Schmerzen ohne Arzneimittel bekämpfen
Jetzt wurde ein kleines, weiches und flexibles Implantat entwickelt, welches in der Lage ist, Schmerzen bei Bedarf ohne den Einsatz von Medikamenten zu lindern. Nach der Nutzung wird das Gerät einfach von Körper absorbiert.
In einer neuen Studie unter Beteiligung von Fachleuten der Northwestern University wurde ein implantierbares, bioresorbierbares, mikrofluidisches Gerät vorgestellt, welches eine gezielte, minimalinvasive Kühlung in beliebiger Tiefe in lebendem Gewebe mit Echtzeit-Temperaturregelung ermöglicht.
Die Ergebnisse der Studie wurden in dem englischsprachigen Fachblatt „Science“ veröffentlicht.
Kühlung betäubt die Nerven
Der biokompatible, wasserlösliche Gerät ist an seiner breitesten Stelle lediglich fünf Millimeter breit. Es wickelt sich sanft um die Nerven und sorgt für eine präzise, gezielte Kühlung, welche die Nerven betäubt und die Schmerzsignale an das Gehirn blockiert, erklären die Forschenden.
Keine Nebenwirkungen
Da das Gerät sehr genau ist und ausschließlich den gewünschten Nerv trifft, werden die umliegenden Regionen nicht unnötig gekühlt, wodurch mögliche Nebenwirkungen verhindert werden, so das Forschungsteam weiter. Es sei zudem möglich, durch eine externe Pumpe die Intensität zu erhöhen oder zu reduzieren.
Gerät wird vom Körper absorbiert
Die Komponenten des neuen Geräts sind biokompatibel. Mit anderen Worten ausgedrückt: Sobald es nicht mehr benötigt wird, wird es im Laufe von Tagen oder Wochen auf natürliche Weise in die Bioflüssigkeiten des Körpers absorbiert, was eine chirurgische Entfernung überflüssig macht.
Schmerzen nach Operationen lindern
Das Gerät könnte besonders für Menschen von Vorteil sein, welche sich Routineoperationen oder sogar Amputationen unterziehen müssen, bei denen häufig postoperative Medikamente erforderlich sind.
So könnte die Kühlung bereits während des Eingriffs chirurgisch implantiert werden, um die postoperativen Schmerzen der Patientinnen und Patienten zu lindern, erläutert das Team.
„Als Ingenieure sind wir von der Idee beseelt, Schmerzen ohne Medikamente zu behandeln – auf eine Art und Weise, die sofort ein- und ausgeschaltet werden kann, wobei der Benutzer die Kontrolle über die Intensität der Linderung hat“, betont Studienautor John A. Rogers in einer Pressemitteilung.
Die neue Technologie nutze Mechanismen, welche denen ähneln, die dazu führen, dass sich Finger bei Kälte taub anfühlen. Das Implantat ermögliche es, diesen Effekt auf programmierbare Weise direkt und lokal an den Zielnerven zu erzeugen, sogar an denjenigen, die tief im umgebenden Weichteilgewebe liegen.
Wie werden die Nerven gekühlt?
Das Gerät baut auf dem Konzept der Verdunstung auf. Ähnlich wie verdunstender Schweiß den Körper kühlt, enthält das Gerät ein flüssiges Kühlmittel, welches an der spezifischen Stelle eines sensorischen Nervs zum Verdampfen gebracht wird, fügt der Fachmann hinzu.
Damit der Kühleffekt eintritt, enthält das Gerät sogenannte winzige mikrofluidische Kanäle, in denen flüssiges Kühlmittel (Perfluoropentan) vorhanden ist. Ein zweiter Kanal enthält trockenen Stickstoff.
Wenn die Flüssigkeit und das Gas in eine gemeinsame Kammer fließen, kommt es zu einer Reaktion, wodurch die Flüssigkeit sofort verdampft, und ein Kühleffekt eintritt, erläutern die Forschenden.
„Wenn man einen Nerv abkühlt, werden die Signale, die durch den Nerv wandern, immer langsamer – bis sie schließlich ganz aufhören“, ergänzt Studienautor Dr. Matthew MacEwan von der Washington University School of Medicine in St. Louis.
Welche Nerven werden anvisiert?
„Wir zielen speziell auf die peripheren Nerven ab, die das Gehirn und das Rückenmark mit dem Rest des Körpers verbinden. Dies sind die Nerven, die sensorische Reize, einschließlich Schmerzen, weiterleiten“, so der Mediziner.
Indem nur ein oder zwei Nerven gezielt gekühlt werden, können die Schmerzsignale in einer bestimmten Region des Körpers wirksam moduliert werden, erläutert Dr. MacEwan.
Sensor verhindert Gewebeschäden durch Unterkühlung
Ein winziger integrierter Sensor übwache die Temperatur des Nervs. So könne beachtet werden, dass der Nerv nicht zu kalt wird, weil dies Gewebeschäden verursachen könnte.
„Eine zu starke Abkühlung kann den Nerv und das empfindliche Gewebe um ihn herum schädigen. Die Dauer und die Temperatur der Kühlung müssen daher genau kontrolliert werden“, erläutert Rogers.
Die Durchflussrate (und somit die Kühlung) werde automatisch so eingestellt, dass ein Punkt erreicht wird, der den Schmerz auf reversible und sichere Weise blockiert.
„Man will nicht versehentlich andere Nerven oder das Gewebe kühlen, die nichts mit dem Nerv zu tun haben, der die Schmerzreize überträgt. Wir wollen die Schmerzsignale blockieren, nicht die Nerven, die die Motorik steuern und es einem ermöglichen, zum Beispiel die Hand zu benutzen“, betont MacEwan.
Schmerzhafte Reize ausschalten durch elektrische Stimulation?
In der Vergangenheit wurden bereits Nervenblocker erforscht, die mit elektrischer Stimulation schmerzhafte Reize ausschalten. Dabei traten allerdings Probleme auf.
Denn „man kann einen Nerv nicht mit elektrischer Stimulation abschalten, ohne ihn vorher zu aktivieren. Das kann zusätzliche Schmerzen oder Muskelkontraktionen verursachen und ist aus Sicht des Patienten nicht ideal“, berichtet MacEwan. Das neue Gerät biete hier eine bessere Alternative. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Jonathan T. Reeder, Zhaoqian Xie, Quansan Yang, Min-Ho Seo, Ying YanYujun Deng, et al.: Soft, bioresorbable coolers for reversible conduction block of peripheral nerves; in: Science (veröffentlicht 30.06.2022), Science
- Northwestern University: Dissolving implantable device relieves pain without drugs (veröffentlicht 30.06.2022), Northwestern University
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.