Schweinegrippe-Impfstoff erhöht bei Heranwachsenden das Narkolepsie-Risiko
22.07.2011
Der Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix® steht im Verdacht bei Jugendlichen Narkolepsie auszulösen. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat daher empfohlen, bei Kindern und Jugendlichen im Alter unter 20 Jahren auf den umstrittenen Impfstoff zu verzichten.
Bereits im Februar hatte das finnische Gesundheitsinstitut (THL) in Helsinki Untersuchungsergebnisse vorgestellt, nach denen der Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix insbesondere bei Kindern das Auftreten der Narkolepsie (Schlafkrankheit) begünstigt. Schwedische Forscher stellten in vergleichbaren epidemiologischen Studien bei Jugendlichen ebenfalls ein erhöhtes Narkolepsie-Risiko durch den Schweinegrippe-Impfstoff fest. Die europäische Arzneimittelbehörde sah sich nun zu einer Reaktion gezwungen und empfiehlt daher in einer aktuellen Pressemitteilung, auf den Einsatz von Pandemrix® bei Heranwachsenden zu verzichten.
Warnung der europäischen Arzneimittelbehörde zum Schweinegrippe-Impfstoff
Die Kritik an dem Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix war von Anfang an groß. Insbesondere das Risiko erheblicher Nebenwirkungen sorgte für Verunsicherung in der Bevölkerung. Da zudem die Ausbreitung der Schweinegrippe bei weitem nicht das Ausmaß annahm, dass von besorgten Medizinern und Behörden ursprünglich vermutet wurde, waren die Deutschen bei den entsprechenden Schutzimpfungen äußerst zurückhaltend. Nicht unbedingt eine schlechte Entscheidung, wie sich im Nachhinein zeigt. Denn schwedische und finnische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Schweinegrippe-Impfstoff bei Kindern und Jugendlichen das Narkolepsie-Risiko deutlich erhöhen kann. In einer aktuellen Pressemitteilung weist die europäische Arzneimittelbehörde daher darauf hin, dass Personen im Alter unter 20 Jahren Pandemrix nur erhalten sollten, wenn dringend ein Schutz vor dem pandemischen H1N1-Influenzavirus erforderlich ist, jedoch kein trivalenter Grippeimpfstoff mit der entsprechenden Viruskomponente zur Verfügung steht.
Schweinegrippe-Impfstoff erhöht das Risiko der Schlafkrankheit
Die Auswertung „aller zurzeit verfügbarer Daten über den möglichen Zusammenhang zwischen Pandemrix und Narkolepsie“ sei Anlass für die aktuelle Warnung vor dem Einsatz des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix, so die Mitteilung der EMA. Die epidemiologischen Studien aus Finnland und Schweden, die Sicherheitsdaten der Gesundheitsbehörden und die Fallberichte aus verschiedenen EU-Staaten sowie die vorläufige Ergebnisse einer epidemiologischen Studie des VAESCO-Netzwerks (Vaccine Adverse Events Surveillance and Communication) der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC, legen den Schluss nahe, dass mit dem Schweinegrippe-Impfstoff bei Kindern und Jugendlichen ein deutlich erhöhtes Narkolepsie-Risiko verbunden sei, berichtet die EMA. Zum Beispiel hätten die skandinavischen Studien ergeben, dass die Impfung mit Pandemrix bei den Heranwachsenden das Risiko der normalerweise extrem seltenen Schlafkrankheit um das 6- bis 13-fache erhöhen. Allerdings seien die Fallzahlen mit drei bis sechs zusätzlichen Narkolepsie-Erkrankungen je 100.000 Impfungen relativ überschaubar. Außerdem hätte der Schweinegrippe-Impfstoff bei Personen im Alter über 20 Jahren keine Erhöhung des Narkolepsie-Risikos mit sich gebracht. So geht die EMA in ihrer aktuellen Pressemitteilung immer noch davon aus, dass Pandemrix insgesamt ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zuzuschreiben sei.
Zusammenhang zwischen Pandemrix und dem Narkolepsie-Risiko
Auf welche Weise der Schweinegrippe-Impfstoff das Narkolepsie-Risiko erhöht, ist laut Aussage der Experten auf Basis der bisherigen Studien nicht zu erklären. Die EMA geht jedoch davon aus, dass eine Interaktion des Impfstoffs mit genetischen oder umweltabhängigen Faktoren hierfür verantwortlich sein könnte. Zudem scheinen weitere Einflussfaktoren wie zum Beispiel bestimmte Infektionskrankheiten, insbesondere Erkrankungen der oberen Atemwege, eine Rolle zu spielen, berichtete die EMA. Auch ließen sich die finnischen und schwedischen Studien nicht ohne Weiteres auf andere europäische Staaten übertragen, so dass laut Aussage der EMA weitere Forschung notwendig erscheinen, um den Zusammenhang zwischen Pandemrix und einem erhöhten Narkolepsie-Risiko abschließend zu klären.
Pharmahersteller kündigt Aufklärungsstudien an
Der Hersteller des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix, das Unternehmen Glaxo-Smith-Kline (GSK), erklärte in einer aktuellen Stellungnahme, die Verantwortung für die Sicherheit der Patienten sehr ernst zu nehmen und mit eigenen Studien zur Aufklärung des möglicherweise erhöhten Narkolepsie-Risikos beitragen zu wollen. Den Angaben des Pharmaherstellers zufolge wurden bisher weltweit mehr als 31 Millionen Dosen des Schweinegrippe-Impfstoffs verabreicht und lediglich 335 Narkolepsiefälle bei geimpften Personen gemeldet, wobei 68 Prozent davon in Finnland und Schweden zu verzeichnen gewesen seien. Angesichts der Tatsache, dass Narkolepsie normalerweise eine sehr seltene Erkrankung, mit Neuerkrankungsrate von etwa einem Fall pro 100.000 Personen jährlich ist, scheinen die von Glaxo-Smith-Kline genannten Zahlen sich auf den ersten Blick durchaus im Rahmen zu bewegen. Doch die skandinavischen Studien legen einen anderen Schluss nahe.
40.000 Schlafkrankheit-Patienten in Deutschland
Den Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) zufolge leiden in Deutschland insgesamt rund 40.000 Menschen unter Narkolepsie, wobei lediglich bei 4.000 Betroffenen eine entsprechenden Diagnose vorliege. Jährlich erkranke hierzulande eines von einer Millionen Kindern neu, so die Aussage des Paul-Ehrlich-Instituts, welches in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist. Die Schlafkrankheit (Narkolepsie) wird den Ausführungen der Experten zufolge im wesentlichen gekennzeichnet durch vier unterschiedliche Symptome, die üblicherweise in variierender Ausprägung auftreten. Diese sind ein plötzlicher Schlafzwang, Kataplexien (Verlust der Muskelanspannung), ein abnormer Schlafrhythmus und Schlaflähmungen (Schlafparalyse). Für die Narkolepsie-Patienten bringt die Erkrankung häufig erhebliche Einschränkungen im privaten und beruflichen Alltag mit sich, erklärten die Experten. Die genauen Ursachen der Schlafkrankheit sind bis heute unbekannt, doch in der Fachwelt gelten eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen als wahrscheinliche Auslöser der Erkrankung.
Schweinegrippe-Impfstoff von Anfang an in der Kritik
Mit den aktuellen Warnungen der EMA hat die Kritik an dem umstrittenen Schweinegrippe-Impfstoff ein neues Niveau erreicht. Bisher hatten vor allem Impfgegner Pandemrix wegen möglicher Nebenwirkungen kritisiert, da gelegentlich allgemeine Hautreaktionen einschließlich Nesselsucht (Urtikaria) aufgetreten seien und in seltenen Fällen Nervenschmerzen (Neuralgie) und Krampfanfällen zu verzeichnen waren, so die Aussage auf dem impfkritischen Internetportal „www.impfschaden.info“. Hier wird auch von allergischen Reaktionen berichtet, die in seltenen Fällen zum Schock geführt haben. Auf dem Portal werden außerdem vereinzelte Entzündungen der Blutgefäße und neurologischen Erkrankungen wie Entzündungen des Gehirns und des Rückenmarkes (Enzephalomyelitis) als mögliche Folgen einer Pandemrix-Impfung genannt. Die aktuelle Warnung der EMA hat jedoch eine deutlich größere Tragweite, als die in der Öffentlichkeit wenig registrierte Kritik der Impfgegner. (fp)
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