Corona-Pandemie: Schulen geöffnet – Kinder mit Diabetes nicht pauschal ausschließen
Mitte März waren in Deutschland die Schulen geschlossen worden, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verzögern. Offiziell soll der Regelschulbetrieb ab dem 4. Mai wieder starten, allerdings zunächst schrittweise und stark eingeschränkt. Kinder und Jugendliche, die an Diabetes erkrankt sind, werden an verschiedenen Einrichtungen vom Unterricht ausgeschlossen. Fachleute kritisieren diese Regelung.
Mehr als zehn Millionen Schülerinnen und Schüler konnten in den vergangenen Wochen aufgrund der Corona-Pandemie nicht die Schulbank drücken. Nun wird der Schulbetrieb in Deutschland vorsichtig wieder aufgenommen. Bundesweit gibt es aber einzelne Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche mit einer Diabetes-Erkrankung davon vorerst ausnehmen. Daran gibt es nun Kritik.
Menschen mit Diabetes zählen zur Risikogruppe
Laut einer Mitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beziehen sich die Einrichtungen auf den Hinweis des Robert Koch-Instituts (RKI), dass Menschen mit Diabetes zur Risikogruppe zählen.
So schreibt das RKI auf seiner Webseite zum COVID-19-Krankheitsverlauf: „Auch verschiedene Grunderkrankungen wie z.B. Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems, der Leber und der Niere sowie Krebserkrankungen scheinen unabhängig vom Alter das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu erhöhen.“
Die DDG weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass laut aktuellem internationalen Forschungsstand Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes nicht häufiger oder schwerer an COVID-19 erkranken als andere Kinder.
In der Stellungnahme heißt es: „Kinder und Jugendliche mit Diabetes haben nach derzeitigem Kenntnisstand bei stabiler Stoffwechseleinstellung kein höheres Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu haben.“
Kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für schweren Krankheitsverlauf
Dem RKI zufolge sind in Deutschland rund 9.000 Kinder und Jugendliche nachweislich am Coronavirus erkrankt (Stand: 27.04.2020).
Da in diesem Alter die Erkrankung meist mild verläuft, wird die Dunkelziffer weitaus höher geschätzt. Daher liegen bislang auch nur wenige Daten zum Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion bei Minderjährigen vor.
Aus einer chinesischen Studie sowie mündlichen Berichten italienischer Diabetologinnen und Diabetologen gibt es aber keinen Hinweis darauf, dass Kinder und Jugendliche mit einem Diabetes mellitus ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Virusinfektion haben.
„Aus kinderdiabetologischer Sicht spricht also nichts dagegen, dass im Zuge der aktuell geplanten Schulöffnungen auch die hierzulande rund 30 000 Kinder und Jugendlichen mit Diabetes die Schule besuchen“, bilanziert DDG-Vizepräsident Professor Dr. med. Andreas Neu aus Tübingen den aktuellen medizinischen Wissensstand.
Der Experte verweist auf die Stellungnahme der AG Pädiatrische Diabetologie (AGPD), die hierzu die aktuellsten Informationen zusammengetragen hat.
Wie die DDG erklärt, basiert diese auf einer Datensammlung der International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD) aus der bislang keine bedenklichen Zusammenhänge zwischen COVID-19 und Kindern mit Diabetes abgeleitet werden könnten.
Betroffene Familien geraten unnötig in Bedrängnis
Dennoch haben einige Bundesländer wie Thüringen beschlossen, Kinder mit Diabetes zunächst pauschal vom Präsenzunterricht auszuschließen und berufen sich dabei auf die allgemeinen Informationen des RKI, wonach Diabetes-Patientinnen und -Patienten zur Risikogruppe zählen.
„Bisher kennen wir kein Kind mit Typ-1-Diabetes, das durch COVID-19 zu Schaden gekommen wäre. Unsere Erkenntnisse zum Infektionsverlauf bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes legen nahe, dass sie nicht gefährdeter sind als ihre Altersgenossen und daher ganz normal am Alltagsleben teilhaben können“, sagt Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen, Sprecher der AG „Pädiatrische Diabetologie“ der DDG.
Der Fachmann kritisiert, dass die betroffenen Familien durch bürokratische Entscheidungen in einzelnen Regionen nun unnötig in Bedrängnis geraten, sich weiterhin um die Betreuung zu sorgen.
Aus organisatorischer und psychosozialer Sicht sei es seiner Ansicht nach bedenklich, diese Kinder ohne objektive medizinische Gründe und nur aufgrund ihres Diabetes vom Unterricht fernzuhalten. „Dies käme einer Diskriminierung gleich“, so Kinder-Diabetologe Neu.
Empfohlene Schutzmaßnahmen einhalten
Natürlich sollten die empfohlenen Schutzmaßnahmen wie Händehygiene, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und Abstandsregelungen eingehalten werden.
Wenn eine COVID-19-Erkrankung vorliegt, gelten die gleichen Empfehlungen für das Management des Diabetes wie bei anderen Virusinfekten der Atemwege.
„Da im Zuge des Infektes ein erhöhter Insulinbedarf zu erwarten ist, sollten Erkrankte häufiger den Blutzucker messen beziehungsweise die Sensor-Glukosewerte kontrollieren“, rät Kapellen, Kinder-Diabetologe aus Leipzig.
Bei erhöhten Blutzuckerwerten muss die Insulindosis entsprechend angepasst werden. Bei langanhaltend schlechten Blutzuckerwerten sollten sich Betroffene an ihre behandelnde Ärztin oder ihren behandelnden Arzt wenden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG): Schulöffnungen: Kinder mit Diabetes können am Unterricht teilnehmen - Die DDG warnt vor pauschaler Ausgrenzung, (Abruf: 03.05.2020), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
- Robert Koch-Institut (RKI): Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), (Abruf: 03.05.2020), Robert Koch-Institut (RKI)
- Robert Koch-Institut (RKI): Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, (Abruf: 03.05.2020), Robert Koch-Institut (RKI)
- AG Pädiatrische Diabetologie: Informationen zu SARS-CoV-2 (Coronavirusinfektion) bei Kinder und Jugendlichen mit Diabetes, (Abruf: 03.05.2020), AG Pädiatrische Diabetologie
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.