg Asundexian und 49 Prozent bei Apixaban.
„Bei Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern mit dem Faktor XIa-Inhibitor Asundexian – in zwei verschiedenen Dosierungen – gab es mit insgesamt 4/503 (0,8%) deutlich weniger Blutungsereignisse als mit der Apixaban-Standardmedikation mit 6/250 (2,4%)“, erläutert Prof. Hans Christoph Diener, Essen.
„Die Blutungsraten wurden um 67% reduziert – bei fast vollständiger Hemmung des Gerinnungsfaktors XIa. Diese Ergebnisse sind vielversprechend und wir erwarten nun mit Spannung prospektive klinische Outcome-Studien zur Schlaganfallprävention für diese neue Substanz.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.: Neues Medikament zur Gerinnungshemmung für die Schlaganfallprävention mit geringem Blutungsrisiko, (Abruf: 11.04.2022), Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
- Piccini JP, Caso V, Connolly SJ et al.: Safety of the oral factor XIa inhibitor asundexian compared with apixaban in patients with atrial fibrillation (PACIFIC-AF): a multicentre, randomised, double-blind, double-dummy, dose-finding phase 2 study; in: The Lancet, (veröffentlicht online: 03.04.2022 und in: Volume 399, Issue 10333, P1383-1390, 09.04.2022), The Lancet
- Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V.: Vorhofflimmern, (Abruf: 11.04.2022)
- Deutsche Herzstiftung: Vorhofflimmern: Das sind die häufigsten Ursachen, (Abruf: 11.04.2022), Deutsche Herzstiftung
- Deutsche Herzstiftung: Vorhofflimmern: Nur jeder Zweite spürt Symptome, (Abruf: 11.04.2022), Deutsche Herzstiftung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.